Irgendwie isoliert erscheint diese kreisrunde Vertiefung, die noch auf Auerbacher Gemarkung, aber kurz vor dem Ortseingang von Hochstädten rechts der Straße liegt. 1767 wurde hier eine eisenhaltige Quelle entdeckt. Doch schon Jahrzehnte zuvor waren in der Roßbach, auf dem Gelände des heutigen Fürstenlagers, bald verschlammende Quellen gefunden und zunächst als Gesundheitsbad hergerichtet worden.
Später wurde das Wasser hier neu erschlossen und 1767 als großer rotundenförmiger Gesundheitsbrunnen für Trinkkuren gefasst, wie er noch heute das Zentrum des Fürstenlagers ausmacht. Im gleichen Zuge wurde dann die Quelle in Hochstädten gefunden und im Auftrag des landgräflichen Hauses einige Jahre später, 1787, in ähnlicher Form ausgebaut.
Die mehr als zwei Meter tiefe Kreisform wird hier über eine Treppenanlage an der Westseite erschlossen. Unter dem ebenen Boden verläuft ein System verdeckter Kanäle zur Ableitung des Wassers, das wegen des heute kaum noch fließenden Quellwassers eher überflüssig erscheint. In der Mitte steht ein runder Steintisch. In der umgebenden runden Stützmauer sind zwei verschließbare Brunnenstuben und zwei aufwändig gestaltete Wandbrunnen aus Sandstein eingelassen. Als Wasserspeier fungieren zwei lebensgroß gestaltete Löwenköpfe, ebenfalls aus Sandstein. Eine steinerne Bank an der umlaufenden Wand umgibt das gesamte Rund. Während oben ursprünglich keine Schutzvorrichtung war, umgibt wohl seit den 1960er Jahren ein Metallgeländer die Anlage.
An diesem als Bestandteil des Fürstenlager-Ensembles zu denkenden, von Linden umstandenen Ort konnten die Gäste das Wasser trinken, dem besondere gesundheitliche Wirkung zugeschrieben wurde. Doch wäre man vom Fürstenlager nicht zu diesem Brunnen gekommen, hätte man nicht schon 1783 eine schöne Steinbrücke gebaut, die hier noch heute Fußgänger wie Rad- und Autofahrer trocken über die Auer bringt.
Literarische Spurensuche
Als Gesundbrunnen also war die Anlage errichtet worden, aber bekannter ist sie heute unter dem Namen „Goethebrunnen“ – obwohl es keinen Hinweis darauf gibt, dass Goethe bei seinen Aufenthalten an der Bergstraße jemals in Hochstädten oder im Fürstenlager war. Doch meinte man, in dessen 1797 erschienenem Epos „Hermann und Dorothea“ eine genaue Beschreibung des Brunnens zu finden, so wie man auch meinte, der Dichter habe Zwingenberg mit dem Bunten Löwen als Schauplatz beschrieben.
Doch war es noch Goethe selbst, der sich solche Spurensuche verbat: „Da wollen sie wissen, welche Stadt am Rhein bei meinem Hermann und Dorothea gemeint sei! – Als ob es nicht besser wäre, sich jede beliebige zu denken! – Man will Wahrheit […] und verdirbt dadurch die Poesie.“ (Gespräch mit Johann Peter Eckermann im Dezember 1826).
Schaut man in Goethes Text, dann könnte es sich allerdings tatsächlich um den hiesigen Brunnen handeln: „Sag, warum kommst du allein zum Quell, der doch so entfernt liegt, Da sich andere doch mit dem Wasser des Dorfes begnügen? Freilich ist dies von besonderer Kraft und lieblich zu kosten. Jener Kranken bringst du es wohl, die du treulich gerettet?“, fragt Hermann und die Gesundheit spendende Kraft dieses besonderen Wassers wird später nochmal betont.
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An anderer Stelle ist von der Bauart des Brunnens die Rede: „Von dem würdigen Dunkel erhabener Linden umschattet, Die Jahrhunderte schon an dieser Stelle gewurzelt, War mit Rasen bedeckt ein weiter grünender Anger, Vor dem Dorfe, den Bauern und nahen Städtern ein Lustort. Flach gegraben befand sich unter den Bäumen ein Brunnen. Stieg man die Stufen hinab, so zeigten sich steinerne Bänke, Rings um die Quelle gesetzt, die immer lebendig hervorquoll, Reinlich, mit niedriger Mauer gefasst, zu schöpfen bequemlich.“
Doch waren Gesundbrunnen im 18. Jahrhundert allerorten en vogue und Wasser galt als Heilmittel gegen eine lange Liste an Gebrechen, sowohl, wenn man es trank, als auch, wenn man darin badete. Und was die Bauart betriff, so bleibt die Beschreibung doch einigermaßen vage und allein die Durchsicht der Illustrationen, die zu Goethes Epos im Lauf der Jahrhunderte herausgebracht wurden, zeigt eine ganze Menge plausibler Umsetzungen – und keine gleicht dem hiesigen Gesundbrunnen.
Heute befindet sich der Brunnen ganz nah beim viel später errichteten Hochstädter Haus – einem ursprünglich zum Marmorit-Werk gehörenden Gebäude, das zum Dorfgemeinschaftshaus umgebaut wurde. Der Untertage-Abbau des Marmorit-Werks soll übrigens zum Versiegen des Brunnens beigetragen haben.
Doch es gibt noch eine weitere, wirklich schlimme Geschichte aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu erzählen: Im Winter 1944/45 wurde das Bergwerk für die Rüstungsproduktion genutzt. Täglich von Auerbach hinauf zum Stollen wurden rund 130 aus Athen verschleppte Griechen getrieben, die hier als Zwangsarbeiter in unvorstellbarem Ausmaß misshandelt wurden. Viele starben oder wurden ermordet.
Diese Menschen erhielten keine Kleidung und kaum Nahrung. Sie durften sich nicht in geheizten Räumen aufhalten, sondern sie mussten – spärlichst bekleidet – im Goethebrunnen ausharren.
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