Bensheim. Ob die drei alten Jungs noch mal zusammen auf der Bühne stehen werden, ist fraglich. Somit war es möglicherweise eine Art „Abschiedstournee“, die die legendäre (Jazz- und Prog-)Rockband Colosseum im Bensheimer Musiktheater Rex über zwei Stunden lang zelebrierte. Und wie.
Zwar ist von den Urmitgliedern keiner mehr dabei, aber dafür drei von den kurz danach eingestiegenen – und das vor über 50 Jahren. Die zeigen in zwei Lehrstunden, wie Bombastrock mit jazzigen, souligen und bluesigen Einsprengseln „at its best“ aussehen muss. Ein denkwürdiger Abend, den man erlebt haben muss.
Mastermind Jon Hiseman, der die Supergroup 1968 ins Leben rief, ist leider nicht mehr an Bord. Er starb 2018. Aber seine Nachfolger wissen genauso gut, wie sie ihre Instrumente zu bedienen haben. Allen voran der 71-jährige Gitarrist „Clem“ Clempson, der von den ruhigen Balladen bis zu den harten Rockern alles drauf hat. Kein Wunder, dass er nach der ersten Colosseum-Phase als Ersatz für Peter Frampton bei Humble Pie verpflichtet wurde.
Bassist Mark Clarke ist mit seinen 71 Lenzen der Springsinsfeld auf der Bühne. Er stieg zwar als „Letzter“ der verbliebenen drei im September 1970 bei der Band ein, ist aber auf der Bühne tonangebend. Zum einen mit seinem eindrucksvollen Bassspiel, zum anderen mit seinem ausdrucksvollen Gesang, mit dem er mehreren selbst geschriebenen Songs seinen Stempel aufdrückt.
Mit 81 Jahren geht die Post ab
Und dann noch der Grandseigneur und „Opa unter den Senioren“: Sänger Chris Farlowe. Für die Bluesrockröhre scheinen die Auftritte ein Jungbrunnen zu sein. Der 81-Jährige macht zwar ab und zu mal ein Päuschen, wenn seine Kollegen instrumental losfetzen oder Clarke das Mikro übernimmt. Steht er jedoch auf der Bühne, gehört die ganz ihm. Ein paar Witzchen mit britischem Humor, ein Kokettieren mit seinem Alter, dann geht die Post ab.
Schon der Opener zeigt in elf Minuten die einsame Klasse der Gruppe. Die sechs Musiker bringen in einem Song alles unter, was ein Konzert braucht: fette Gitarrensoli, stimmige Harmonien, schnelle Rhythmuswechsel, dichten Orgelteppich, wummernde Bassläufe – und ein Saxophonspiel zum Niederknien.
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Dick Heckstall-Smith, leider ebenfalls bereits verstorben, prägte den Einsatz dieses Instruments in früheren Jahren, neigte dabei aber immer etwas zum Improvisieren und Experimentieren. Jetzt ist der Kanadier Kim Nishikawara dabei. Er agiert sehr präsent, prägt etliche Songs mit seinen melodischen Tönen, bekommt ein ums andere Mal Zwischenapplaus für seine Künste. Eine echte Bereicherung.
An Hammond-Orgel, Piano, Synthesizern und Gesang ist Nick Steed unüberhörbar. Auch er ist neu mit im Coloseum-Boot, auch er kann es mit seinem Vorgänger Dave Greenslade aufnehmen. Bleibt noch Malcolm Mortimore am Schlagzeug, der in die sehr großen Fußstapfen von Jon Hiseman treten muss. Sicher spielt er sich nicht so in den Vordergrund wie der verstorbene Band-Gründer, muss kein Solo haben, um zu zeigen was er kann. Denn dass er was kann, merkt man sofort.
Neues Studioalbum
Die Fans haben natürlich auf die Klassiker gewartet, die 50 Jahre oder mehr auf dem Buckel haben. Etwa das Genre-prägende „Valentyne Suite“ von 1969, mit dem die Band damals Zeichen setzte. Klassik, Jazz, Blues, Soul, Hardrock: Bester Prog-Rock, obwohl es den damals eigentlich als Begriff noch gar nicht gab. Über 20 Minuten lang darf jeder Mal ran, einer besser als der andere. Es ist komplex, vielschichtig, experimentell: eben Colosseum.
Doch auf den Lorbeeren ruht sich das Sextett garantiert nicht aus. Denn ganz überraschend warf die Band vor kurzem mit „Restoration“ ein neues Studioalbum nach jahrelanger Pause auf den Markt. Und zeigt darauf, dass sie nach wie vor lebt und vibriert. Stücke wie „Story of the Blues“, „Hesitation“ oder „First in Line“ sind zwar nicht mehr so experimentell und jazzig wie die der Anfangsjahre, atmen aber noch den Geist der 70er. Auch das Cover-Artwork zeigt Anklänge an die legendäre Platte „Colosseum Live“ von 1971.
Die Fans, wenn nicht der ersten, so zumindest der zweiten Stunde, halten den Altvorderen nach wie vor die Treue, was der sehr gute Besuch im Musiktheater Rex zeigt. Sie werden nicht enttäuscht. Nach einem Blues-Klassiker, bei dem noch einmal Saxophon, Orgel und Gitarre jungen Musikern zeigen, wo der Hammer hängt, gibt’s den Klassiker zum Schluss: „Lost Angeles“.
Clempson explodiert förmlich in seinem Gitarrenspiel, Clarke scheinen demnächst die Finger abzufallen, Nishikawara quetscht alles aus seinem Instrument raus. Die Band zeigt noch einmal, warum sie vor über 50 Jahren zu den einflussreichsten ihres Genres gehörte und viele andere Musiker beeinflusste.
Schluss ist aber immer noch nicht. Nach der Zugabe setzt sich die Band weit nach 23 Uhr noch brav an den Autogrammtisch.
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