Bensheim. In Bensheim brennt mal wieder der Baum – und zwar nicht nur die Nordmanntanne mit ihren zigtausend LED in der Fußgängerzone. Wobei der Ort des Geschehens (mal wieder) passt. Denn die wenig ruhmreiche jüngere Geschichte des Marktplatzes ist um ein weiteres Kapitel reicher. Die Bürgerinitiative „Bensheimer Marktplatz besser beleben“ hat sich an das Verwaltungsgericht Darmstadt gewandt, um die Auslobung für den ergebnisoffenen Ideenwettbewerb zu kippen.
Konkret hat sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Eilverfahren beantragt. Die Vertrauensleute sehen es offenbar nicht als gewährleistet an, dass eine Gestaltung der Fläche ohne eine Bebauung im Verfahren ausreichend berücksichtigt wird.
Verbunden mit dem Vorstoß bei Gericht ist, dass die Stadt bis zur Klärung keine weiteren Entscheidungen hinsichtlich der Auslobung treffen darf. Sprich: Die Angelegenheit ruht, der bisher kommunizierte Zeitplan des Ideenwettbewerbs ist damit hinfällig.
„Es ist abzuwarten, welche zeitlichen Verzögerungen sich aus dem Handeln der BI bezüglich einer Lösung für den Marktplatz ergeben“, meinte dazu die Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung (CDU) auf Nachfrage. Dass es zu Verzögerungen kommen wird, steht ohnehin fest. Denn der Rückfragetermin für die teilnehmenden Büros am 16. Dezember wurde abgesagt.
Ein schwieriges Verhältnis
Dabei hatte man im Rathaus und in der Bevölkerung (zumindest der Teil, der sich überhaupt noch für die Zukunft des Marktplatzes interessiert) sicherlich gehofft, nun auf einem halbwegs vernünftigen Weg zu sein. Andererseits sollte der Vorstoß der Bürgerinitiative nicht überraschen.
Das Verhältnis zu den Verantwortlichen in der Verwaltung gilt von Beginn an als schwer belastet, bereits bei der Sammlung von Unterschriften für das Bürgerbegehren zogen die Vertrauensleute für eine Fristverlängerung vor Gericht – und bekamen Recht. Auch in der Folge kennzeichneten verbale Zusammenstöße, gegenseitige Vorwürfe und mangelndes Vertrauen die Zusammenarbeit. Das änderte sich auch nicht mit der Wahl von Bürgermeisterin Christine Klein, früher und vor allem im Wahlkampf gegen Rolf Richter eine Unterstützerin der BI.
Die Initiative ist zwar mit dem ehemaligen Baustadtrat Theo Sartorius als Sachverständigem und mit Gundula Bunge-Glenz als seine Stellvertreterin im Preisgericht vertreten. Die Vertrauensleute hatten aber auch hierbei eine zentralere Rolle gefordert. Im Vorgespräch mit allen Jury-Beteiligten, bei dem es auch um die Auslobung ging, „gab es unterschiedliche Meinungen, eine faire Diskussion und am Ende eine Mehrheitsentscheidung“, bestätigte Rauber-Jung am Donnerstag. Die vom Sachverständigen der BI vorgetragenen Vorschläge seien nicht mehrheitsfähig gewesen. Die Auslobung selbst wurde nach Auskunft der Verwaltung von der Hessischen Architektenkammer, nach deren Richtlinien das Ganze umgesetzt wird, zertifiziert.
29 Büros haben Interesse Seit dem 29. November ist der Aus ...
Kurzum: Hinter den Kulissen schien sich schon anzudeuten, dass der Ideenwettbewerb nicht so reibungslos ablaufen könnte, mit Blick auf die Historie des Großprojekts seit dem Abriss des Hauses am Markt im Sommer 2019 und den nachfolgenden Reißleinen ebenfalls keine Überraschung. Die Vorgehensweise der Bürgerinitiative „bedauern wir sehr und können diese auch nicht nachvollziehen“, so die Erste Stadträtin. Den Forderungen aus dem Bürgerbegehren und dem Abhilfebeschluss der Stadtverordnetenversammlung sei man nachgekommen, dem Text des Bürgerbegehrens folge man. „Da gibt es auch keinen Auslegungsspielraum.“
Betrachtet werde beispielsweise nicht nur die Fläche des ehemaligen Hauses am Markt, sondern das gesamte Areal. Die Anregungen aus dem Bürgerdialog seien eingeflossen – und nicht zuletzt der Ideenwettbewerb initiiert worden. „Das Bürgerbegehren ist die Grundlage unserer Arbeit und nicht die Auslegungen der Vertrauensleute“, konstatierte die Dezernentin.
