Wie aus der Schule auf dem Griesel die Weinstube Clara wurde

Im Bensheimer Stadtgebiet finden sich viele steinere Zeugen vergangener Zeiten. So auch auf dem Griesel.

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Von der Gewerbeschule im Neubaugebiet zur Bensheimer Traditionsgaststätte: Die Geschichte des ursprünglich als Schule angelegten Gebäudes in der Grieselstraße wurde maßgeblich von einem aus Spanien eingewanderten Fachmann für Korkverschlüsse geprägt. Das Bild links zeigt Claras Spanische Weinhalle als malerisches Postkartenarchiv, vermutlich aus den 1920er Jahren. © Stadtarchiv, Eva Bambach

Bensheim. Bensheim wird zu Recht oft eine Stadt der Schulen genannt. Unübersehbar sind die heute riesigen Schulgebäude, von denen einige in der jüngeren Vergangenheit vom Kreis aufwendig saniert wurden. Am höchsten aufragend darunter: Die Heinrich-Metzendorf-Schule, unter deren Dach heute für den gesamten Kreis Bergstraße die Auszubildenden nicht nur im gewerblich-technischen Bereich, sondern auch im Dienstleistungsbereich, namentlich in den Hotel- und Gaststättenberufen, unterrichtet werden.

Eine vergleichsweise winzige Vorläuferin dieser großen Schule steht auf dem Griesel und ist vielen noch als (inzwischen nicht mehr geöffnete) Weinstube Clara bekannt. Dass der große Natursteinbau mit den zur Sandstraße hin vermauerten Fenstern ursprünglich eine Schule war, lässt sich trotz der noch sichtbaren Gaststättenschilder erahnen, wenn man die symmetrische Form und die großen, gleichmäßig verteilten Fenster betrachtet. Ausführlich beschrieben ist die Geschichte des Gebäudes in einem 2019 vom Museumsverein herausgegebenen Buch von Rudolf Schmidt und Dieter Rogalli über den Griesel.

Eröffnung im Jahr 1886 mit großen Feierlichkeiten

Im Mai 1886 wurde der Grundstein zu der damals als „Handwerkerschule“ bezeichneten Institution gelegt. Hier wurde fortgesetzt, was schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts als „Bauhandwerkerzeichnen“ genannter Unterricht begonnen worden war, unter Mitnutzung der Räume unterschiedlicher Schulen im Stadtgebiet. Im Neubaugebiet am Griesel sollte nun eine eigene, den Anforderungen des speziellen Unterrichts genügende Schule entstehen.

Zunächst gab es zwei übereinander liegende Schulsäle, die über den damals zur Sandstraße hin liegenden Eingang erschlossen wurden. Eingeweiht wurde das Gebäude am 3. Oktober 1886 mit großen Feierlichkeiten. Der Hessische Großherzog nahm teil, es gab einen Festzug mit 700 Personen, 20 Wagen und 80 Pferden und nach der offiziellen Übergabe ein Bankett im „Deutschen Haus“ sowie ein gleichzeitiges Konzert im Gasthaus „Zur Traube“ am Markt.

Der Schriftzug "Clara" lässt sich heute noch erkennen

Aber schon acht Jahre später war das Gebäude zu klein geworden, die Schülerzahl hatte sich mehr als verdoppelt und es gab einen spiegelbildlichen Anbau auf der Südseite des Gebäudes. Der Eingang wurde an die Obere Grieselstraße verlegt, wo er sich noch heute befindet, mit einer großen Sandsteinplatte, die einst den Namen der Schule getragen haben dürfte. Laut den Plänen von 1894 stand dort wohl „Handwerker Schule Bensheim“. Noch heute lassen sich mit viel Fantasie Reste von Buchstaben erkennen.

© Eva Bambach

Doch nicht das Wort Schule lässt sich entziffern, sondern ein großes W, ein großes F und der Schriftzug Clara. Denn schon 1907 zog die Gewerbeschule abermals um: Die heutige Hemsbergschule war als Neubau für die Gewerbeschule konzipiert worden, weil inzwischen nicht nur theoretische Fächer und Zeichnen dort unterrichtet wurden, sondern auch Praxisanteile, für die Lehrwerkstätten benötigt wurden.

