Bensheim. Um diese Rolle hat er sich nicht beworben, doch er muss sich mit ihr arrangieren: ein junger Schauspieler, Kind iranischer Eltern, wird beim Vorsprechen mit den immer gleichen Fragen zu seiner Herkunft konfrontiert. Ein einzelner, zufälliger biografischer Aspekt wird zur maßgeblichen Größe seiner komplexen Persönlichkeit.
In einem langen, bewegenden Solo erzählt er von Sehnsucht und Identität, von Heimatbildern und Fremdenhassern. Ein Monolog wie ein verbaler Zweikampf mit der Gesellschaft, die ihn ausgrenzt und reduziert.
Eidin Jalali, 1992 in Teheran geboren, verkörpert einen jungen Künstler, der er selbst sein könnte. Der in Wien aufgewachsene Künstler hat an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin studiert und ist seit der Spielzeit 2020/2021 festes Ensemblemitglied am Schauspiel Leipzig.
Von dort stammt die Produktion „Die Leiden des jungen Azzlack“, die am Freitag den Auftakt für die 27. Woche junger Schauspieler machte. Unter der Regie von Marco Damghani, ein ehemaliger Kommilitone Jalalis, steigert sich der Schauspieler über 70 Minuten lang von Unverständnis über Wut bis in einen tief verankerten Zorn über ein Deutschland, das ihn in einen Konflikt treibt, den er selbst niemals heraufbeschworen hat.
Das Publikum im Parktheater erlebte eine eindrucksvolle Leistung innerhalb einer spannungsgeladenen Dramaturgie, die den Zuschauer nicht aus der Verantwortung nimmt und mit hartnäckigen Fragen konfrontiert: Warum sind etablierte Denkmuster so schwer loszuwerden? Wieso wird ein Mensch, der sich grammatisch wie kulturell nahtlos in die Gesellschaft eines klassischen Einwanderungslandes einfügt, am Ende doch wieder als Fremder, als Flüchtlingskind und als Außenseiter bewertet?
Das Stück spielt mit den Erwartungen der Zuschauer, die sich angesichts des unmittelbaren Frontalangriffs mit ihrer eigenen Rolle in diesem auseinandersetzen müssen. Die Biografie des Protagonisten bleibt vage. Wahrscheinlich ist Azzlack hier geboren und aufgewachsen. Mit hintersinnigem Humor und aus der Not geborenen Ironie berichtet er vor einem dunklen, mit gleißend grellen Spots punktuell erhellten Bühnenbild (Hugo Gretler) von den Widersprüchlichkeiten in seinem Leben, das von Beginn an zwischen Selbstbeschreibung und Fremdzuschreibung schwankt.
Seine Suche führt ihn vom Casting über die Konfrontation mit seinem Vater bis zu vermeintlichen Helden, die sich – wie er – mit ihrer Umgebung arrangieren müssen und sich manchmal wünschen, ein unbehelligter Teil der Masse zu sein.
„Den Pass habe ich, grammatikalisch besser als die meisten Deutschen spreche ich auch“, sagt der junge Mann. Und sogar reinheitsgebrautes deutsches Bier habe er literweise aufgesogen, um auch diesen rustikalen Aspekt der nationalen Kultur zu schlucken. Sein Selbstfindungstrip führt ihn durch teils absurde Situationen von der Islamischen Revolution im Iran über einen Urintest am Straßenrand bis zu Racial-Profiling-Erfahrungen in Gesellschaft mit wahrhaftigen Aliens.
„Ich will nicht mehr mit Weißen über Rassismus reden“, platze es auch ihm heraus. Auch im Beruf wird er als Persönlichkeit auf wenige Typen verkleinert: Er spielt Migranten und Zuhälter, Straßendealer und Schläger – und einmal aber doch einen BWL-Studenten, dessen Vater aber wieder ein Krimineller ist.
„Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“, erklingt das Lied von Friedrich Hollaender, doch hier geht es nicht um Liebe. Das Stück zwingt zu einer inneren Stellungnahme und zum stummen Dialog mit dem jungen Mann am Bühnenrand, in dem sich Rolle und Biografie bis zur jeweiligen Unkenntlichkeit vermischen.
Ein starker Auftakt des Theaterfestivals am Freitagabend mit einer eindringlichen schauspielerischen Leistung gleich zu Beginn. tr
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