Zeitreise

Karneval beim Kurfürsten: So wurde im 18. Jahrhundert in Mannheim gefeiert

Schon damals wurden im Mannheimer Schloss Maskenbälle gefeiert. Carl Theodor hat sich als Kind als römischer Feldherr verkleidet und als Regent dann als einfacher Wirt

Von 
Peter W. Ragge
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Gemälde im Schloss: Carl Theodor im Alter von acht Jahren, kostümiert als römischer Feldherr. © Staatliche schlösser und Gärten

Mannheim. Ein etwas pausbäckiges kleines Kind, lieblich-verspielt wirkend, doch ohne Lächeln und schon unverkennbar in Herrscherpose: Acht Jahre alt ist Kurfürst Carl Theodor, als er so – fast lebensgroß – in Öl gemalt wird. Das Bild hängt im Mannheimer Schloss, und es ist nicht nur deshalb etwas Besonderes, weil es den späteren Regenten im Kindesalter zeigt. Das Gemälde Carl Theodors als römischer Feldherr sei zudem „ein typisches Beispiel eines damaligen Kostüms, wie es zu Karneval oder anderen Verkleidungsfesten getragen wurde“, erklärt Uta Coburger, zuständige Konservatorin der Staatlichen Schlösser und Gärten für Mannheim. Denn wenngleich am kurfürstlichen Hof gerne Karneval gefeiert wird – Gemälde davon gibt es sonst nicht.

Der neben dem Knaben liegende große Helm mit den Verzierungen sowie das rote Samttuch sind aber kein karnevalistischer Zufall – auf solchen Gemälden ist im Absolutismus alles Absicht. „Man sieht durch herrschaftliche Attribute, in welche künftige Rolle er hineinwachsen soll“, so Uta Coburger.

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Carl Theodor kommt 1733 als Kind an den Mannheimer Hof. Eigentlich ist nicht vorherbestimmt, dass er mal die Kurpfalz regiert – als Zweitgeborener einer Nebenlinie der Herrscherfamilie, nämlich Pfalz-Sulzbach. Aber in der Hauptlinie der pfälzischen Wittelsbacher, also Pfalz-Neuburg, gibt es keine männlichen Nachkommen mehr. Kurfürst Carl Philipp, der das Mannheimer Schloss ab 1720 bauen lässt und von hier regiert, ist Carl Theodors Vormund. Er holt ihn nach dem Tod des Vaters nach Mannheim, lässt ihn von Jesuiten ausbilden und arrangiert die Ehe mit seiner Enkelin Elisabeth Augusta, damit die Erbfolge gesichert wird.

Briefe an den Geliebten

„Das Porträt zeigt also den kleinen Carl Theodor als designierten Erben der Pfälzer Kurwürde in einem römisch-antiken Gewand, das auf den potenziellen Anspruch der Pfalz auf die Kaiserwürde anspielte, der Status des Kurfürsten“, erläutert Coburger. Neun Jahre später geht der bayerisch-pfälzische Plan ja auf: Ein Wittelsbacher, Karl VII., wird 1742 nach über 300 Jahren Habsburgerherrschaft zum Kaiser gewählt.

Nicht ganz sicher ist, von wem das Gemälde stammt – eine Signatur fehlt. Entstehungszeit und die große Ähnlichkeit zu anderen Porträts sprechen indes dafür, dass Jan Philips van der Schlichten als damaliger Hofmaler die Arbeit ausführt. Von ihm stammen die Porträts und Supraporten im Rittersaal. Auch das Kinderbild hängt anfangs im Schloss. Um 1788, das kann man nachvollziehen, schenkt es der längst als Kurfürst von München aus regierende Carl Theodor als Ausstattung ihres Stadtpalais in A 2 (Palais Bretzenheim) seinen unehelichen Kindern, die er mit seiner Maitresse, der Tänzerin Josepha Seyffert, hat. Zuletzt haben es Verwandte englischer Adeliger aus Zweibrücken in ihrem Besitz, ehe Mitarbeiter der Staatlichen Schlösser und Gärten es in einem Auktionskatalog entdecken und 2017 für Mannheim erwerben.

