Bensheim. Links des Neuen Schlosswegs, der von der Nussallee hoch zum heute nicht mehr passierbaren Schönberger Schloss führt, steht ein schwarzer Gedenkstein, den man leicht übersehen kann. Er wurde weder für den Ort geschaffen noch besonders gut gestaltet – und auch die eingravierten (?) Verse klingen holprig.
Das unscheinbare Monument, das vom Lauf der Dinge hierher gespült wurde, erzählt mehrere traurige Geschichten und erinnert – trotz der gegenteiligen Beschwörung und der wohl ehemals güldenen Lettern – an das eher glücklose Schicksal eines jungen Mannes:
„An Alexander! / Hessens Sohn Du tapfrer Führer / der Bulgaren / Deinen Ruhm wird die Geschichte / treu bewahren / schreibst ins heimatliche / Felsgestein, / leuchtend ihn mit gold’nem Griffel ein. / E.M.“
Mit den Bulgaren, auf die in der Inschrift hingewiesen wird, sind die Bürger des Fürstentums Bulgarien gemeint, das 1878 als Ergebnis nationaler Bestrebungen entstand. Die bulgarischen Gebiete lösten sich aus dem Osmanischen Reich, dem sie rund 500 Jahre lang angehört hatten.
Unterstützt wurde die auch mit militärischen Mitteln erkämpfte Gründung des neuen Staates durch Russland. Regieren sollte das Land, so vereinbarten es die europäischen Großmächte mit dem Osmanischen Reich, ein von einer bulgarischen Versammlung gewählter Fürst, der jedoch kein Russe sein sollte.
Diese Bedingung erfüllte, obwohl er ein naher Verwandter, nämlich Neffe des russischen Zaren war, Alexander von Battenberg (geboren 1857; gestorben 1893).
Dieser war ein Enkel des Großherzogs Ludwig II. von Hessen. Ebenso wie seine Schwester Marie, die spätere Fürstin zu Erbach-Schönberg, entstammte er der nicht standesgemäßen Verbindung seines Vaters mit der Gräfin Julia Hauke. Der damals erst 22-jährige Alexander von Battenberg wurde 1879 von der bulgarischen Nationalversammlung einstimmig zum Fürsten Alexander I. von Bulgarien gewählt.
Während der gut sieben Jahre, in denen Alexander bulgarisches Staatsoberhaupt war, entstand eine stetig größer werdende Kluft zwischen ihm und Russland. Zar Alexander II. fiel 1881 einem Attentat zum Opfer. Ihm folgte sein Sohn Alexander III. auf dem Thron, der eine starke persönliche Abneigung gegen seinen Cousin in Bulgarien hegte.
Prorussische Kräfte im Land machten dem bulgarischen Fürsten außerdem das Leben schwer, in dem Maße zunehmend, in dem der Fürst die Vereinigung mit Südbulgarien/Ostrumelien (das vertraglich von Bulgarien abgetrennt zunächst noch unter osmanischer Herrschaft gestanden hatte) sowie liberale und demokratische Entwicklungen unterstützte.
Marionette auf dem Thron
Als Marionette auf dem bulgarischen Thron eingesetzt, war Alexander weniger willig als geplant. Die russische Seite reagierte mit Verschwörungen, Entführung und einem erfolglosen Putschversuch. Im September 1886 trat Alexander I. angesichts der Feindschaft des russischen Zaren und auf Druck auch des Deutschen Reichs von seinem Amt zurück.
