Ohne Erker, nicht höher als drei Stockwerke – der Kurfürst formuliert an diesem 14. März 1698 bis ins Detail, wie Mannheim neu entstehen soll. Dabei ist der Regent, auch Jan Wellem genannt, gar nicht da. Statt in der verwüsteten Kurpfalz residiert er weit weg im Düsseldorfer Schloss, der Residenz seiner Herzogtümer Jülich-Berg, die er ebenso regiert. Von Mannheim, gerade etwas mehr als 80 alt, hat der 1688 bis 1697 tobende Pfälzisch-Orléansche Erbfolgekrieg ohnehin kaum noch etwas übrig gelassen.
„Brulez le Palatinat“ (Brennt die Pfalz nieder!) hat der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. seinen Generälen befohlen, und das tun sie mit enormer Brutalität, wie sich aus im Marchivum erhaltenen Schilderungen und Ratsprotokollen ergibt. Von vielen Städten und Dörfern der Region lassen sie nur Berge von Schutt und verkohlten Balken übrig, und dem 1607 gegründeten Mannheim hilft es auch nichts, dass eine Festung es umgibt. Häuser, Wälle, Gräben und Bollwerke – alles überrannt und niedergebrannt, oft sogar mehrfach.
Alles niedergebrannt
Gleich zu Beginn des Krieges wüten die französischen Soldaten das erste Mal in Mannheim und ziehen im April 1689 erstmal weiter. Da sind die Bewohner der Stadt schon fast alle geflohen, teils bis in weit entfernte Gebiete. So gestattet der brandenburgische Kurfürst Friedrich III., dass sich etwa 200 kurpfälzische Familien in Magdeburg ansiedeln.
Auch nach Halle, Stendal, Frankfurt und Hanau fliehen Mannheimer, nach Eberbach und sogar bis zu 400 nach Weinheim. Nicht überall sind die Flüchtlinge willkommen; gegenüber dem Kurfürsten klagen sie über „allerhand Trangsahlen und Widerwärtigkeiten“, wie es in einer Eingabe an ihn heißt, auf die Harald Stockert vom Marchivum bei der Erforschung dieser Epoche gestoßen ist. Rund 75 Familien mit 300 Menschen aus Mannheim kommen in Heidelberg, das zunächst noch nicht zerstört ist, unter. Ein paar Offizielle – Stadtschultheiß, Stadtschreiber, Ratsherren – können sich ebenso in die Stadt am Neckar retten.
Aber die Mannheimer würden gerne zurück. Die Franzosen verbieten es jedoch und drohen im Mai 1689, alle zu töten, die versuchen, in den Trümmern zu hausen. Die Soldaten unter General Ezéchiel de Mélac wollen nicht nur auf Dauer die Festung schleifen, sondern auch keine Behausungen auf dem Gelände dulden. Und weil einige unerschrockene Bürger doch bauen, marschieren im August wieder Truppen ein und reißen nieder, was gerade eben notdürftig aufgerichtet worden ist.
Flucht nach Frankfurt
In einem der berühmten Briefe von Elisabeth Charlotte (1652–1722), bekannt als an den französischen Hof zwangsverheiratete „Liselotte von der Pfalz“, lässt sich das nachvollziehen. Sie schreibt im Herbst 1689 traurig von den armen Leuten zu Mannheim, die sich „alle wieder in ihre Keller retiriert haben und darinnen wohnen als wie in Häusern“. Ratsprotokolle und Notizen von Zollschreibern zeigen aber ebenso, dass Mannheimer Beamte – trotz großer Zerstörung – immer noch eifrig versuchen, von den wenigen in oder bei der kaputten Stadt verbliebenen Fischern und Bauern weiter Abgaben zu erheben.
Im Sommer 1690 ist immerhin davon die Rede, dass in Mannheim an die 60 Häuser neu entstanden sind. Im November folgt indes ein neuer Überfall von der anderen Rheinseite, und im Dezember 1691 dann wieder. Mannheim und die Festung, so verfügen die Franzosen, sollen nie mehr besiedelt werden. Und nicht nur das. Heidelberg, anfangs durch das von den Truppen des Sonnenkönigs gelegte Feuer nur teilweise zerstört, gerät 1693 ins Visier der Truppen mit dem Ziel, das Schloss endgültig zu vernichten. Am 6. September zünden Soldaten 38 Minen, geladen mit 27 000 Pfund Pulver: Seither ist es eine Ruine.
Das Ende der Heidelberger Residenz demoralisiert auch die Mannheimer. Der Rat der Stadt ist aus Heidelberg geflohen, erst nach Hanau und später – mit fünf Kisten Akten – nach Frankfurt. Auch die kurpfälzische Regierung sitzt zeitweise hier. „Mit sonderbarem Mißfallen“ notiert sie hier, dass viele Mannheimer sich „außerhalb in frembde Herrschaft nit allein ad interm (also vorübergehend) begeben“ sondern sich dort „häußlich niederlassen wollen“. Der Rat der Stadt wird angewiesen, er solle „die getreuen Bürger und Inwohner beysammenhalten“, was freilich nicht sehr gut gelingt.