Schloss Mannheim

 

  • Anschrift: Schloss Mannheim, Bismarckstraße, 68161 Mannheim
  • Zu besichtigen: Haupttreppenhaus, Rittersaal, je vier rekonstruierte Räume des Kaiserlichen Quartiers und des Appartements der Großherzogin einschließlich neuem „Erlebnisraum Hofmusik“, der Gang hinunter zum Fundament sowie das Schlossmuseum im Erdgeschoss mit Dauerausstellung zahlreicher Kunst- und Alltagsgegenstände des Hofs. Die Räume zeigen das Leben zur Zeit der Kurfürsten (1720 bis 1777) sowie der Großherzogin Stéphanie von Baden (1809-1860).
  • Eintritt: Schloss mit Audioguide oder App für Erwachsene neun Euro, für Ermäßigte 4,50 Euro und für Familien 22,50 Euro.
  • Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.
  • Führungen: Klassische Schlossführung 1. Januar bis 31. März Samstag, Sonntag und Feiertag 11 bis 16 Uhr stündlich. 1. April bis 31. Dezember Samstag, Sonntag und Feiertag 11 bis 15 Uhr stündlich.
  • Sonderaktion: Noch bis einschließlich 19. Februar läuft die Aktionswoche „Küss mich! Im Schloss“ anlässlich des Valentinstages. Paare, die sich an der Schlosskasse küssen, erhalten freien Eintritt. Alle, die ihr Foto vor einem der teilnehmenden Schlösser bis zum 21. Februar unter #KüssmichimSchloss im Internet hochladen, nehmen an einer Verlosung teil.
  • Anfahrt: Bis Hauptbahnhof Mannheim, dann weiter mit Stadtbahnlinien 1, 4/4 A und 5 bis Haltestelle „Schloss“ oder zu Fuß in 12 Minuten. Mit dem Auto ab Autobahneinfahrt Mannheim oder aus der Pfalz über B 37/Konrad-Adenauer-Brücke, in Mannheim der Beschilderung folgen; Parkmöglichkeit in der Parkgarage Universität/Mensa oder Tiefgarage Stadthaus N 1. pwr

Wenn auch Bilder fehlen, so sind doch wenige schriftliche Schilderungen überliefert, wie während der Regentschaft Carl Theodors in Mannheim, also von 1742 bis 1777, im Schloss Karneval gefeiert wird. Einen bedeutenden Beleg stellen die Briefe Elisabeth Augustas an ihren Schwager Clemens Franz, Herzog in Bayern, dar, welche die Schwetzinger Professorin Susan Richter 2022 herausgegeben hat. Die Briefe offenbaren nicht nur eine große Sehnsucht und Nähe, denn bekanntlich verbindet Elisabeth Augusta eine amouröse Beziehung zu ihrem Schwager. Aus den Zeilen lassen sich auch sehr viele Details zum Leben am kurfürstlichen Hof entnehmen.

„Nächsten Montag beginnen die Maskenbälle, die zweimal pro Woche stattfinden werden. Ich freue mich riesig“, schreibt Elisabeth Augusta am 15. Januar 1544 in einem der im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher in München erhalten gebliebenen Briefe. Allerdings formuliert sie schon am 28. Januar 1744 „Ich bin der Bälle müde“. Briefe an ihn zu schreiben, so lässt sie den Herzog wissen, mache ihr „mehr Spaß als alles andere“, heißt es am 8. Februar 1744. „Ich wünsche Sie mir 100 Mal auf den Ball, wenn ich eine Menge Masken sehe, die eine grotesker als die andere“, lässt sie die Zuneigung zu ihrem Schwager erkennen – wenn auch per „Sie“, was damals eben üblich ist.

Groteske Masken

In einem der Briefe erzählt Elisabeth Augusta über ihren Mann, dass Masken ihm „unendlich viel Spaß bereiten“. „Er erfindet die groteskesten, ich lege Ihnen eine Liste von denen bei, die er getragen hat“. Tatsächlich folgt dann eine Aufstellung, dass der Kurfürst sich mal als „Domino für Frauen“, mal in den Farben von Spielkarten, mal als Zwerg, mal als Zwitterwesen („Hermaphrodit“), als Spanier oder Pilger kostümiert habe. Der Hinweis auf „Zwerg“ könnte bedeuten, dass Carl Theodor vielleicht eine Anspielung auf den trinkfesten wie kleinwüchsigen Heidelberger Hofnarren Perkeo, der lange in Dienstes seines Vorgängers Carl Philipp ist, versucht.