Dennoch sieht man sich erneut mit einer juristischen Auseinandersetzung konfrontiert. Wie diese ausgeht? Da könne man keine Prognose abgeben. Gleiches gilt für die Zeitschiene. Wie schnell der Eilantrag tatsächlich bearbeitet wird, lässt sich schwer abschätzen. Die Verwaltung hat sich fachliche Unterstützung geholt und muss bis heute eine erste Stellungnahme abgeben. Auch danach werde man sich weiter juristisch beraten lassen. Wie gut die Chancen der BI oder der Stadt stehen, dazu wollte und konnte sich Rauber-Jung nicht äußern. „Wir können belegen, dass wir uns an die Vorgaben gehalten haben.“ Nun müsse man abwarten.
Wieder zurück auf Null
Fakt ist: Der Ideenwettbewerb liegt vorerst auf Eis, das Verfahren wurde gestoppt, die potenziellen Teilnehmer wurden über die aktuelle Situation informiert. Bis zum heutigen Freitag hätten Architekten und Stadtplaner ursprünglich Zeit gehabt, sich anzumelden. Ob sich der Wettbewerb damit komplett erledigt hat, bevor er überhaupt richtig angefangen hat, wird sich zeigen.
Rauber-Jung sieht die Stadt in der Pflicht, den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung umzusetzen. Und sollte es vor Gericht im Sinne des Rathauses ausgehen, stünde einer Fortsetzung theoretisch wohl nichts im Wege. Wobei vermutlich nur kühne Optimisten von diesem Szenario ausgehen dürften.
„Eine Lösung für den Marktplatz ist momentan jedenfalls in weitere Ferne gerückt“, kommentierte die Erste Stadträtin. Erstmal sei man wieder zurück auf Null. Die Forderung der BI in der Anordnung, den exakten Wortlaut des Bürgerbegehrens und des Abhilfebeschlusses der Stadtverordnetenversammlung vom Dezember 2020 in der Auslobung unterzubringen, hält sie für schwierig.
„Wettbewerb sehr offen gefasst“
Zumal man aus ihrer Sicht all das textlich untergebracht habe, was verlangt wird. Mit dem Abhilfebeschluss hatte das Stadtparlament vor zwei Jahren die Forderungen aus dem Bürgerbegehren übernommen und damit den bereits terminlich festgelegten Bürgerentscheid obsolet gemacht (wir haben mehrfach berichtet).
Danach folgte ein nicht immer gradlinig verlaufender und stolperfreier (Bensheimer) Weg mit Beschlüssen der Stadtverordneten, der Einsetzung verschiedener Teams unter Einbeziehung der relevanten Gruppen und ein gekipptes Werkstattverfahren. Das alles mündete in den Ideenwettbewerb, der endlich Ergebnisse in Form von vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten für den Marktplatz liefern sollte. „Wir haben den Wettbewerb sehr offen gefasst, um das größtmögliche Ideenreichtum zu erhalten“, erläuterte Nicole Rauber-Jung.
Am 10. März hätten eigentlich die Sieger feststehen sollen. Deren Entwürfe wären dann in einer Beteiligungsphase den Bürgern vorgestellt worden, Diskussionsmöglichkeiten mit den Architekten oder Planern inklusive. Der Termin hat sich zumindest erledigt. Ob das auch für das komplette Verfahren gilt und wie es bei einer Niederlage vor dem Verwaltungsgericht weitergeht? Zurzeit ist völlig offen, wie dieses neue Kapitel der Marktplatz-Geschichte ausgeht. Einer Geschichte, die mittlerweile irgendwo zwischen Drama und Tragikomödie angesiedelt ist, und bei den eingängigen Streamingdiensten mutmaßlich längst wegen schlechter Zuschauerzahlen abgesetzt worden wäre.
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