Der Bergsträßer Blütenweg und seine Entstehungsgeschichte

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Das gelbe „B“ weist den (Blüten-)Weg: An der Bergstraße blühen die Obstbäume besonders früh – sei es zwischen Auerbach und Zwingenberg (M.) oder zwischen Bensheim und Heppenheim (r.). © Bambach

Als „Stadt der Blüten und des Weins“ vermarktete sich die Stadt Bensheim über lange Jahre. Und wenn auch die Obstblüte als Fremdenverkehrsfaktor etwas aus dem Mittelpunkt des Interesses geraten scheint, ist sie nach wie vor etwas, was zum Selbstbild der Bensheimer gehört. Nicht umsonst wird jedes Jahr eine Blütenkönigin gekrönt. Und wer spaziert nicht hin und wieder gern auf dem Blütenweg, der sich, ausgezeichnet mit einem gelben „B“, am oberen Rand der Bebauung und zwischen den Städten und Gemeinden entlang des Westhangs des Odenwalds hinzieht.

Kaum zu glauben, dass es diesen über weite Strecken idyllischen Weg nicht schon seit ältesten Zeiten gibt! Umso schmerzlicher ist die Entdeckung, dass dieser Weg, der ja nicht nur Bensheimer Gebiet durchzieht, sondern – heute als Hauptwanderweg 3 des Odenwaldklubs – über 95 Kilometer von Darmstadt-Eberstadt bis Wiesloch führt, ausgerechnet eine Erfindung der Nazizeit war.

© Cimander

In einer im Mai 1939 veröffentlichten Ausgabe der Zeitschrift „Der Blumen- und Pflanzenbau“ heißt es: „Auf Anregung des Verkehrsverbandes Rhein-Main wird gleichlaufend mit der Bergstraße, von Darmstadt bis Heidelberg führend, ein Blütenweg angelegt. Der Weg wird sich am Gebirgshang entlang durch das Obstbaugebiet ziehen. Handgeschnitzte Schilder werden als Wegweiser angebracht. Durch diesen neuen Weg soll besonders den Fußwanderern die Schönheit der Obstbaumblüte an der Bergstraße erschlossen werden.“

„Straße der Erholung“

In einem Fremdenverkehrsprospekt eben des genannten Verkehrsverbandes Rhein-Main aus dem Jahr 1936 wird die Bergstraße wegen der gerade fertiggestellten, parallelen Reichsautobahn nunmehr als „Straße der Erholung“ beworben. Im Text wird behauptet, die Baumblüte sei „weltbekannt“ und: „Das Blütenwunder der Bergstraße ist keine Erfindung geschickter Werbefachleute, nein – es ist ganz einfach ein Naturereignis“. Beim Durchblättern der damals gebräuchlichen Reiseführer scheint es aber, als hätten diese das Thema für die nördliche Bergstraße noch gar nicht im Visier gehabt. Dafür zeigt der reich bebilderte genannte Prospekt der 1930er Jahre die Baumblüte dann auf buchstäblich jedem der vielen abgebildeten Landschaftsfotos, nicht nur von Bensheim, sondern auch von Seeheim bis Heppenheim.

In Bezug auf Bensheim und Umgebung waren lang vor allem das milde Klima und der Wein hervorgehoben worden, von Fruchtbäumen war allenfalls mit der Bemerkung „hie und da“ die Rede gewesen. Viel früher scheint jedoch in der Heidelberger Gegend verstärkt Obst angebaut worden zu sein. In dem Buch „Vorzeit und Gegenwart an der Bergstrasse, dem Neckar und im Odenwald“, erschienen 1828, lobt der Autor Albert Ludwig Grimm den Aussichtsturm auf dem Melibokus , findet Auerbach sei ein „wenig besuchter Curort“ und nennt Bensheim ein „gewerbsames Städtchen“.

© Bambach

Von Handschuhsheim dagegen heißt es, es sei der „Gemüse- und Obstgarten von Heidelberg, dessen frühreife Kirschen im May und Juny wagenweise nach Darmstadt, Frankfurt Heilbronn u. s. w. gefahren werden“. Der Autor kannte die Gegend ziemlich gut, da er in Weinheim lebte.

Schon in einem Bericht über die Bergstraße von 1814 hatte der livländische Autor und Forstwirt Andreas von Löwis of Menar, der in Schwetzingen ausgebildet worden war, von der Blütenpracht im Frühjahr geschwärmt. Doch auch dieser Autor bezog sich auf den Bereich zwischen Weinheim und Heidelberg.

Initiative von Wilhelm Euler

Es scheint, dass die Obstblüte zur Frühlingszeit überhaupt erst im 19. Jahrhundert ins Bewusstsein der Reisenden rückte. Ein Grund könnte der bessere Ausbau der Straßen gewesen sein. Erst dann war eine Reise im Frühling jedenfalls bequem zu unternehmen, während zuvor nur Sommer und Frühherbst als Reisezeit in Frage kamen.

Es sollte erst der Kommerzienrat Wilhelm Euler sein, der den Bensheimer Obstanbau – wie so viele andere regionale Initiativen – anschob. 1891 rief er zur Gründung eines Obst- und Gartenbauvereins auf und hatte dabei an seiner Seite Fachleute wie den Hofgärtner des Schönberger Schlosses und Vertreter des Landwirtschaftsamts Worms (das wie Bensheim zum Großherzogtum Hessen gehörte). Man pries das Bergsträßer Klima und den Obstbau als Mittel zur Hebung und Förderung des Wohlstands. 1928 wurde in Zwingenberg dann die Halle für die Obstanlieferung geöffnet, von der aus die Früchte in die Großstädte der Umgebung gingen. Die Betonung der Obstgärten machte sich übrigens auch Wilhelm Eulers bevorzugter Architekt Heinrich Metzendorf bei seinen Villenbauten zum Anliegen.

Natürlich war die Bergstraße nicht die einzige Gegend, in der der Obstbau am Ende des 19. Jahrhunderts boomte. Zuvor hatte man sich dabei auf Streuobstwiesen, Wegrandpflanzungen für den Eigenbedarf oder den Nebenerwerb beschränkt. Nun aber wurde der Anbau professionalisiert: 1896 gründete Otto Schmitz-Hübsch in der Nähe von Bonn das erste reine Obstgut zum großflächigen, rationellen Apfel- und Birnenanbau.

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