Kolumne #mahlzeit

Verzweifelter Besuch bei Gottes Dienern

Unser Kolumnist Stefan M. Dettlinger war mal wieder in der Kirche. Gottesdienst. Auf dem Weg zu Gott oder den Göttern wollte er weiterkommen - was er dann erfuhr, war vor allem Ernüchterung (und die Erinnerung an die einzige Ohrfeige seines Lebens).

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Neulich war ich wieder mal in der Kirche. Ich gebe die Hoffnung nicht auf und gehe, auch weil ich das Wechselbad von großem Kino und Sprechtheater mag, mal in katholische, mal in evangelische Kirchen. Ich denke dann: Vielleicht klappt es diesmal, vielleicht kommst du diesmal einen Schritt weiter auf deinem Weg zu Gott oder den Göttern. Ich bin also guter Dinge und vor mich hin pfeifend in eine katholische Kirche (Konfession geändert) hineingegangen und eine Stunde später schlecht gelaunt und auf dem letzten Loch pfeifend wieder aus der katholischen Kirche rausgekommen. Die Sonne schien. Aber sie drang nicht in mich ein. Ich war imprägniert gegen positive Eindringlinge wie Wärme und Licht.

In die Kirche waren eine Geistliche, ein bürgerlicher Herr, 17 andere und ich gekommen. Jedes Mal, wenn die Orgel tönte, suchten 19 Leute im Gesangbuch und versuchten zu singen. Offenbar kannte niemand die Lieder oder sich im Notenlesen aus. Aber die Orgel klang unbeirrt, gut und laut.

Der sechste Sonntag nach Trinitatis (die Einigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist) erinnert an Jesu Auftrag, Leute zu taufen. Es geht um das Geschenk, das wir als Christ und -in empfangen. Ich erwarte da Euphorie, etwas Positives. Mann! Ein Fest der Sinne! Die Pfarrerin sprach leise, bedacht und zitierte mehrmals eintönig Jesaja 43: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Ihr „Gloria“ sollte ein Appell mit Glanz sein. Es war ein Rohrkrepierer. Auch der Herr sagte was. Er wollte Stimmung verbreiten. Bei seinem „Halleluja“ schlief mein linker Fuß ein (kann auch der rechte gewesen sein).

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Also mir tun diese Kirchen leid. Die wollen Gutes (und leisten es im Sozial- und Gesundheitswesen). Aber Gottes Bodenpersonal scheint mir nicht optimal gecastet. Vielleicht sollte man da mal Auswahl per Assessment-Center einführen. Ich bin ja offenbar nicht der Einzige, dem das so geht. Immer, wenn ich da bin, fühle ich mich wie auf dem untersten Deck der Titanic und denke: Warum bist du da? Es ging dir doch gut! Vorher.

Okay, es gibt Ausnahmen.

Mein Lieblingsmoment in den kargen Gottesdiensten, die bei uns Katholiken prunkvoll Messen heißen, ist der Spendenaufruf. Oft wird man gebeten, für Kirchenmobiliar Geld zu geben. Stühle. Bänke. Neuer Boden. Manchmal auch für Arme. Ich habe in deutschen Kirchen nie auf schlechten Stühlen gesessen oder bin über kaputte Böden gelaufen. Ich habe den Eindruck, dass die da manchmal nur einen Tapetenwechsel brauchen, weil ihnen sonst der Himmel auf den Kopf fällt. Auch für die Orgel wollen sie Kohle. Bald hat die Kirche aber so wenig Mitglieder, dass ein Christ drei Orgeln unterhalten muss. Wie bei den Renten. Ich frage mich sowieso, ob Orgelmusik noch das ist, was die Leute in der Kirche cool finden.

In der Kindheit hatte ich einen klampfenden Pfarrer mit Vollbart. Ich fand ihn cool, na ja, bis zu dem Moment, als er mich ohrfeigte. Er war der Erste und Einzige in meinem Leben. Ich hatte mit Manfred geredet, meinem Freund zu der Zeit. Ich glaube, schon damals war das Bodenpersonal nicht ideal …

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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