Bensheim. Wohl jeder kennt in Bensheim den Brunnenweg, der oberhalb des Metzendorf-Viertels um die Ernst-Ludwig-Straße nach Osten Richtung Schönberg führt. Dem Namen wird der Weg voll gerecht – sage und schreibe sechs Brunnenkammern sind dort heute links und rechts des Wegs aufgereiht, eine weitere Kammer gibt es nicht weit davon in der ebenfalls „Am Brunnenweg“ benannten Abzweigung zum Vetzersberg. Ganz offensichtlich sind die steinernen Kammern schon vor langer Zeit gebaut worden und die Türen werden wohl nur noch selten geöffnet. Doch sind alle Bauwerke intakt und mit einer sicheren Abdeckung versehen. Wenn man ganz nah herangeht, kann man in der Tiefe das Wasser oft lebhaft plätschern hören.
Heute werden die hier gebauten Brunnen nicht mehr zur Wasserversorgung genutzt. Der Zweckverband Kommunalwirtschaft Mittlere Bergstraße (KMB) kümmert sich um die bauliche Sicherheit der Anlagen, deren Wasser derzeit aufgrund der historisch gewachsenen Strukturen in den Mischwasserkanal des KMB fließt. Aber über lange Zeit waren diese Brunnen ein wichtiger Baustein im Trinkwassermanagement der Stadt Bensheim.
Seit wann es gefasste Quellen im Brunnenweg gab, ist wahrscheinlich nicht mehr zu ermitteln. Aber sie bestehen spätestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Im Stadtarchiv ist jedenfalls ein Vertrag über Reparaturen an den Brunnenkammern aus dem August 1825 erhalten. 1834 wurde bei Handwerkern – beteiligt waren ein Maurer, ein Schreiner und ein Schlosser – der Bau einer neuen Brunnenkammer in Auftrag gegeben. Besonders viel Bewegung aber gab es im Brunnenweg kurz nach Mitte des 19. Jahrhunderts. 1859 veranlasste Kreisbaumeister Mittermayer, dass im Brunnenweg sieben Brunnenkammern ausgebaut und fünf bis sechs Fuß tiefergelegt werden müssten – es dürfte sich dabei um die noch heute bestehenden Anlagen handeln.
Grund für die Maßnahmen war eine klimatische Ausnahmesituation: Die drei Sommer der Jahre 1856 bis 1858 waren außergewöhnlich heiß und trocken gewesen. In Bensheim beklagte man großen Wassermangel. Aber nicht nur in Bensheim: Nach auffallend strengen Wintern waren die Sommer in Europa heißer und trockener als jemals zuvor beobachtet worden war. Mit weitreichenden Folgen.
Gravierender Wassermangel sorgte für Begrenzung der Wasserabgabe
In London wurde das Jahr 1858 als „The Big Stink“ bekannt. Temperaturen um die 34 Grad führten zu einem als so unerträglich empfundenen Gestank, dass das Parlament den Bau eines umfassenden Londoner Abwassersystems beschloss. Zuvor waren die Abwässer – auch aus den zunehmend installierten Toiletten mit Wasserspülung – hier unkontrolliert und ungefiltert in die Themse geleitet worden. Das Londoner System wurde dann zum Vorbild für andere Großstädte in Europa.
In Bensheim konnte aber von wassergespülten Toiletten noch bis Ende des 19. Jahrhunderts keine Rede sein. Abwasser war deshalb zumindest nicht mit Fäkalien verschmutzt. Frisches Wasser wurde in der Stadt vom Brunnen geholt, bis zum Luxus einer Wasserleitung direkt ins Haus sollten noch ein paar Jahrzehnte vergehen. Als etwa das Hospital im Jahr 1857 um die Ableitung vom Brunnen am Hospital direkt zum Hospital bat, wurde das unter anderem mit dem Argument abgelehnt, dass sich der Brunnen ja direkt vor der Tür befinde.
Gebrauchtes Wasser wurde auch nicht in Rohren vom Haus abgeleitet, sondern vielfältig weiterbenutzt. Wasser war kostbar. Wer das Abfallwasser aus öffentlichen Brunnen gewerblich nutzen wollte, musste eine jährliche Pacht dafür zahlen. Im Jahr 1858 war der Wassermangel so gravierend, dass verboten wurde, mehr als einen Zuber Wasser zu entnehmen. Das wurde sehr ernst genommen: Herr von Rodenstein wurde angezeigt, weil er einen Eimer und eine „Gieß“ voll Wasser genommen hatte.
Jahrelange Verhandlungen mit Anliegern des Brunnenwegs
Schon 1857 hatte die Stadt Bensheim beschlossen, die Brunnenleitungen aus Mozenrech, Baßmann, Eichelberg und Brunnenweg zu restaurieren und eine gusseiserne Röhrenleitung zu verlegen. Doch konnte das der Stadt keine unmittelbare Erleichterung mehr bringen, denn erst 1859, nach dem Ende der dreijährigen Trockenperiode, wurden die Maßnahmen in Angriff genommen.
In Zusammenhang mit diesen Bauarbeiten scheint es zu einigen Reibereien mit den Grundstücksanliegern im Brunnenweg gekommen zu sein. Die Akten im Stadtarchiv dokumentieren jahrelange Verhandlungen über die Forderungen anliegender Weinbergbesitzer nach Entschädigung – ein Hinweis auch, auf die einstige landwirtschaftliche Nutzung der heute baumbestandenen Grundstücke am Brunnenweg.
Schon 1865 herrschte wieder Wassermangel. Unter anderem der Marktbrunnen lieferte im Sommer kein Wasser. Die Stadt bemühte sich – vergeblich – um den Kauf einer Quelle im Mühlbächel von der Gemeinde Auerbach. Es wurde außerdem Geld für die Erforschung der Quellen im Brunnenweg bewilligt und man fasste die weitere Erschließung der schon seit dem 16. Jahrhundert gefassten Quellen im Mozenrech und deren Leitung in die Stadt ins Auge, und zwar „auf dem linken Bachufer, wo dann ein schöner Promenadenweg angelegt werden könnte“. Schließlich bemühte man sich in jenen Jahren sehr um die Förderung des Tourismus an der Bergstraße. Auch wenn man heute im Mozenrechweg noch einige Brunnenkammern abseits des heutigen Wegs erkennen kann – um einen etwaigen Panoramaweg zu erkennen, braucht man heute viel Fantasie.
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