Stadtgeschichtliche Ausstellung
- Anschrift: Marchivum – Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung, Archivplatz 1 (Dammstraße/Ecke Bürgermeister-Fuchs-Straße), 68169 Mannheim
- Stadtgeschichtliche Ausstellung: Die Ausstellung zeichnet auf mehr als 500 Quadratmetern die über 400 Jahre alte Historie Mannheims auf bisher nie dagewesene Weise multimedial und interaktiv nach. Der Bogen reicht von der Gründung der Stadt 1606/07 bis hin zur Gegenwart.
- Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr, am Montag geschlossen, an jedem Feiertag geöffnet außer 24. und 31. Dezember
- Eintritt: Sieben Euro, ermäßigt 3.50 Euro, Familienticket zehn Euro, Schüler in Klassen zwei Euro.
- Führungen: Öffentliche Führung wöchentlich sonntags, 15 Uhr, Treffpunkt Foyer im Erdgeschoss
- Anfahrt: Der Parkplatz liegt in der Bunsenstraße. Die Parkgebühr von drei Euro muss passend bereitgehalten werden. Straßenbahn (Linie 2/Haltestelle Bürgermeister-Fuchs-Straße) und direkt vor dem Haus der Bus (Linien 53 und 60). pwr
Aber nicht nur der Kurfürst will seine Landeskinder zusammenhalten. Der wegen seiner Erfolge gegen die Osmanen „Türkenlouis“ genannte badische Markgraf Ludwig Wilhelm, ab 1693 Oberkommandierender der kaiserlichen Armee im Kampf gegen die Franzosen, setzt sich für einen Wiederaufbau Mannheims ein. Man müsse an diesem bedeutenden Platz wieder eine Festung mit vielen Soldaten bauen, fordert er. Doch das dafür nötige Geld und die von ihm geforderten Truppen (3000 Mann, dazu 600 Reiter) werden ihm nicht bewilligt.
Das Ergebnis: Immer wieder kommt es zu Überfällen und Zerstörungen durch die Franzosen auf der rechten Rheinseite. So ist zur Zeit des Maimarktes 1695 belegt, dass Franzosen durchziehen und Hütten niederbrennen. Man müsse „stündlich des barbarischen feindlichen Überfalls und Brandts gewärtig sein“, beklagen die Einwohner gegenüber der kurpfälzischen Regierung. Doch der Beharrungswille der Mannheimer sei „beachtlich“ gewesen, trotz ständiger Angriffe „den Aufbau ihrer Stadt immer wieder von neuem in Angriff zu nehmen“, bewertet das Harald Stockert.
Keine Zitadelle mehr
Weil sich die wirtschaftliche Lage Frankreichs zuspitzt, geht der Krieg jedoch zu Ende. Die Franzosen und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mit seinen zahlreichen Verbündeten („Wiener Allianz“) schließen im Oktober 1697 in der holländischen Gemeinde den Frieden von Rijswijk. Straßburg wird, so ist es da niedergelegt, auf ewig französisch, aber die anderen Eroberungen muss Ludwig XIV. hergeben.
Noch ehe der Vertrag unterzeichnet ist, im September 1697, fordert Johann Wilhelm in einer Proklamation, seine geflüchteten Landeskinder mögen nun bitte zurückkehren, Wer das nicht binnen fünf Monaten tue, dem drohe der Verlust seines Vermögens und seiner Grundstücke.
Die sind aber überwiegend so verwüstet, dass der Aufruf ohne große Wirkung bleibt. Ob in einer Siedlung bei Feudenheim, ob in dem – von den französischen Besatzern geduldeten – „Neu-Mannheim“ auf der nördlichen Neckarseite (heute Neckarstadt) mit zwei Gassen und rund 500 Bewohnern in 155 Häusern oder weit weg in Hessen und Brandenburg – überall haben Mannheimer eine neue Heimat gefunden.
Die Verzögerung ärgert den Kurfürsten – auch wenn er selbst keineswegs als Vorbild fungiert, sondern in Düsseldorf bleibt. Von dort erlässt er im März 1698 das Edikt, das den Wiederaufbau an alter Stelle genau regelt. Das Datum gilt nach 1607 und dem Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg als „dritte Stadtgründung“, so Ulrich Nieß, der Direktor vom Marchivum.
Mit dem Wiederaufbau beauftragt Johann Wilhelm den niederländischen Festungsbaumeister Menno van Coehorn. Der niederländische Artilleriegeneral gibt wieder das schon in der Festung Friedrichsburg vorhandene, von einem Landsmann geplante rechtwinklige Straßensystem vor. Was es aber nicht mehr geben soll, ist die Trennung zwischen der rein militärischen Zitadelle Richtung Rhein und der Bürgerstadt im Norden davon. Es wird ein gemeinsames Mannheim – von sternförmig angelegten Festungsanlagen mit dicken Mauern sowie drei Toren (Rheintor, Neckartor, Heidelberger Tor) umgeben.
