Und, was schenkt ihr so?“, fragt Alya und blickt in ratlose Gesichter. „Ich schenke meiner Mutter einen Lebkuchen“, sagt Caro, und Bela meint, er hätte noch nichts, er kaufe Geschenke grundsätzlich am letzten Tag, weil: „Da ist die Auswahl nicht mehr so groß!“ Alya tätschelt Elin, lächelt und ich denke: Irgendwie ist die Runde schon ganz okay, nein, mehr: Sie ist süß. Man reibt sich, streitet, zankt, und manchmal fliegt auch mal ’ne Tasse. Aber eigentlich haben wir vier trotz der unterschiedlichen politischen, religiösen und sozialen Ansichten eine Art Seelenverwandtschaft.
Überraschend eigentlich. Alya: Nicht im christlichen Kulturkreis sozialisiert, spricht immer wieder mal von Gott. Caro: Turbo-Atheistin, spricht immer wieder mal von Gott. Bela: Hm, spricht aber immer wieder mal von Gott. Ich: Ein Zweifler, spreche immer wieder mal von Gott. Vielleicht sind wir einfach vier Typen, die gerne über Gott und die Welt sprechen und uns trotz gegenteiliger Bekenntnisse und Überzeugungen auf einer ewigen Suche (nach Gott und der Welt) befinden.
Wir sind auch gute Menschen. Wie morden nicht. Wir stehlen nicht. Wir hinterziehen keine Steuern. Wir sind nicht geldgierig. Wir sind überzeugte Demokraten. Wir hören nicht mal Helene Fischer. Was will man mehr! Okay, Bela hat seine Ticks mit Porsche, Perry und Rachmaninow. Aber das habe ich ihm verziehen. Er kann ja nichts dafür, dass er das braucht. Irgendwas hat ihm wahrscheinlich im Mutterbauch oder kurz nach der Geburt gefehlt. Egal. Caro hat ein zu hartes Wesen dafür, dass ihr Herz eigentlich gar nicht so hart ist. Sie schützt sich nur ständig vor irgendwas. Irgendwas hat ihr wahrscheinlich im Mutterbauch oder kurz nach der Geburt gefehlt. Alya ist vielleicht die normalste und perfekteste von uns. Sie ist unsere Frau ohne Eigenschaften. Irgendwas hat ihr wahrscheinlich im Mutterbauch oder kurz nach der Geburt gefehlt. Und bei mir ist eh Hopfen und Malz verloren. Irgendwas hat mir wahrscheinlich im Mutterbauch oder kurz nach der Geburt gefehlt. Doch wir vier leben in friedlicher Koexistenz, ja, irgendwie lieben wir uns sogar (frei nach Erika Fuchs: menschel menschel).
„Ein Lebkuchen? Ist das alles?“, fährt Alya Caro an, „du schenkst deiner … eigenen Mutter … ’nen … Lebkuchen? Toll!“ Caro: „Na soll ich ihn vielleicht deiner eigenen Mutter schenken? Meine Mutter liebt das. Ich backe ihn selbst. 101 Prozent Bio.“ Alya zieht in Zweifel, dass Caro bei den Zutaten auch ein Gramm Liebe hinzutut und sagt das auch, worauf Bela meint: „Wollt ihr euch wirklich so kurz vor dem Fest der Liebe und Versöhnung noch zanken?“ Caro schnauft, Alya blickt genervt zu mir, und Elin veranstaltet ein Melodram mit Pauken und Trompeten für Koloratursopran. „Tochter Zion“ ist das (noch) nicht.
„Mein Gott“, sagt Caro ins Kreischen (ich hatte erwähnt, dass sie immer wieder von Gott spricht), „ich bin echt froh, wenn alles wieder vorbei ist. Das Leben geht am 8. Januar weiter.“ Dito, meinen Alya und Bela. Ich denke, dass Weihnachten ja erst noch kommt. Nur die schöne Beschwerung, die hat jetzt schon stattgefunden.
Schreiben Sie mir: mahlzeit@mannheimer-morgen.de
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/leben_artikel,-ansichtssache-zu-weihnachen-eine-schoene-beschwerung-_arid,2271916.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.demailto:mahlzeit@mannheimer-morgen.de