Bensheim. Der Kalte Krieg war vorüber, die großen Weltkriege ohnehin. Einen Bunker? Wer braucht den noch, abgesehen von Zeitgenossen, die immer auf das Schlimmste vorbereitet sein wollen oder den Weltuntergang hinter jeder Ecke lauern sehen. 2007 hatten Bund und Länder beschlossen, öffentliche Schutzräume nicht weiter zu erhalten. Aktuell gibt es noch knapp 600 solcher Anlagen, die deutschlandweit einer halben Million Menschen Schutz bieten könnten.
Nun hat der russische Angriffskrieg in der Ukraine, aber auch die jüngsten Naturkatastrophen, ein paar felsenfest betonierte Überzeugungen der vergangenen Jahrzehnte zum Bröckeln gebracht. Rückgängig kann man die Beschlüsse von vor mehr als 15 Jahren aber kaum, zumal in vielen Städten und Gemeinden schon zu diesem Zeitpunkt keine Atomschutzbunker mehr in Betrieb waren. Das trifft beispielsweise auch auf Bensheim zu. „Es gibt hier im Stadtgebiet keine mehr“, heißt es auf Nachfrage aus dem Rathaus.
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Allerdings fördert eine Recherche von Claudia Sosniak aus dem Stadtarchiv unter Mithilfe von Rudolf Schmitt (Mitglied des Museumsvereins) Interessantes ans Tageslicht. So existierte beispielsweise an einem Feldweg, heute Hunsrückstraße, ein Luftschutzstollen, dessen Bau von der Stadt in Auftrag gegeben wurde. Durch den Ausbau von Türen und der Verschalung stürzte die Einrichtung jedoch zwischen 1945 und 1948 ein, nach einem Unwetter 1948 krachte zudem eine Grundstücksmauer teilweise in den Bunker. Heute verläuft die Straße über dem nicht mehr vorhandenen Stollen.
Die größte Bunkeranlage befand sich in der Bleichstraße, sie hatte eine Kapazität für 150 bis 300 Personen. Die unterirdischen Räume dienten unter anderem als Eiskeller für die Brauereien, zur Lagerung von Verwaltungsakten, 1947 brachte man dort sogar eine Pilzzucht unter. Seit den 1970er Jahren steht auf dem Grundstück, über das man theoretisch in den Stollen käme, ein privates Wohnhaus.
Ein weiterer Eiskeller der ehemaligen Guntrum-Brauerei hätte im Ernstfall ebenfalls Menschen aufnehmen können. Er befand sich in der Nibelungenstraße beim „Lesoswäldchen“. Die Parzelle gehört heute noch der Stadt, genutzt wurden die Räume, um Obst und Gemüse zu lagern und Champignons zu züchten. „Der Eingang ist mittlerweile aus Sicherheitsgründen zugemauert“, so Claudia Sosniak. Lediglich Fledermäuse haben durch ein Einflugloch eine Zutrittsberechtigung.
Über das Gewölbe hatte der BA vor knapp zehn Jahren in der damaligen Fotoserie „Versteckte Winkel“ unseres Fotografen Thomas Neu berichtet - und viele Rückmeldungen von älteren Bensheimern erhalten, die den Keller noch aus ihren Kinder- und Jugendtagen kannten.
In den Ausläufer des Kirchbergs an der Nibelungenstraße hatte man darüber hinaus den sogenannten Ratskeller angelegt, einen Luftschutzkeller. Rein kam man über den ehemaligen Eingang der Gaststätte Ratskeller, daher der Name. Zudem finden sich in den Archiven Hinweise zu weiteren, teils privaten Luftschutzkellern, die teils durch spätere Bebauung zugeschüttet wurden oder nicht mehr zugänglich sind.
Als „Luftschutzunterstand“ in den Akten aufgeführt ist eine Anlage in der Grieselstraße für die Bewohner des Griesels. Gebaut wurde diese um 1845 von der Bierbrauerei Wacker, der Standort befand sich unter der Kegelbahn des „Bierkellers Roth“, erläuterte das Stadtarchiv. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Schutzraum auf Kosten der Stadt Bensheim zurückgebaut. „Alle Luftschutzbunker waren hauptsächlich ehemalige Eis- oder Felsenkeller entlang der Nibelungenstraße. Von ihnen könnte keiner aus verschiedenen Gründen reaktiviert werden“, fasste Claudia Sosniak zusammen.
In der Stadt verteilt gab es einige Luftschutzkeller oder Luftschutzräume in Privathäusern und Firmen. Von einigen weiß man, andere dürften aus nachvollziehbaren Gründen nicht bekannt sein. Nicht jeder wollte es schließlich an die große Glocke hängen, dass er im Katastrophenfall einen hauseigenen Rückzugsort besitzt.
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