Abseits vom heutigen Verkehr auf der B47 und den sie umspielenden Umgehungsstraßen liegt an der Gemarkungsgrenze zwischen Lorsch und Bensheim die Wattenheimer Brücke. Heute lassen sich hier gern Radler zur Rast nieder – vor allem, seit im Zuge der Renaturierung der Weschnitz ein attraktiver Aussichtspunkt geschaffen wurde, bei der die historische Brücke mit ihren drei mit Sandstein gemauerten Bögen vielleicht ein wenig aus dem Zentrum des Interesses geraten ist.
Kaum zu glauben, dass hier früher ein wichtiger Verkehrspunkt lag. Wer nämlich von Bensheim den Neugraben entlang Richtung Rhein ging oder fuhr, passierte an der Wattenheimer Brücke nicht nur die Weschnitz unweit der Mündung des vom Bensheimer Rinnentor hierherführenden Neugrabens, sondern auch eine Grenze zwischen der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt und dem Kurmainzer Gebiet. Denn das zum Kurfürstentum Mainz gehörende Bensheimer Gebiet lag als zottiges Gebilde zwischen der Kurpfalz, der Landgrafschaft Hessen und der Grafschaft Erbach.
Bis 1774 eine Holzkonstruktion
Die heutigen Ost-West-Verbindungen wie die Schwanheimer und die Wormser Straße/B47 existierten noch nicht und sollten erst im 19. Jahrhundert entstehen. Der Weg nach Westen führte entlang des Neugrabens über die Weschnitz Richtung Wattenheim am Rhein.
Wer über die Brücke wollte, musste Zoll entrichten. Lang war die Wattenheimer Brücke aus Holz gezimmert gewesen, doch wurde sie im Jahr 1774 durch die noch heute erhaltene Steinkonstruktion ersetzt. Nur noch gut dreißig Jahre markierte die Brücke dann die wichtige Zollstation, dann war mit der Neuordnung Deutschlands nach den Napoleonischen Kriegen die Grenze obsolet geworden, denn das Kurfürstentum Mainz gab es nun nicht mehr und die hiesige Region bis zum Rhein wurde Hessen zugeschlagen.
Schutz der heimischen Wirtschaft
Aber auch ein Wirtschaftssystem war an sein Ende gekommen, in dem die Erhebung von Zöllen eine besondere Rolle spielte. Während Zölle schon seit Urzeiten im Wesentlichen als „Passierzoll“ für die Benutzung von Wegen, Brücken, Hafenanlagen oder auch als „Geleitzoll“ für den (zum Beispiel mit Waffengewalt) geschützten Handelsverkehr existierten – und also immer mit einer Gegenleistung verbunden waren – bekamen ab dem 16. Jahrhundert mit dem Merkantilismus Zölle die besondere Aufgabe des Schutzes der heimischen Wirtschaft vor Konkurrenz: Hohe Einfuhrzölle machten auswärtige Waren teurer! Die Erhebung von Zöllen wurde zur Einnahmequelle von Territorialherren und Städten, und Mitte des 17. Jahrhunderts gab es auf deutschem Gebiet mehr als tausend einzelne Zollgebiete.
Die Zollmodalitäten wurden in entsprechenden Verordnungen akribisch geregelt. So etwa verlangte die Kurpfalz Zoll für die Einfuhr von Glas zugunsten der Glashütte im Oberamt Lindenfels. Der Hessen-Darmstädtische Hof erließ zum Beispiel 1706 eine „Land-Zoll- und Wollkaufs-Ordnung“ samt „Gülden-Wein-Zoll-Ordnungen“, wo unter anderem im Detail geklärt ist, wie ein Lamm verzollt werden muss, je nachdem, ob es noch mit der Mutter läuft oder nicht, oder wer das Geld entrichten muss, das für passierendes Zugvieh bezahlt werden muss – und wie diese Verzollung durch die Fuhrleute genau ausgewiesen werden muss. Bier in haushaltsüblichen Mengen durfte übrigens zollfrei eingeführt werden.
Ob es ein Zufall ist, dass die steinerne Wattenheimer Brücke genau im Jahr des Amtsantritts des vorletzten Kurfürsten und Erzbischofs von Mainz, Friedrich Karl Joseph Reichsfreiherr von Erthal, im Jahr 1774 errichtet wurde? Dieser führte Reformen im Kurfürstentum, die unter anderem dessen Effizienz und Wirtschaft steigerten.
Eine ganz ähnliche Brücke gibt es übrigens in Heppenheim. Dort führt die zweibogige „Postbrücke“ über die Neue Weschnitz und ermöglichte die direkte Postverbindung von Heppenheim nach Mannheim.
Zwei Flugsanddünen
Doch nicht nur das schöne Sandsteinbauwerk macht die Gegend um die Wattenheimer Brücke so interessant. Zwei unter den Namen „Kannengießer Berg“ und „Feuerstein Berg“ bekannte Flugsanddünen liegen östlich der Brücke. Sie gehören zu dem etwa 130 Kilometer langen Band von Dünenflächen in der Oberrheinischen Tiefebene und bildeten sich bis vor etwa 10 000 Jahren. Damals war es in Mitteleuropa etwa zehn Grad kälter als heute. Die Vegetation bestand aus niedrigen, frostunempfindlichen Pflanzen wie Flechten und Moosen, Gräsern, Kräutern und niedrigen Sträuchern.
In dieser baumlosen Landschaft konnte der Wind ungebremst Sand und Schluff über weite Strecken wehen und trennen – Sand lagerte sich früher ab, Schluff wurde weiter transportiert.
Der Neckar floss damals erheblich weiter nördlich als heute und mündete erst bei Trebur, nördlich von Darmstadt, in den Rhein. Zwischen Rhein und Odenwaldsaum schuf er eine Auenlandschaft mit vielen Schlingen, Altwässern und verlandeten Armen.
Archäologen fanden hier später Objekte aus Steinzeit, Bronzezeit und römischer Antike – ein Hinweis auf den wertvollen Lebensraum mit fruchtbarem Boden und günstigen Bedingungen für die Jagd und den Fischfang, den die Menschen hier vorfanden. Es sind in der Umgebung der Brücke 7000 Jahre alte Zeugnisse des Wegebaus gefunden worden.
Bald nach der Neuordnung Deutschlands nach 1803 verlor der Ort seine Jahrtausende alte Bedeutung. Schon eine 1839 erstellte Straßenkarte des Großherzogtums Hessen verzeichnet die heutige Wormser Straße als schnurgerade Verbindung in Ost-West-Richtung, die die Weschnitz ein ganzes Stück südlich der Wattenheimer Brücke überquert.
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