Schauspiel

Woche junger Schauspieler startet am Freitag in Bensheim

Von 
Thomas Tritsch
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Die Woche junger Schauspieler startet am Freitag im Parktheater mit dem Stück „Die Leiden des jungen Azzlack“ mit Eidin Jalali in der Titelrolle. © Rolf Arnold

Bensheim. Am Freitag (11.) startet die Woche junger Schauspieler mit der Auftaktveranstaltung und der ersten Inszenierung im Parktheater. Die für die Auswahl der Gastspiele verantwortliche Jury führt an diesem Abend in das 27. Bensheimer Festivalprogramm ein. Der BA sprach vorab mit den Akteuren, die den Spielplan zusammengestellt haben, der bis zum 25. März fünf Produktionen aus Deutschland und Österreich umfasst.

Das Gremium um die Juryvorsitzende Dagmar Borrmann hat über 40 Einreichungen aus dem deutschsprachigen Raum gesichtet. „Darunter viele qualitativ hochklassige Inszenierungen“, so die Dramaturgin und Hochschullehrerin, die sich seit 2019 als Mitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste federführend um die Stückeauswahl des Bensheimer Theaterfestivals kümmert. Aufgrund der Pandemie hatte sich die Jury fast wöchentlich via Zoom kurzgeschlossen, um sich auszutauschen und den Menüplan für die WJS zu komponieren. Dabei habe man sich intensiv mit den eigenen Kriterien und Anforderungen an moderne Theaterkunst auseinandergesetzt, wie die Vorsitzende betont.

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Aus der Masse zeitgenössischer Produktionen hat die Jury eine Essenz selektiert, die eine zeitgenössische junge Theaterszene repräsentiert, die gerade dabei ist, sich inhaltlich wie ästhetisch ein Stück weit neu zu erfinden. Denn die Pandemie hat nicht nur einen Digitalisierungsschub entfacht und Regisseuren wie Ensembles multimediale Darstellungsformen entlockt: Die Krise hat auch die gesellschaftliche Relevanz des Theaters als Bühne des öffentlich-politischen Diskurses in ein neues Licht gerückt. Der Regisseur und Autor Florian Fischer erkennt in der Szene eine veränderte Wahrnehmung der Welt und eine daraus resultierende Haltung, die sich in etlichen Produktionen spiegelt. Auch in jenen, die für Bensheim ausgewählt wurden.

Theater in der Corona-Pandemie

Die Pandemie habe eine Art Transformationsprozess ausgelöst, der dazu beiträgt, dass die Kunst neue Perspektiven auslotet und tradierte Systeme und Wertigkeiten kritisch hinterfragt. Eine Entwicklung, die er – trotz aller institutionellen Probleme des Theaterbetriebs durch Corona – überaus positiv bewertet, weil sie den Status des Theaters als Austragungsort gesamtgesellschaftlicher Ängste und demokratischer Herausforderungen stärke. Junge Schauspieler, Intendanten und Regisseure bringen jenseits klassischer Stoffe auch eigene Themen auf die Bühne, die ihre Sicht auf die globalen Ereignisse der Gegenwart aufgreifen. Fischer geht davon aus, dass auch der Krieg gegen die Ukraine im Theater einen Resonanzboden finden wird.

„Man spürt, ob eine Inszenierung vor oder während der Pandemie entstanden ist“, so der 32-jährige Münchner, der 2019 für seine Inszenierung „Operation Kamen“ am Staatsschauspiel Dresden mit dem Kurt-Hübner-Regiepreis ausgezeichnet wurde. Weil die Verleihungen des Gertrud-Eysoldt-Rings 2020 und 2021 abgesagt werden mussten, wird Fischers Ehrung am Eröffnungsabend im kleinen Rahmen nachgeholt. „Ich freue mich auf Bensheim“, so der Bühnenautor, der das Festival als Geschenk an die Stadt bezeichnet und auf ein möglichst großes Publikum hofft. Die Stücke seien sehr unterschiedlich, aber jedes auf seine Weise besonders.

