Bensheim. Die Stadt Lindenfels hat es schon getan: 27 Hektar der kommunalen Waldfläche in Seidenbuch werden nach einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zukünftig als Naturwald ausgewiesen. Das bedeutet für dieses Gebiet die weitgehende Einstellung der forstwirtschaftlichen Nutzung.
Die Ausweisung eines Naturwaldes fordert der Nabu-Ortsverein Seeheim-Jugenheim seit einiger Zeit für den größten Teil des über 150 Hektar großen Felsbergwaldes mit seinem Buchenbestand, in dessen Bereich das Reichenbacher Felsenmeer liegt.
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Die von den Naturschützern ins Auge gefassten Waldflächen gehören der Gemeinde Lautertal und der Stadt Bensheim. Unterstützt von lokalen und überregionalen Naturschutz- und Umweltverbänden hat der Nabu Seeheim-Jugenheim gemeinsam mit einer Gruppe von Natur- und Landschaftsfotografen eine Petition in diese Richtung gestartet. Die Bensheimer Wählergemeinschaft Bürger für Bensheim (BfB) schließt sich der Forderung nach einer Einschränkung der forstwirtschaftlichen Nutzung in diesem Naturschutz- und Natur-2000-Gebiet an. Das erklärte Ulrike Vogt-Saggau, BfB-Stadtverordnete im Bensheimer Parlament, bei einem Ortstermin am Montag im Felsbergwald.
17 000 Unterzeichner
Die Petition, die nach Angaben von Yvonne Albe (Nabu Seeheim-Jugenheim, Netzwerk Bergsträßer Wald) bislang rund 17 000 Menschen unterschrieben haben, wurde bereits an die Gemeinde Lautertal und die Stadt Bensheim übergeben. Ein Vorgang, der nach Ansicht von Vogt-Saggau weitgehend unbemerkt von der Bensheimer Öffentlichkeit über die Bühne gegangen sei.
Über die Reaktion der Stadt auf die Petition sei ebenfalls nichts bekannt. Dies gelte auch für die letztjährige Ablehnung der Stadt eines Angebotes der Waldakademie des Försters und Autors Peter Wohlleben zum Nutzungsverzicht für den Feldbergwald über 50 Jahre bei entsprechender finanzieller Kompensation.
Mit einem Rundgang durch den Felsbergwald wollten sich die BfB einerseits einen Überblick über den Zustand des Waldes verschaffen, zum anderen aber auch das öffentliche Interesse für das Anliegen der Naturschützer wecken. An der gut 90-minütigen Tour durch den Wald nahmen Gemeinde- und Stadtverordnete aus Lautertal und Bensheim, Mitglieder von Naturschutz- und Umweltverbänden sowie der Lindenfels/Lautertaler Revierförster Robin Töngi als Vertreter von Hessen Forst teil. Kurzfristig absagen mussten BfB-Fraktionsvorsitzender Franz Apfel und der Bensheimer Revierförster Dirk Ruis-Eckhardt. Yvonne Albe unterstrich bei der Einführung in das Thema die besondere Bedeutung des Waldgebietes.
Der Felsbergwald sei in seiner Symbiose von Felsen und Bäumen sowie als Ort von Geschichte und Geologie einzigartig in Europa. Die Buche, einst die dominierende Baumart in Mitteleuropa, sei nach den FFH-Richtlinien (Flora-Fauna-Habitat) als lebensraumtypischer Baum zu erhalten und zu fördern.
Wachstum im Schatten
Da die Buche im Schatten gut wachse, müsse es das Ziel sein, die weitere Auslichtung des Felsbergwaldes zu verhindern. Der Anteil von Alt- und Totholz müsse im Sinne der Artenvielfalt und der Wasserspeicherfähigkeit erhöht werden. Ausgenommen von der Ausweisung des Felsberges als Naturwald sei das Felsenmeer, so Albe.
Volker Ziesling, Diplom-Forstwirt aus Speyer und Sprecher der Initiative „Waldwende jetzt“, verdeutlichte den Stress, dem der Wald durch Klimawandel, Hitzeperioden, verändertes Niederschlagsregime und extensive Bewirtschaftung ausgesetzt ist. Erholen und anpassen könne sich der Wald nur durch die Einstellung der forstwirtschaftlichen Nutzung inklusive der Auslichtung. Buchenwälder benötigten zum Überleben ein nach oben geschlossenes Kronendach. Unter diesen Voraussetzungen könnten die Mittelgebirgs-Buchen des Felsbergwaldes den Auswirkungen des Klimawandels widerstehen, sagte Ziesling.
Am Beispiel der sogenannten Rückegassen, den Befahrungslinien für große Holzernte-Maschinen wie den Harvester, erklärte der Experte die Zerstörung des Bodens, des „wichtigsten Kapitals“ des Waldes. Durch die tonnenschweren Maschinen, die die Fahrrinnen bei einem Bewirtschaftungsvorgang mehrmals durchfahren, werde der Boden derart verdichtet, dass an diesen Stellen „hundert Jahre nichts wächst“, so Ziesling. Insgesamt würden die Rückegassen 13,5 Prozent der deutschen Waldfläche einnehmen.
Dringender Handlungsbedarf
Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (nationale Biodiversitätsstrategie), die 2007 von der damaligen Bundesregierung aufgelegt wurde, sah zur Erhaltung der Artenvielfalt bis 2020 vor, fünf Prozent der Landesflächen der Nutzung zu entziehen und sich selbst zu überlassen.
Nach allgemeinen Schätzungen liegt der Anteil der Naturflächen im Bundesgebiet aktuell bei etwa 2,6 bis 2,8 Prozent, berichtete Volker Ziesling. „Es muss sich dringend etwas tun.“
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