Auch von sich listet die Kurfürstin auf, welche Gewänder sie angelegt hat – als italienische Bäuerin, in einem Leinengewand mit Holzlöffeln, als „Straßburgerin“, als Nymphe, als Jagdgöttin Diana oder als Tirolerin – was dazu passt, dass ihr Großvater ja kaiserlicher Statthalter in Tirol war und es auch in der Kurpfalz viele Einwanderer aus Tirol gibt.

Über den Ablauf der Maskenbälle ist nicht sehr viel bekannt. Eine zeitgenössische Schilderung besagt, dass sie zwischen dem 6. Januar und dem Beginn der Fastenzeit sogar zweimal wöchentlich stattfinden, „von abens 10 bis morgens dauren“ und im Rittersaal oder dem Konzert- und Redoutensaal des Hoftheaters stattfinden. Im Saal dürfe niemand seine Maske abnehmen, in den Nebenräumen nur zum Essen und Trinken. Zugelassen seien nur „Leute von Rang“, die sich am Vortag beim Obristen des Garderegiments anzumelden haben. Allerdings herrscht bei dem „Spectaclen freier Eingang“ (sprich: Es ist kein Eintritt zu zahlen), und jeder Teilnehmer „beeifert sich, jedem Fremden mit Achtung und seinem Rang gemäß zu begegnen“, so der „Pfälzische Kleine Kalender“ von 1770.

Beliebte Wirtschaften

Überliefert ist auch der Auftrag an den sächsischen Gesandten am Mannheimer Hof, Ludwig von Hagedorn, Masken nach Dresdner Vorbildern entwerfen zu lassen. Vom sächsischen Hof von August dem Starken, vom Wiener Kaiserhof oder von Ludwig XIV. als dem tanzenden Sonnenkönig Frankreichs sei die Festkultur auch wesentlich besser dokumentiert als von Mannheim, bedauert Coburger. „Die Kurpfalz stand dem vielleicht im Ausmaß der Prachtentfaltung, aber nicht in der Sache nach“, betont sie.

Besonders beliebt zu Karneval oder auch bei besonderen Anlässen wie Hochzeiten seien ab Mitte des 17. Jahrhunderts sogenannte „Wirtschaften“ gewesen, so Uta Coburger. Das seien Verkleidungsfeste, bei denen die Hofgesellschaft einen Rollentausch vollzieht: „Der Herrscher und die Herrscherin empfangen verkleidet als Wirtsleute ihre Gäste“, erklärt sie. Diese Gäste wiederum kommen als Fischer, Bäcker, Gärtner, Kellner, aber auch in Ländertrachten, etwa Venezianer, Chinesin, Spanischer Bauer, Französischer Bauer, Holländischer Bauer.

„Es wurde auch ein Hochzeitspaar ausgelost, da man ja eine Bauernhochzeit spielte“, erklärt sie. Der Wiener Kaiser lässt zum Beispiel anlässlich des Besuchs des Moskauer Zaren im Sommer 1698 eine solche „Wirtschaft“ mit über 300 Personen ausrichten. Er ist der Wirt, der Zar verkleidet sich als Bauer. Beschreibungen einiger dieser Feste zeigen laut Coburger, dass man extra von einfachem Geschirr isst, also Holz und Ton statt Porzellan und Silber.

Die Beliebtheit dieser „Wirtschaften“ hat laut Uta Coburger viele Gründe. „Erstens hatte man damals generell Freude an einem Ausbrechen aus der Ordnung“, erklärt sie, sei doch das höfische Leben durch strenges Zeremoniell geprägt: „Dem konnte man entfliehen durch diese Feste“. Beschreibungen zum Zeremoniell aus dem frühen 18. Jahrhundert würden diese Art Feste gar als eine sehr gute Gelegenheit bezeichnen, die oft komplizierten Rang- und Statusfragen zu umgehen. „Das Zeremoniell regelte ja damals das ganze höfische Agieren: Gleichrangigkeit musste peinlich genau im Ablauf eines Treffens dokumentiert werden“, erklärt die Konservatorin. Bei einem Treffen zwischen dem französischem und dem spanischem König sei genau auf dem Boden markiert worden, wo sie jeweils loslaufen und wo sie sich begegnen, damit keiner einen Schritt mehr machen müsse. Es gebe Berichte, dass Herrscher empört das Treffen abbrechen, wenn der Empfang nicht exakt seinem Rang entsprechend ablaufe. „Um genau solche Eklats zu verhindern, feierte man an einigen Höfen diese Wirtschaften“, so Coburger.