Statist am Nationaltheater in Mannheim

Jurymitglied Nicolas Matthews kann am 11. März nicht in Bensheim sein. „Ich stehe an diesem Abend auf der Bühne“, so der junge Schauspieler (Jahrgang 1992), der seit der Spielzeit 2019/20 Mitglied im Ensemble des Schauspiels Hannover ist. Aktuell ist er in der Inszenierung „1000 Serpentinen Angst“ zu sehen. So auch nächste Woche. Für ihn ist Hannover ein beruflicher Einstand in denkbar schwierigen Zeiten. „Ich kenne meinen Beruf ohne Corona gar nicht.“

Nach ersten Theatererfahrungen als Statist am Nationaltheater Mannheim spielte er bei verschiedenen Produktionen in der Region und beim Musical „The Full Monty“ am Pfalzbau-Theater in Ludwigshafen mit. Matthews hat Schauspiel an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt studiert, wo auch Dagmar Borrmann einige Jahre unterrichtet hat. Auch er ist davon überzeugt, dass die durch Corona forcierte Selbstreflexion des Theaters dem Genre gut tun wird. Auch er selbst habe zwangsläufig viel Zeit gehabt, um seine Position als Schauspieler zu hinterfragen und über den Auftrag des Theaters nachzudenken.

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Die Arbeit innerhalb der Jury kommentiert er ebenso wie Dagmar Borrmann als konstruktiv und lustvoll. „Wir waren uns erstaunlich schnell sehr einig.“ Man habe viel Zeit und Aufmerksamkeit in die Zusammenstellung der einzelnen Stücke investiert, die sehr unterschiedliche Themenkomplexe ansprechen. Unter anderem Migration, sexualisierte Gewalt, gesellschaftliche Zwänge und weibliche Rollenmuster. „Wir mussten nicht lange suchen, die Themen haben sozusagen uns gefunden“, sagt Matthews. Auch Florian Fischer betont die freie Herangehensweise der Jury, die ohne inhaltliche Zwänge und ohne eine krampfhaft bemühte Suche nach thematischen Kontrasten eine vielfältige, aber qualitativ homogene Auswahl getroffen habe.

Die Rolle des Theaters in der Gesellschaft

Dagmar Borrmann spricht von einem hochrangigen Theater-Jahrgang. Bei der Sichtung der Stücke habe sich gezeigt, dass die Pandemie der künstlerischen Qualität der Stücke und der Klasse des schauspielerischen Nachwuchses nicht geschadet habe. Wie es um die Zukunft der Branche bestellt ist, sei aktuell schwer vorauszusagen, so die Dramaturgin und Autorin.

Sicherlich würden die Etats für die Kultur in der Nach-Corona-Phase nicht gerade überlaufen. „Finanzielle Einschränkungen sind absehbar.“ Es gehe nun darum, einen Diskurs über den Stellenwert der kulturellen Einrichtungen und die Rolle des Theaters in der Gesellschaft zu führen. Das Theater habe immer wieder bewiesen, dass Zeiten der Not und des Mangels ein gewaltiges kreatives Potenzial freisetzen können.

In Päsenz und im Live-Stream

Dass die Woche junger Schauspieler 2022 als hybride Reihe mit Präsenz-Aufführungen im Parktheater und gleichzeitigen Aufzeichnungen sowie Live-Streams konzipiert ist, hält sie angesichts der momentanen Lage für eine gute Lösung. Die Zuschauer hätten endlich wieder Gelegenheit, Theater als Kommunikationsort hautnah zu erleben. Gleichzeitig biete sich die Chance, über digitale Kanäle ein noch größeres Publikum zu erreichen.

Das Sonderformat habe bereits im vergangenen Jahr recht gut funktioniert. Diesmal fahren die Veranstalter – die Akademie und die Stadt Bensheim – zweigleisig. Neben den Diskussionen vor Ort können sich Zuschauer auch über einen Chat an den Theater-Dialogen beteiligen. Die WJS ist multimedial geworden. Das Festival erobert sich ein neues Publikum.

Freier Autor

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