Interview zum Filmfestival

Filmfestival-Direktor Keilholz: „Wir stellen Nähe her“

Den Zeitgeist widerspiegeln und zur Verständigung beitragen: Das will Sascha Keilholz. Uns hat der Direktor des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg erzählt, was Krisen, Konflikte und Kultur verbindet

Von 
Thomas Groß
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Will Tradition mit dem Blick für Neues verbinden: Festivaldirektor Sascha Keilholz. © Christoph Blüthner

Metropolregion. Herr Keilholz, unsere Gegenwart prägen nicht zuletzt Krisen und Kriege. Wie reagieren Sie als Festivalmacher darauf? Wirkt es sich auf die Programmplanung aus?

Sascha Keilholz: Ja, ganz konkret wirken sich die großen Krisen und die kleine Krise, welche die Branche betrifft, aus: Wegen des Streiks der Schauspielerinnen und Schauspieler sowie der Drehbuchautoren in Hollywood war die ohnehin große Herausforderung, Gäste aus den USA hierher zu bekommen, noch größer. Manche Vorhaben, die vom Streik durchkreuzt wurden, versuchen wir im nächsten oder übernächsten Jahr zu verwirklichen. Und wir freuen uns sehr, dass Jack Huston, der Regisseur unseres Eröffnungsfilms, zum Festivalauftakt kommt – als Schauspieler hätte er die Einladung wohl ablehnen müssen. Die Ukraine-Krise beschäftigt uns weiter, und auch unser Bemühen, die Vorgänge im Iran bekannter zu machen, setzen wir fort. Was Nahost betrifft: Wir haben schon vor längerer Zeit eine Zusammenarbeit mit der Initiative „Unter einem Himmel“ geplant, die muslimisch-jüdische Kooperationen fördert. Wir veranstalten einen interkulturellen und interreligiösen Thementag, der die wichtige migrantische Geschichte Mannheims und der Region betont.

Der Leiter und das Festival

  • Sascha Keilholz, geboren 1978 und promovierter Filmwissenschaftler, leitete ein Festival in Regensburg, ehe er 2019 künstlerischer und kaufmännischer Geschäftsführer des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg wurde.
  • Das 72. Internationale Filmfestival läuft von 16. bis 26. November in Spielstätten in Mannheim und Heidelberg. Karten gibt es dort oder online. 19 Filme des Programms sind auch als Internetstream zu sehen.
  • Weitere Infos zu Karten und Programm: www.iffmh.de

 

Welche Rolle kann die Kultur spielen, um mit aktuellen Schwierigkeiten besser umgehen zu lernen? Kann ein Kulturfestival wie das IFFMH einen Beitrag leisten zur Erhöhung der vielgepriesenen Resilienz, der Widerstandskraft?

Keilholz: Egal welche Konflikte gerade im Vordergrund stehen, Kultur und Kunst wirken immer verbindend. Sie schaffen Sensibilität für Anderes. Auf Orte und in Gesellschaften zu schauen, die uns eigentlich fremd sind und mit denen wir sonst nicht in Kontakt kommen, das ist immer ein Anliegen dieses Festivals. Es stellt eine Nähe zu Dingen her, die uns vermeintlich fernliegen. Das spezifische Vermögen der Kultur prägt unsere Festivalarbeit. Und wir haben zudem den Luxus, die Urheber solcher Werke hierher bringen zu können, um uns direkt mit ihnen auszutauschen. Nur über Dialog entsteht schließlich Verständnis. In dieser Hinsicht bin ich großer Optimist: Unsere Arbeit kann zur Verständigung viel beitragen.

Ein großes gesellschaftliches Thema ist zudem die Rolle der Künstlichen Intelligenz, die auch ein Anlass des Streiks in Hollywood war.

Keilholz: Die Kunst bildet alles ab. Es werden auf dem Festival Filme laufen, die Zeitgeistthemen behandeln, wozu eben auch eine fortschreitende Technisierung gehört. Und in unserem Jahresdesign greifen wir das Thema konkret auf. Das dargestellte Motiv ist von unserer Designfirma mit KI generiert worden. In unserer täglichen Arbeit selbst spielt das Thema aktuell keine Rolle, aber natürlich reflektieren wir ebenso wie die Filme, die wir zeigen, die Strömungen der Zeit. Utopie, Dystopie, Science Fiction sind klassische Genres auch der Filmkunst. Man muss sich aktuell den mit diesem Thema zusammenhängenden Fragen stellen, vor allem derjenigen, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft angesichts solcher Entwicklungen bewegt.

Sehen Sie im internationalen Filmschaffen gerade jüngerer Regisseure und Regisseurinnen charakteristische Veränderungen, sei es inhaltlich oder stilistisch?

