Musikfestival

Ansturm auf das Bensheimer Musikfestival Maiway

Von 
Thomas Tritsch
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Bensheim. Was ist das Gegenteil von Lockdown? Alle Schleusen offen! Nach zwei Jahren digitaler Überbrückungshilfe mit den alternativen Formaten „Heimway“ konnte das beliebte Musikfestival Maiway jetzt wieder im klassischen Look durchstarten.

Mit 26 Bands auf 20 Bühnen und dem berühmten roten Strich, der alles vernetzt. Tausende Besucher schnallten sich am Vorabend von Christi Himmelfahrt ein Bändchen an den Arm – oder wohin auch immer – und genossen die mit Spannung erwartete Rückkehr von Maiway. Das Zentrum ein einziges Festivalgelände. In der Bensheimer Innenstadt war es so voll wie lange nicht mehr.

Im natürlichen Sozialmodus

Dass der Veranstalter Showmaker unter den Dimensionen von 2019 blieb, hat dem Wiedereintritt in die Live-Saison nicht geschadet. Beim letzten Mal vor drei Jahren hatte Harry Hegenbarth noch 44 Acts in 28 Locations gebündelt. Doch ein paar Bühnen weniger fielen kaum auf, und ein reduziertes musikalisches Spektrum im Grunde kaum ins Gewicht.

Nach langer Corona-Pause und kultureller Zwangsentwöhnung fühlte sich die 20. Auflage ohnehin besonders an: viel Partygewimmel nach langer sozialer Isolation. Erstaunlich, wie schnell sich das Herdentier Mensch wieder in seinen natürlichen Sozialmodus einfügt. Die kollektive Lebensfreunde schien regelrecht zu explodieren. Aber es war ein kultivierter Knall. Die große Entladung nach Corona fiel – so der Eindruck nach zwei Stunden – insgesamt sehr friedlich aus.

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Bensheim im Maiway-Fieber

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Verlaufen konnte sich keiner. Der „roure Schdrisch“ hat den Weg gewiesen. Und viele marschierten mit bei der Heimkehr zum Original: von der Couch zurück in die City. Gemeinsam mit Tobias Rohatsch von Young Dimension Eventtechnik wurde die Innenstadt atmosphärisch illuminiert und in Szene gesetzt. Prominent erlebbar an der Stadtkirche Sankt Georg, die aufgrund kreativer Lichtkunst aussah wie nach einem mittelschweren Erdbeben.

Mini-Nachtmarkt zum Bummeln

Am Marktplatz sind viele Gäste gestartet. Hier wurden die Tickets in Bändchen verwandelt. Ein Mini-Nachtmarkt lud zum Bummeln ein. Auf dem Kopfsteinpflaster präsentierten Direktvermarkter, Manufakturen und Neugründungen ihre Kollektionen.

Den Anspruch nach kulinarischer Vielfalt abseits festivalüblicher Pommes-Monokulturen erfüllten Food-Trucks in der gesamten Innenstadt. Darunter ghanaisches Street-Food, hessische „Tabbas“ und authentische Berliner Currywurst-Kultur mit Pep und Aroma.

Auf den Bühnen haben Newcomer und etablierte Künstler ein facettenreiches musikalisches Menü für jeden Geschmack serviert. Die stilistische Bandbreite war so hoch wie die Vielfalt an Locations. Erstmals nach der Sanierung war auch das Bensheimer Bürgerhaus wieder mit im Boot. Die Coverband DNS hat dort ab 22 Uhr das große Finale eingeläutet. Aber auch der untere Stadtpark entwickelte sich früh zu einem Hotspot. Die Band The Groove Generation lockte die Massen ins Grüne. Am Einlass achteten Ordner darauf, dass es drinnen nicht zu eng wurde.

