Gewohnt ist man es ja schon: Große Festivals wie Enjoy Jazz oder auch das Internationale Filmfestival Mannheim Heidelberg (IFFMH) geben ihre Programmatik längst nicht mehr als Gesamtpaket bekannt. Es tröpfelt. Eine Information nach der anderen. So gibt das IFFMH exakt eine Woche vor der anberaumten Pressekonferenz am 19. Oktober entscheidende Säulen der Festivalinhalte bekannt: Im Rahmen des 72. IFFMH werden mit dem dänischen Regisseur und Drehbuchautor Nicolas Winding Refn sowie der französischen Kamerafrau Agnès Godard zwei der bedeutendsten Filmschaffenden unserer Zeit Ehrengäste in der Region sein. Der einen, Godard, bereitet Festivalleiter Sascha Keilholz eine Hommage, dem anderen, Refn, wird das Festival den mit 10 000 Euro dotierten Grand IFFMH Award verleihen.
Kamerafrau Agnès Godard hat immer neue Wege beschritten
Mit der Hommage ehre man „große internationale Persönlichkeiten der Filmbranche“, so das Festival. Im vergangenen Jahr war das Claude Lelouch und der belgische Kameramann Benoît Debie. Nun also Godart: „Die Kameraarbeit von Agnès Godard erfasst menschliche Körper als lebendige Landschaften und schenkt uns damit ein Kino der Beobachtung, Identifikation und Interaktion“, wird Keilholz in der Pressemitteilung zitiert. Auf einen einheitlichen Stil lasse sich ihre Arbeit dabei allerdings nicht festlegen. Mal stilisiere sie stark, dann filme sie wieder mit der Handkamera in einem radikalen Vérité-Stil – wie in „Liebe das Leben“ von 1998. Godard habe immer neue Wege beschritten und das jüngere französische Kino maßgeblich geprägt, so Keilholz.
Das 72. Internationale Filmfestival Mannheim Heidelberg
- Das Festival: Unter dem Credo „New Film Experience“ wagt das Internationale Filmfestival Mannheim Heidelberg seit 1952 „neue, interdisziplinäre Perspektiven auf und durch Filmkunst“. Damit ist es nach der Berlinale das traditionsreichste Filmfestival in Deutschland und setzt immer wieder bedeutende kulturelle, gesellschaftliche und politische Akzente. Heute heißt der Festivalchef Sascha Keilholz, davor hieß er Michael Kötz, der jahrelang das IFFMH und das Festival des Deutschen Films, dessen Leiter er nach wie vor ist, parallel leitete.
- Die 72. Ausgabe: Das IFFMH findet in diesem Jahr vom 16. bis 26. November an acht Standorten in Mannheim und Heidelberg statt. Das gesamte Programm wird am 27. Oktober veröffentlicht. Der Vorverkauf startet am 6. November.
1951 im französischen Dun-sur-Auron geboren, studierte sie in den 1970er-Jahren in Paris am renommierten Institut des Hautes Etudes Cinématographiques. Anschließend arbeitete sie in den 80er-Jahren als Kameraassistentin – auch für Henri Alekan, mit dem Wim Wenders 1981 „Der Stand der Dinge“ drehte. In den Wenders-Klassikern „Paris, Texas“ (1984) und „Der Himmel über Berlin“ (1987) war sie Kameraassistentin.
Ebenfalls bekannt wurde der Film zur Eröffnung am 16. November. Es ist die Deutschlandpremiere von „Day of the Fight“, dem Regiedebüt des britischen Schauspielers Jack Huston, der als Gast bei der Opening Night anwesend sein wird. Im Film zeichne Huston „in kraftvollen Schwarz-Weiß-Bildern das Porträt des ehemals gefeierten Boxers Mikey, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis zu seinem Comeback antritt“. Ein Debüt zur Eröffnung, so Keilholz, passe perfekt zum traditionellen Ansatz des IFFMH, neuen Regiestimmen Gehör zu verschaffen.
Den Abschluss auf dem IFFMH macht schnelles französisches Kino
Keilholz will damit auch die kuratorische Klammer zur Retrospektive-Reihe schließen, die am gleichen Tag mit Robert Rossens „Body and Soul“ (1947) startet und am 26. November mit Martin Scorseses Klassiker „Raging Bull“ ihren Abschluss findet. Alle drei Filme sind Keilholz zufolge „existenzialistische Parabeln“, erzählten von toxischer Männlichkeit, der Gewalt und Fragilität des männlichen Körpers und dem Ring als Metapher des Lebens. Im Zentrum des Festivals steht, als „Centre Piece“, der Streifen „All of Us Strangers“ von Andrew Haigh. Den Abschluss macht „junges, schnelles, direktes Kino aus Frankreich“: Nora el Hourchs „Sisterhood“, Darin geht es um die Erfahrung der Protagonistin Zineb, die Opfer eines sexuellen Übergriffs wird und versucht, den Täter per Video zu überführen. Es gehe um „MeToo, migrantische Identität, die manchmal sehr unsichtbare Macht von Klassenzugehörigkeit und die sehr sichtbare von sozialen Medien“.
Mit dem Grand IFFMH würdigt das Filmfestival auch diesmal wieder einen der „eindrücklichsten, stilprägendsten und innovativsten Filmemacher“. Vor über zwanzig Jahren sei Nicolas Winding Refn mit seinem zweiten Film „Bleeder“ Gast des IFFMH gewesen, so Keilholz, „damals war noch nicht abzusehen, welche steile Weltkarriere vor ihm liegen würde“. Refn, Jahrgang 1970, Sohn einer Kamerafrau sowie eines Filmregisseurs und Cutters, habe sich nicht nur in Hollywood etabliert, sondern dort mit „Drive“, „Only God Forgives“ und „The Neon Demon“ gleich drei der prägenden Filme des frühen 21. Jahrhunderts realisiert.
Bereits im September war bekanntgeworden, dass im Wettbewerb „On the Rise“ das Regiedebüt „The Sweet East“ des New Yorker Kameramannes Sean Price Williams zu sehen sein wird sowie „An Endless Sunday“ des Italieners Alain Parroni – beides Deutschlandpremieren. Der Gewinner des Newcomer-Awards 2022, Goran Stolevski, ist dieses Jahr Mitglied der internationalen Preisjury.
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