Frühere Gewerbeschule wurde zur Spanischen Weinhalle

Dafür hatte der Bensheimer Gewerbeverein als Bauträger einen Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich auch Heinrich Metzendorf beteiligt hatte. Gewinner wurde aber der Frankfurter Stadtbaumeister Adolf Moritz, der im Jahr zuvor auch schon die Rodensteinschule erbaut hatte. Wie die Schlossbergschule in Auerbach, der als Lehrerbildungsanstalt des Großherzogtums Hessen errichtete Gebäudekomplex des heutigen AKG, die Schule für taubstumme Kinder an der Kirchbergstraße (die aktuell wieder für eine Grundschule hergerichtet wurde), die ursprünglich für das Kurfürstliche Gymnasium gebaute heutige Kirchbergschule oder die Liebfrauenschule waren diese Neubauten Zeugen der wachsenden Bildungsanstrengungen in den Jahrzehnten um die Wende zum 20. Jahrhundert.

Das zu klein gewordene Schulgebäude auf dem Griesel erwarb Faustino Clara. Der Spanier hatte als kaufmännischer Leiter bei „Mechanische Korkenindustrie Funk u. Co.“ gearbeitet, bei eben der Bensheimer Korkenfabrik, in der auch Friedrich Sanner angestellt war. Während Friedrich Sanner 1894 in der Auerbacher Bachgasse eine eigene Korkenfabrikation eröffnete, die Keimzelle der heutigen Sanner-Gruppe, übernahm Faustino Clara die ursprüngliche Korkenfabrik und siedelte sie 1907 schließlich am Griesel an. Allerdings sattelte Clara ab Anfang der 1920er Jahre auf den Handel und Ausschank von spanischen Weinen um. Die ehemalige Gewerbeschule wurde zur „Spanischen Weinhalle“, die aber noch 1927, also zwei Jahrzehnte, nachdem die Schule umgezogen war, mit dem Adresszusatz „frühere Gewerbeschule“ warb.

Auch tanzen lernen konnte man bei Clara

Stetig steigender Raumbedarf führte dazu, dass das alte Schulhaus vorübergehend in gewisser Weise reaktiviert wurde: Im Stadtarchiv gibt es einen Vertrag aus dem Jahr 1927 über die „Benutzung des Clara’schen Saales“. Für eine Klasse der allgemeinen Fortbildungsschule, die bis dahin im Gewerbeschulhaus (also der heutigen Hemsbergschule) untergebracht war, dort wegen erheblich gewachsener Zahl der Gewerbeschüler aber nicht bleiben konnte, mietete die Stadt Bensheim für 5 Mark pro Unterrichtstag und gegen Lieferung von 30 Zentnern Kohle den im Erdgeschoss liegenden Saal von Faustino Clara.

Im Übrigen hieß es im Vertrag unter anderem „Die Abgabe von Alkohol und Rauchmaterialien an die Schüler der gewerbl. Fortbildungsschule ist Herrn Clara strengstens untersagt. Die Schüler haben ihren Weg zu dem Saale durch den Hof des Clara’schen Anwesens zu nehmen, sodass dieselben mit dem Wirtschaftsbetriebe nicht in Berührung kommen.“ Aufgabe der Fortbildungsschule war es, das in der Volksschule erworbene Wissen bei den männlichen Schülern zu festigen, die keine gewerbliche Schule besuchten. Das galt nicht für die Mädchen.

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Offenbar gleichzeitig konnte man bei Clara auch tanzen lernen, denn hinter den inzwischen vermauerten Fenstern waren zwei Säle geschaffen worden, die den Bensheimern noch über Jahrzehnte vielfältige Aktivitäten ermöglichten. Hier fanden zum Beispiel in den 1950er Jahren auch die ersten Veranstaltungen der Grieseler Rote Funken statt. Noch in den 1960er Jahren konnte man beim Schlachtfest Wurstsuppe bei Faustino Claras Sohn Peter holen, der bis 1984 die immer noch im kollektiven Gedächtnis der Bensheimer verankerte Gaststätte führte.

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