Bensheim. Ein leicht modriger Geruch schwebt in den Fluren, der Gang durch die verlassenen Zimmer fühlt sich surreal an, wie der Blick durch ein Zeitfenster - oder hinter die Kulissen eines Drehortes für einen Postapokalypse-Film.
Das alte Hospital liegt zwar an einer der meist frequentierten Achsen in der Innenstadt, aber nur selten nimmt man es bewusst wahr. Das liegt auch daran, dass man erst durch das steinerne Tor neben der Hospitalkirche gehen muss, um das alte Hauptgebäude richtig sehen zu können. Gemeinsam mit dem Vorstandsmitglied der Stiftung Heilig-Geist-Hospital, Dr. Norbert Löw, und Erster Stadträtin Nicole Rauber-Jung hat die BA-Redaktion einen Blick hinein geworfen.
An einigen Zimmern stehen noch die altmodischen Krankenhausbetten, verstaubte PCs und Untersuchungsgeräte, stumme Zeugen eines ehemals hektischen Klinikalltags. Überall liegt eine feine Schicht Staub, in manchen Räumen spiegelt sich durch die schmutzigen Fenster die Sonne in großen Wasserlachen auf dem Boden. Der Leerstand hat deutliche Spuren an der Bausubstanz hinterlassen, in einem der Flure ist die Deckenverkleidung heruntergekommen, im Vorbeigehen fällt der Blick auf einen grünen Teppich aus echtem Moos - das feuchte Mikroklima liefert optimale Wachstumsbedingungen.
Medizinische Relikte treffen auf den Alltag von Obdachlosen
Vergilbte Poster zieren die Wände, herumliegende Oster-Dekoration und verblasste Aufkleber zeugen vom Versuch des ehemaligen Personals, den Krankenhausaufenthalt ein wenig angenehmer für die Patientinnen und Patienten zu gestalten.
Zerfledderte Matratzen, zusammengewürfelte Kleidung, leere Bierflaschen und unzählige Zigarettenstummel erzählen dagegen von jenen Tagen, in denen das Gebäude Schutz für Menschen bot, die nirgendwo anders Zuflucht fanden. Zwischen diesen persönlichen Überresten, wo der Alltag der Obdachlosen mit den medizinischen Relikten kollidiert, sticht ein alter, abgenutzter Teddy hervor – wie ein stummer Zeuge vergangener, zarter Trostmomente. In den Kellerräumen sind die Fenster - viele eingeschlagen - mit Sperrholzplatten verbarrikadiert. Und trotzdem sieht es so aus, als wäre noch vor wenigen Minuten jemand dort gewesen.
Kein klassischer „Lost Place“
Es ist kein klassischer „Lost Place“, denn weder ist der leerstehende Krankenhaus-Trakt eine abseits gelegene Ruine, noch ist er in Vergessenheit geraten. Verloren gegangen ist allerdings die Vision, die Wohnraumentwicklung in bester Lage nachhaltig voranzutreiben. Der Grund: Denkmalpflege und die Stiftung Heilig-Geist-Hospital fanden keine Einigung, das Vorhaben wurde 2021 auf Eis gelegt (wir haben berichtet).
Einst war es ein Altersheim und Armenhaus – und natürlich ein Krankenhaus. Mittlerweile steht das Gebäude seit 2008 leer. Am Rande der Fußgängerzone sollten eigentlich in dem zentralen Gebäudekomplex barrierefreie Wohnungen für ältere Menschen mit unterschiedlich hohem Betreuungsbedarf und in einem weiteren Gebäude weitere Wohnungen entstehen. Doch von diesen Plänen hat die Eigentümerin der Immobilie, die Stiftung Heilig-Geist-Hospital, nun Abstand genommen.
