Bensheim. Der Hessische Demokratietag 2022 kehrte in den Süden des Landes zurück. Nach Stationen in Hanau und Kassel war am Donnerstag Bensheim die Bühne für verschiedene Workshops und demokratiebezogene Projektpräsentationen aus hessischen Schulen. „Demokratie – was uns bewegt“ lautete der Titel der bislang 13. Veranstaltung, die ganztätig in der Geschwister-Scholl-Schule (GSS) stattgefunden hat.
Ein Schwerpunkt lag auf Initiativen, die im vergangenen Schuljahr am Bundeswettbewerb „Demokratisch Handeln“ teilgenommen haben. Der gemeinsame Austausch sollte Jugendliche darin bestärken, aktiv für demokratische Werte einzustehen – gerade in einer Zeit, in der Frieden und Freiheit auf vielfache Weise bedroht sind. Auch der russische Krieg in der Ukraine war in der GSS ein Thema. Die Invasion in Osteuropa zeige, dass Frieden, Freiheit und demokratisches Zusammenleben keineswegs selbstverständlich seien, sondern jeden Tag aufs Neue von mutigen Bürgern erstritten werden müssten, so der Hessische Kultusminister Ralph Alexander Lorz: „Ich danke allen teilnehmenden Schülern sehr für den heutigen Austausch und für ihr Engagement“, sagte Lorz in Bensheim.
Zu mündigen Bürgern erziehen
Niemand werde schon als Demokrat geboren, so der 56-Jährige, der seit 2014 als Chef der obersten Schulaufsicht die Themen Bildungsplanung und Lehrplanentwicklung verantwortet. Demokratie bezeichnete er als eine Regierungsform, die möglichst früh vermittelt und täglich mit Leben gefüllt werden müsse. Es sei daher eine der Hauptaufgaben von Schule, Kinder und Jugendliche zu mündigen Bürgern zu erziehen und die Demokratie als Staats- und Gesellschaftsform wehrhaft zu machen gegen populistische Anfeindungen von links oder rechts. Der Hessische Demokratietag als Gemeinschaftsprojekt zahlreicher Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft leiste dazu einen wichtigen Beitrag und biete Lehrkräften ein hervorragendes Forum zum Austausch.
Der Begriff hat an diesem Tag besonders gepasst. Schüler aus ganz Hessen trafen sich im Forum zur Eröffnung der Veranstaltung und einem anschließenden Podiumsgespräch, bevor man bei Präsentationen und Mitmachangeboten auf dem gesamten Schulgelände Demokratie aus allen Perspektiven erleben konnte. Am Nachmittag fanden Workshops für Jugendliche und Erwachsene statt. Dabei ging es auf sehr unterschiedliche Weise darum, wie und auf welchen Ebenen sich junge Menschen in demokratische Prozesse einbringen und selbst etwas bewegen können.
Auf dem Podium, das von Mitgliedern der GSS-Politikwerkstatt moderiert wurde, ging der Minister näher auf aktuelle Herausforderungen der Demokratieerziehung ein: „Das Erlernen von Streitfähigkeit und das friedliche Austragen von Konflikten sind grundlegende Kompetenzen, die im Privaten wie auch in der Schule eingeübt werden müssen.“
Weil man aber nicht mehr in der Qualität wie früher darauf vertrauen könne, dass die Kernelemente gesellschaftlichen Zusammenlebens bereits im Elternhaus vermittelt werden, komme insbesondere den Lehrern eine immer entscheidendere Rolle zu, so Lorz in Bensheim. Die Bildungsverwaltung sei daher eine wichtige Ergänzung der klassischen Erziehungsarbeit.