Doch so ganz locker, so ganz ohne Rangordnung geht es freilich auch an Karneval bei Hofe nicht zu. So ist von 1744 aus alten Hofamtsakten ein Programm einer solchen „Wirtschaft“ erhalten, zehn Ziffern, der zehnte Punkt noch mal in neun Unterpunkte unterteilt – da wird fast kein Detail ausgelassen. So müssen die „Herren Cavaliers und Dames“ zwei oder drei Tage vor dem Termin einbestellt werden und Zettel ziehen, damit ihnen ein (Tanz-)Partner zugewiesen wird. Es „müssen sämtliche Herren Cavaliers und Dames ihre Nummern an die Kleider stecken, damit man sehen kann, wer zusammen gehört“, heißt es da. Aufgelistet ist, dass vor dem Einzug der Gäste in den Rittersaal Lakaien mit brennenden Kerzenleuchtern Aufstellung nehmen, Pagen mit Wachsfackeln und die Hofmusik wie die Pagen kostümiert sein sollen.

Feiern nach Rangfolge

Genau wird der „völlig in Ordnung gestellte Zug“ beschrieben, wobei jeweils zwei Musiker nebeneinanderherlaufen, ebenso Hofbedienstete und Hausknechte. Dann folgen „ihre beiden kurfürstlichen Durchlauchten als Wirt und Wirtin“, womit genau belegt ist, dass sie sich so kostümiert haben. Nach ihnen ziehen die Hofministerialen ein, und zwar „nach ihrem Rang“, dann „der Herr Pfarrer allein“, dann die Paare und am Ende „die übrigen Herren Cavaliers, welche keine Dames bekommen haben“. Singles scheint es also auch schon damals zu geben. . .

In der genannten Reihenfolge laufen die Gäste nicht nur in den Rittersaal ein, sondern sie drehen da auch einige Runden. Erst wenn „Ihro churfürstliche Durchlaucht gnädigster Herr den Ball anzufangen gnädigst befehlen“, dann darf gefeiert und getanzt werden.

In der Hofbibliothek erhalten hat sich auch eine Fasnachtspredigt, die das Herrscherehepaar – auch da erkennbar in der Rolle als Gastwirte – hochleben lässt. „Es lebe unser Wirth, Carl Theodor mit Namen, Augusta seine Frau, vom gleichen Löwen-Stammen. Heißt der gemeine Wunsch, dies Haus soll stets florieren, und wers nicht also meint, der kann gleichwohl crepieren“, reimt da der sich als „Dorff-Prediger“ bezeichnende Frantz Petern, über den aber nicht mehr bekannt ist.

Ein Seil im Saal

Viele Details „müsste man noch erforschen“, sagt Coburger. In der Stadtchronik von Friedrich Walter, (1870-1956), Mannheims erstem Stadtarchivar, findet sich immerhin der Hinweis, dass zu den Maskenbällen am Hof „auch die bürgerlichen Schönen erscheinen“ dürfen. „Die waren zwar auch durch gewisse Schranken von der Hofgesellschaft getrennt, aber die Herren vom Hof fanden doch den Weg zu ihnen“, wie er süffisant anmerkt. Der Sprung über das quer durch den Ballsaal gespannte Seil sei für die jungen Herren kein Problem gewesen.

Als Kurfürst Carl Theodor 1778 sein bayerisches Erbe antreten muss und nach München umzieht, ist es mit dem höfischen Glanz in Mannheim vorbei. Die Mannheimer wollen aber weiter tanzen. Schon zuvor, ab 1760, hat der Wirt vom „Wilden Mann“ die Konzession zur alleinigen Abhaltung von solchen karnevalistischen Veranstaltungen parallel zum Hof.

Als es den Hof nicht mehr gibt, wird an vielen Stellen gefeiert – besonders im Nationaltheater (damals im Quadrat B 3) beim beliebten „Hoftheatermaskenball“, aber auch im Mühlauschlösschen am Rhein, in Gastwirtschaften oder Sälen. Bis es in Mannheim aber dann wirklich organisierten Karneval in Form von Vereinen gibt, da vergehen noch über 100 Jahre: 1898 wird der Feuerio gegründet.

Redaktion Chefreporter

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