„Leider war es nicht möglich, einen Konsens mit den Denkmalbehörden zu finden. Deren rigorose Argumentation ist nicht nachvollziehbar“, sagte Stiftungsvorstand Dr. Norbert Löw bei der Besichtigung. Im Vorfeld hierzu gab es bereits einen Termin im Rathaus mit seinem Vorstandskollegen Gerhard Schmitt, Bürgermeisterin Christine Klein und Erster Stadträtin Nicole Rauber-Jung. Dort hatte Löw erklärt, dass man auf die hohen Anforderungen der Behörde aus wirtschaftlichen Gründen letztlich nicht eingehen könne.
Denkmalpflege durchkreuzte die Pläne der Stiftung
Knackpunkt war und ist die Forderung der Denkmalpflege, den Mittelbau des Komplexes zu erhalten. Dieser wurde Mitte des 18. Jahrhunderts als Haupthaus des damaligen Hospitals errichtet. Nachdem die Behörde 2016 ihr Veto gegen den Abriss einlegte, folgten lange und intensive Verhandlungen, in denen es nicht gelang, ein Einvernehmen zu erzielen. Den Mittelbau in ein Konzept mit betreutem Wohnen zu integrieren, hätte aus baulichen Gründen eine hohe Investition nach sich gezogen. „Dieses finanzielle Risiko können wir nicht eingehen“, erläuterte Löw. Dabei hätte die angestrebte Nutzung nicht nur den Stiftungszweck zu 100 Prozent erfüllt, sondern wäre auch ein Gewinn für die Innenstadt gewesen.
Besonders interessant: Das Gebäude an sich sei kein Einzeldenkmal, so Löw. Allerdings enthält die Bausubstanz altes Material, konkret geht es dabei um die im Mittelbau eingesetzten Dachbalken aus dem 18. Jahrhundert. Von außen sind diese nicht sichtbar. Da das Gebäude aber unmittelbar an die Denkmalzone der Innenstadt angrenzt, lässt sich an dem Veto der Denkmalpflege nicht rütteln. „Stünde der Bau ein paar Meter weiter, wäre der Abriss wohl mit weniger Schwierigkeiten verbunden“, kommentiert der Stiftungsvorstand.
Was bleibt, ist der Blick nach vorne: Um einen Ausweg aus diesem „ewigen Prozess mit all seinen Schwierigkeiten“, wie Löw ihn bezeichnete, zu finden, sucht die Stiftung jetzt mit Unterstützung der Stadt nach anderen Möglichkeiten, das Grundstück und den Mittelbau wirtschaftlich zu entwickeln. Bei der Begehung betonte Nicole Rauber-Jung wie bereits bei dem Gespräch im Rathaus: „Es ist sehr gut, dass die Stiftung noch einmal neu denken möchte. Wir als Stadtverwaltung stehen dem Projekt wie bisher unterstützend zur Seite.“ Die Stadt ist an der Schaffung von Wohnraum an dieser Stelle interessiert. Aber auch weitere Konzepte, etwa für die gewerbliche Nutzung, wären denkbar. „Da die Stiftung nun wieder am Anfang steht, kann sie die Weiterentwicklung ganz offen angehen.“ Beziehungsweise muss sie das tun, da die ursprünglichen Pläne finanziell nicht darstellbar sind.
Bald wird das Gebäude entrümpelt
In einem ersten Schritt steht nun bald die Entrümpelung des weitläufigen Komplexes im Auftrag der Stiftung an. Alleine sie wird die Stiftung wohl einen mittleren fünfstelligen Betrag kosten, schätzt Löw. In „besenreinem“ Zustand soll der verwinkelte Gebäudekomplex attraktiver für mögliche Investoren wirken. Vorgetan hat sich ein solcher bisher nicht - eine zeitnahe Lösung wäre nicht nur für die Stiftung und die Stadt Bensheim wünschenswert. Auch die geschützte Bausubstanz des Gebäudes wäre sicher über (denkmal)pflegerische Zuwendung dankbar - und das nicht nur auf dem Papier.
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