Keilholz: Im vergangenen Jahr war für mich bei einigen jungen Regisseurinnen, insbesondere in Europa, eine neue Filmsprache erkennbar, mit schnellem Rhythmus und spezifischem Musikeinsatz als Kennzeichen, dazu andere soziale Settings. Dieses Jahr sahen wir wieder mehr klassische Erzählungen. Ästhetische Trends fielen mir weniger auf, aber das US-amerikanische Independent-Kino hat wieder Fahrt aufgenommen, was sich auch in unserem Programm widerspiegelt. Außerdem gibt es in Ländern, wo man es nicht erwarten würde, etwa Nepal, ein stärker werdendes feministisches Kino. Politisches Kino überhaupt findet man gerade in Ländern, die patriarchalisch geprägt sind, genauso in solchen, die sich tendenziell in Richtung Diktatur bewegen.

Vor drei Jahren war der ukrainische Regisseur Oleh Senzow bei uns zu Gast, der jetzt an der Front kämpft.
Sascha Keilholz

Spiegeln sich im Filmschaffen verstärkt auch die Krisen wider?

Keilholz: Ja, aber oft nicht so direkt. Es gibt naturgemäß noch keine fiktiven Filme, die den Ukraine-Krieg behandeln oder gar die aktuelle Situation in Israel. Vor drei Jahren war der ukrainische Regisseur Oleh Senzow bei uns zu Gast, der jetzt an der Front kämpft. Sein Film „Rhino“ erzählte von der ukrainischen Gesellschaft der 1990er Jahre; es ging dabei vor allem um Gewalt – ein Beispiel, dass Filme schon früh auf die Bruchlinien in der Gesellschaft reagieren können. In diesem Jahr zeigt der US-amerikanische Spielfilm „The Sweat East“, den wir präsentieren, wie gespalten dieses große Land ist.

Von Deutschland heißt es oft, viele würden am liebsten den Kopf in den Sand stecken. Gibt es im internationalen Film eine Entsprechung, einen Rückzug ins Private?

Keilholz: Das ist schwer zu sagen, ich stelle es nicht im internationalen Kino fest, jedenfalls nicht in den Filmen, die wir gesichtet haben. In der deutschen Fernsehkultur gibt es das eher. Da wird etwas gezeigt, was uns heimelig vorkommt – und die Krisen der Welt bleiben außen vor. Ob das ein dezidiert deutsches Phänomen ist und ob es vor allem im Medium Fernsehen einen Ort hat, vermag ich nicht näher zu beurteilen.

Mit der Hommage und dem Grand IFFMH-Award würdigt das Festival das gegenwärtige Filmschaffen mit Qualitäts- und Kunstanspruch, dieses Jahr in Person von Agnès Godard und Nicolas Winding Refn; die Retrospektive blickt zurück in die Geschichte, und in den Hauptreihen werden wie seit Jahrzehnten jüngere Filmschaffende ins Zentrum gestellt, die viel Potenzial für die Zukunft haben. Dieser Dreiklang prägt das Festival, für das Sie im Jahr 2020 erstmals verantwortlich waren. Wird es so auch weitergehen?

Keilholz: Ja, auch unabhängig von meiner Person: Das IFFMH existiert seit 72 Jahren. Das ist angesichts unserer schnelllebigen Zeiten alles andere als selbstverständlich – und die Basis des Festivals bildet seit jeher das junge Filmschaffen. Neu hinzugekommen ist der Blick auf die immer größer werdende Filmgeschichte, aus der wir lernen können. Die Ehrungen sind das verbindende Element: Der Grand IFFMH Award würdigt das gegenwärtige Schaffen besonderer Filmakteure und die Hommage macht, ähnlich wie die Retrospektive, Werke der Filmgeschichte gegenwärtig. Wir nehmen die Festivaltradition sehr ernst, wollen immer wieder Neues entdecken. Das soll auch künftig so bleiben.

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Das Festival findet überwiegend live in Spielstätten statt, 19 Filme des Programms, das ist etwa ein Viertel, sind auch online zu sehen. Bleibt es bei dieser doppelten Darbietungsform auch in Zukunft?

Keilholz: Das Streamingprogramm finde ich als barrierearmes, inklusives Angebot sehr gut. Ich denke allerdings, dass es schwieriger werden wird, Online-Rechte für Filme zu bekommen. Ob wir also künftig so doppelgleisig fortfahren können, steht in den Sternen.

Die Zuschauerzahlen in Kulturinstitutionen liegen im Schnitt immer noch deutlich niedriger als vor Corona. Mit welchem Zuspruch rechnen Sie in diesem Jahr?

Keilholz: Auch da bin ich optimistisch: Ich denke, wir werden dieses Jahr noch mehr Zuschauer erreichen als im vergangenen. Damals kamen etwa 25 000. Die Kinobesuche nehmen ja auch insgesamt wieder zu. Filmfestivals und Kinos haben Zukunft. Unser Angebot, das sich an die ganze Metropolregion und an alle Kulturinteressierten richtet, ist präsent und sichtbar.

Und welches Potenzial sehen Sie, gibt es eine persönliche Zielmarke?

Keilholz: Ich denke, 30 000 Zuschauer können wir perspektivisch erreichen, mal schauen, wie nah wir dem dieses Jahr kommen.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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