Wenn die an Alexander direkt gerichtete Inschrift auf dem Gedenkstein also von seiner tapferen Führerschaft und seinem Ruhm spricht, so klingt das vor diesem geschichtlichen Hintergrund wie ein Trost für einen Gescheiterten. So hat es wohl auch seine Schwester Marie zu Erbach-Schönberg empfunden, die in ihren Memoiren ausführlich über ihre Beziehung zu dem von ihr sehr geliebten Bruder „Sandro“ berichtet. Angesichts seines Todes 1893 an einem Blinddarmdurchbruch schrieb sie: „Die Unsterblichsten sind die Großen, von denen die Erde nichts weiß!“
Über „Sandros“ Tapferkeit schreibt sie, „Der junge deutsche Prinz hatte mit einer Handvoll ebenso junger begeisterter Krieger den an Zahl überlegenen Feind aus dem Felde geschlagen“, nämlich die Serben, die den Bulgaren die Vereinigung mit Ostrumelien streitig machten. Es ging um die Vorherrschaft auf dem Balkan, ein Konflikt, der später zur Katastrophe des Ersten Weltkriegs maßgeblich beitragen sollte.
Dass Alexander sein Leben für Bulgarien riskierte, scheint eher die Folge seiner Anpassung an die Geschehnisse als die Verwirklichung einer Vision gewesen zu sein. Nach einem Aufstand in Südbulgarien/Ostrumelien schloss sich dieses Gebiet an das Fürstentum Bulgarien an und Alexander blieb eigentlich keine andere Wahl, als diese Vergrößerung Bulgariens voranzutreiben – auch wenn er die Bulgaren, die er zugleich für ihre Standhaftigkeit und Ausdauer lobt, in einem Brief an seine Eltern als schlechte Nachbarn Serbiens beschrieb, die aus „politischer Kurzsichtigkeit und aus Hang zu demagogischen Umtrieben Serbien und seinen König fortgesetzt […] vor den Kopf gestoßen“ hätten.
Schon die Erhebung zum Fürsten von Bulgarien war nicht Alexanders eigener Wunsch gewesen. Als sie sich abzeichnete, sagte er laut den Aufzeichnungen seiner Schwester: „Oh, wünscht mir nicht, dass ich in die Lage käme, aus Rücksicht für die Wünsche unserer russischen Verwandten, diesen Thron annehmen zu müssen. Jedes Glück im Leben wäre damit auf immer dahin, denn wenn ich hingehe, werde ich nur bulgarischen Interessen dienen und nicht den russischen, und das verzeiht Russland nie!“ Zerrieben im europäischen Mächtespiel fühlte Alexander sich vom ersten Moment an unwohl in seiner Rolle. Er sah sich „gehetzt von allen Seiten wie ein jagdbares Reh“ und verglich zuletzt seinen Thron mit einer „geladenen Dynamitbombe“.
Wann der Stein gesetzt wurde, ist nicht bekannt. Die von der Hessischen Denkmalpflege veröffentlichten Informationen nennen als wahrscheinliche Auftraggeberin Marie zu Erbach-Schönberg und als Aufstellungsort das Hofgut Hohenstein bei Reichenbach, von dem er 1956 an den heutigen Standort versetzt wurde. Damals wurde das zuvor den Fürsten von Erbach-Schönberg gehörende Hofgut verkauft.
Als wahrscheinliche Verfasserin der Verse nennt die Hessische Denkmalpflege die Darmstädter Schriftstellerin Emilie Mangold, deren Initialen sich unter den Versen befunden haben sollen, heute aber nicht mehr lesbar sind.
Die 1831 geborene Angehörigen einer Familie von Hofmusikern, die seit dem 18. Jahrhundert das kulturelle Leben am Darmstädter Hof mitgestalteten, veröffentlichte Gedichte unter anderem in der „Darmstädter Zeitung“ und dem „Hessischen Evangelischen Sonntagsblatt“. Von ihr stammt unter anderem auch ein 1872 datiertes Trauergedicht für das Haus Erbach-Schönberg, darüber hinaus erhielt sie eine Hofgnadenpension des Darmstädter Hofs. Emilie Mangold starb im April 1897, also nach dem Tod Alexanders. Als Entstehungszeit des Steins könnte man also sowohl den Tod des bulgarischen Ex-Fürsten als auch den Zeitpunkt seiner Abdankung annehmen.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-der-alexanderstein-in-schoenberg-_arid,1947124.html