Persönlich habe er bereits während seiner Schulzeit in Wiesbaden erste Interessen für Politik und Demokratie entwickelt. Mit zwölf Jahren wurde Lorz Mitglied der Schüler-Union, mit 15 der Jungen Union, die er später auch im Landesvorstand vertreten hat. Ab 2007 war der Rechtswissenschaftler Staatssekretär im hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, danach im Kultusministerium. Dann kam das Angebot für den Ministerposten. Als Hochschulprofessor und Parteimitglied habe er die Strukturen in Universität und Politik bereits gekannt. „Verwaltung musste ich aber noch lernen.“
Nach den Partizipationsmöglichkeiten für Jugendlichen gefragt, sagte er, dass dieser Beteiligungsprozess niemals zu Ende oder fertig gedacht sei. Im Vergleich zu seiner eigenen Jugendzeit sei man heute aber bereits sehr viel weiter. „Ein Demokratietag in der Schule war kaum denkbar.“ Man müsse immer wieder neue Formen und Qualitäten der aktiven Beteiligung diskutieren. Auf die Frage eines Bensheimer Lehrers, ob man das Schulfach „Powi“ (Politik und Wirtschaft) nicht schon in jüngeren Jahrgängen lehren sollte, sagte der Minister, dass diese Themen – wie gehandhabt – für den Unterricht ab der 7. Klasse geeignet seien.
Defizite in lokaler Jugendarbeit
Die Bensheimer Bürgermeisterin Christine Klein, die ebenfalls Schulsprecherin war und über ihre Tätigkeit bei der Polizei in die Kommunalpolitik gekommen war, erkennt Defizite in der lokalen Jugendarbeit. Wenn junge Menschen in örtliche Entscheidungsprozesse integriert werden sollen, dann brauche man die richtigen Strukturen. „Demokratielernen beginnt schon in Kita und Schule.“ Klein bezeichnete es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sich für Heranwachsende einzusetzen und ihnen Spielräume zum Mitbestimmen zu ermöglichen. Sie beobachte es daher mit großer Zuversicht, dass in Bensheim momentan die Parteijugend überparteilich immer häufiger zusammenarbeitet und neue Initiativen entstehen.
„Der erste Schritt ist Zuhören“, sagte Landrat Christian Engelhardt. Er setzt auf aktive Kommunikation – auch über die sozialen Medien und Netzwerke. Auch so könne man Ebenen zur Partizipation abseits klassischer Formate schaffen.
Dass es ohne gegenseitiges Verstehen nicht funktioniert, zeigt sich laut Ralph Alexander Lorz auch bei der Frage der Eingliederung. Mit Blick auf die Ukraine nannte er die Überwindung von sprachlichen Barrieren als zentralen ersten Schritt für alles weitere. Der Minister bezog sich in Bensheim auch auf die jüngsten Beschlüsse der Kultusministerkonferenz: die Kultusminister der Länder haben Leitlinien für die Beschulung von Geflüchteten aus der Ukraine verabschiedet, die zunächst bis zu den Sommerferien gelten.
Die Länder stellen mit ihrem Beschluss sicher, dass sie im Rahmen ihrer bestehenden und erprobten Konzepte zur Integration den aktuell über 100 000 zugewanderten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine zu ihrem Recht auf Bildung verhelfen. Alle 16 Länder seien sich der Lage bewusst und ergriffen nun landesspezifisch passende Maßnahmen, so Lorz, der auch die Bildungspolitik der Ukraine lobte: „Dieses Land kümmert sich herausragend um seine Schüler.“ Der Staat funktioniere weiterhin beeindruckend gut. Selbst im Kriegszustand sorge man für einen weltweiten Online-Unterricht.
Zurück nach Deutschland: Es gehe bei einer erfolgreichen Integration aber nicht nur um Sprachkurse: „Wir brauchen ein echtes Interesse für die Schicksale dieser Menschen.“ Für die Begegnung mit Geflüchteten seien vor allem Empathie und Fingerspitzengefühl nötig. „Wenn dies gelingen kann, dann an einer Schule wie dieser“, so der Kultusminister. Ein Kommentar, der in der Schulgemeinde mit einem Lächeln vernommen wurde.
Dass es beim Thema Demokratiebildung auch um die engagierten Akteure vor Ort geht, machte Stefan Trier aus der Schulleitung deutlich. Er würdigte einen langjährigen Lehrer der GSS, der sich seit Jahrzehnten für Freiheit, Toleranz und Menschenrechte einsetzt: Manfred Forell, städtischer Integrationsbeauftragter, der 2018 an der kooperativen Gesamtschule verabschiedet wurde und am Donnerstag ebenfalls anwesend war, habe stets mit Leidenschaft für Demokratie gekämpft, so Trier. Auch ihm gebührte ein Applaus.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-christine-klein-demokratielernen-beginnt-schon-in-kita-und-schule-_arid,1953205.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html