Im Keller brannte die Luft

Das gleiche Bild an der Treppe hinunter zum PiPaPo-Theater am Wambolter Hof: Die Höhle war auf 50 Personen beschränkt. Und im Keller brannte dermaßen die Luft, dass sogar Viren Feuer fangen mussten. Verantwortlich war die Band Lack of Redundance aus Viernheim, die den Abend hier mit rotzigem Punk und knackigem Alternative Rock eröffnet hat. Das intime Gewölbe kam dem energiegeladenen Sound der Formation enorm entgegen – mehr Live-Atmosphäre geht nicht.

Ein Kontrastprogramm gab es im Parktheater. Das Center of Moving Arts servierte professionelle Tanzdarbietungen und eindrucksvolle Choreografien immer zur vollen Stunde. Dazwischen spielte Let The Butterfly. Das Kulturhaus war einer der (wichtigen) Ruhepole im Festivalgetümmel. Ebenso die Stadtkirche Sankt Georg, wo die Geigerin Caroline Adomeit für ein volles Haus sorgte (wir werden noch ausführlich berichten).

Zwei Spendenzwecke Auch bei der 20. Auflage gab es wieder einen ...

Zwei Spendenzwecke Auch bei der 20. Auflage gab es wieder einen sogenannten Benefiz- Euro für besondere Projekte: je ver kauftem Bändchen (man zahlte zwölf Euro im Vorverkauf und 15 an der Abendkasse) wird ein Euro an

Regelrechtes Wohnzimmer-Flair herrschte im Café de Saxe, wo sich im Rahmen von Maiway traditionell die Members Only Group um Chef und Pianist Henry Vollrath trifft. Diesmal dabei neben Reinhard Kretschmer am Saxophon waren Dennis Arnold am Bass und Kretschmers Sohn Felix Ambach am Schlagzeug. Der exzellente und mehrfach ausgezeichnete Drummer bricht demnächst für zwei Jahre nach New York auf, um dort seinen Master-Abschluss zu machen. Der Auftritt in Bensheim war Jazz pur, mit etlichen Standards und viel Improvisationskunst. Die Gäste saßen dem Quartett praktisch auf den Füßen. Sehr cool und sehr mitreißend.

Eine andere feine Location war der Innenhof an der Hospitalkirche hinter dem Bensheimer Familienzentrum, wo der Verein die Band Stir It Up willkommen hieß. Weil Bassist Gerd Müller krankheitsbedingt ausgefallen war, sprang kurzfristig die Bensheimer Musikerikone Frowin Ickler ein. Das Trio mit Sänger und Gitarrist Miles Wroblewski und Tommy Woller am Schlagzeug hatte Songs von Iggy Pop bis Bob Marley mitgebracht und sorgte mit seinem chronisch groovigen Reggae-Sound für eine enorm lässige Atmosphäre mitten in der Stadt – und doch etwas abseits der Massenbewegung.

Mettbrötchen und Country-Folk

Es waren am Mittwochabend auch die kleinen Details und räumlich-kulinarisch-musikalischen Kollisionen, die den Reiz des Festivals ausgemacht haben. Im Café der Bäckerei Rauen an der Hauptstraße genossen die Gäste frische Mettbrötchen zum ebenso herzhaften Country-Folk des Duos Die Schultzes, und in der Konditorei Glaubach gab es Jazz und Latin zu hausgemachten Torten und anderen süßen Sachen. Wer in diesem urbanen Ozean aus Klang und Raum seine eigene kleine Oase gefunden hatte, der blieb auch gerne etwas länger.

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Im Stadtzentrum war es spätestens ab neun so voll wie an guten Winzerfesttagen. Was Harry Hegenbarth 2003 mit Thorsten Zanger gestartet hat und seit 2008 unter alleiniger Regie organisiert, hat sich längst zu einem lokalen Klassiker mit weit überregionaler Anziehungskraft entwickelt. Mit zwei semi-virtuellen Alternativ-Formaten, die das Festival neu interpretiert hatten, wurde die Corona-Hochphase kreativ überbrückt. Nach „Heimway“ ging es jetzt wieder hinaus in die Öffentlichkeit.

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