Doch trotz des kurfürstlichen Aufrufs, die Notsiedlung „Neu-Mannheim“ zu verlassen, zögern die Bewohner. Mehrfach wiederholt er daher seine Forderung und verbindet sie mit der Drohung, die Neu-Mannheimer würden sonst als Landbewohner angesehen – nicht mehr als privilegierte Stadtbürger.
Und er zeigt, dass und wie ernst er es meint – mit dem Wiederaufbau am alten Ort und mit seiner Forderung: „Damit Mannheim wiederum in Stand gebracht und erbauet werden möge“ erlässt Johann Wilhelm am 31. Oktober 1698 neue Stadtprivilegien. Der „durchlauchtigste Fürst und Herr“, wie es in dem kostbaren Papier heißt, will damit alles tun, damit „die durch französ. Grausamkeiten zerstöre Statt Mannheim wieder zu besserer Aufnahm möge gebracht werden“. Die „wohlgelegene Statt an den schiffreichen Ströhmen, dem Rhein und Neckar“ solle von allen, die sich im Exil befinden, wieder errichtet werden.
Dafür wolle er ihnen „verschiedene Gnaden und Freyheiten“ zubilligen, sie sollen etwa „zu ewigen Tagen befreit von aller Dienstbarkeit und Leibeigenschaft“ sowie von der Pflicht zur Zahlung von kurpfälzischen Wasser- und Landzöllen enthoben sein. Für 30 Jahre verspricht der Regent Steuervorteile (er werde Mannheimer „erträglicher schätzen“ als andere Städte), auch die Wein- und Biersteuer werde „erträglicher sein“, er sagt Brennholz zu sowie „die Macht zu jagen und zu fischen, ausgenommen das hohe Wild“ und das Fischen in den Gewässern, aus denen die kurfürstliche Küche „mit Fischen versehen wird“.
Konfessionsfreiheit für alle
35 heutige Din A 4-Seiten umfassen die Privilegen, ehe das kurfürstliche Siegel folgt. Von ganz besonderer Bedeutung sind die konfessionelle Gleichberechtigung und das Selbstentscheidungsrecht über Zunft- und Gewerbefreiheit, ebenso die Ermächtigung des Stadtrates, Schulden aufzunehmen und einen Rheinzoll zu kassieren. Die Konfessionsfreiheit bedeutet, dass Bewohner also nicht den Glauben des Regenten annehmen müssen. Es ist eine Einladung an alle, sich in Mannheim niederzulassen. Damit wird „Zuwanderung ein elementarer Baustein, um die Stadt zu neuer Blüte zu führen“, wie Marchivum-Direktor Ulrich Nieß betont. „Das bewährte Instrument für den Wiederaufbau hieß, neben einem riesigen Bauprogramm für die Festungsanlagen vor allem, mit weitreichenden Privilegien Migranten anzuwerben“, so Nieß. Die Zuwanderer kommen von anderen Gebieten der Kurpfalz, aber ebenso aus Württemberg, Sachsen, Frankfurt sowie viele aus hugenottisch-wallonischen Gebieten.
Platz fürs Schloss
Für das erste bedeutende Gebäude wird am 17. September 1700 am Eck zur heutigen Breiten Straße der Grundstein gelegt – darin eine Schrift, die dem Kurfürsten huldigt und hofft, dass der Stadt „innerliche Ruhe und Einigkeit erhalten werden möge“. Es ist das 1705 vollendete Rathaus und die fünf Jahre später geweihte Untere Pfarrkirche in F 1.
Drei wichtige Vorgaben gelten für den Wiederaufbau: Eine breite Straße soll als „Allarmgass“ für die Mobilmachung (heute Planken) frei bleiben, die Quadrate O 1 (Paradeplatz, zunächst „Allarmplatz“ genannt) und N 1 (wo später das Kaufhaus entsteht) dürfen nicht bebaut werden. Und auch das südliche Drittel der Stadt will Johann Wilhelm frei gehalten wissen – für einen möglichen Schlossbau.
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Den nimmt er aber nicht in Angriff, sondern er bleibt in Düsseldorf. Nach seinem Tod 1716 übernimmt sein Bruder jüngerer Carl Philipp den Thron und entscheidet, in der Kurpfalz zu residieren. Zunächst zieht er in das alte, wenn auch stark in Mitleidenschaft gezogene Stammschloss der Pfälzer Wittelsbacher in Heidelberg. Aber 1720 kehrt der Katholik nach einem Streit den mehrheitlich protestantischen Heidelbergern den Rücken und lässt in der dann schon 5000 Einwohner zählenden Quadratestadt ein Schloss bauen. Gut, dass Johann Wilhelm dafür sehr viel Platz frei gehalten hat – schließlich will er, dass seine dreiflügelige Residenz eine 440 Meter lange Schaufront erhält und mit Versailles mithalten kann.
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