Zeitreise

Die Einhards-Basilika im Odenwald: Das verborgene Juwel

Die fast 1200 Jahre alte Einhards-Basilika bei Michelstadt-Steinbach im Odenwald zählt zu den wichtigsten Bauten der Karolingerzeit in Deutschland. Lange war ihr Ursprung vergessen

Von 
Klaus Backes
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Die Einhards-Basilika: Links das 1972/73 neu erbaute Seitenschiff, daneben das Mittelschiff aus karolingischer Zeit und rechts die Sakristei aus dem 12. Jahrhundert. © Klaus Backes

Mannheim. Im Vergleich zu den riesigen Kathedralen des Mittelalters wirkt die Kirche in Michelstadt-Steinbach klein und unscheinbar. Doch in der historischen und kunsthistorischen Bedeutung steht sie diesen Giganten nicht nach. Neben der 827 vollendeten Einhards-Basilika gibt es nämlich in Deutschland nur noch vier Beispiele für fast authentisch erhaltene karolingische Architektur: Pfalzkapelle sowie Granusturm in Aachen, das Westwerk der Kirche in Corvey und die bekannte Lorscher Torhalle. Zudem zählt der Bauherr zur Prominenz der Karolingerzeit. Der aus adliger Familie stammende Einhard war Berater Karls des Großen (747 oder 748 bis 814), beeinflusste den Bau der Aachener Pfalzkapelle und schrieb die berühmte Biografie des Kaisers.

815 schenkt Kaiser Ludwig der Fromme, der Sohn Karls des Großen, Einhard und seiner Gemahlin Imma Ländereien am Main und im Odenwald. Seinen Alterssitz wählt Einhard im heutigen Michelstadt-Steinbach und lässt dort auch eine Kirche errichten, die vermutlich als Grablege für ihn und Imma bestimmt ist.

Es fällt schwer, sich die Gefühle der rund hundert Bewohner der kleinen Siedlung vorzustellen, als unweit ihrer primitiven Hütten der große Steinbau in die Höhe wächst. Weitgereiste Steinmetze und andere Handwerker kommen in das Dorf, das Einhard selbst als einsamen Ort bezeichnet. Es entsteht eine Basilika nach römischem Vorbild mit hohem Mittelschiff und zwei niedrigeren Seitenschiffen.

Im Jahr 827 ist die nach Einhards Worten „Kirche von nicht unrühmlicher Art“ vollendet. Nun fehlt noch ein römischer Märtyrer, dem sie gewidmet werden kann. Zudem erhofft sich Einhard die Fürsprache des Heiligen vor dem Jüngsten Gericht. Nach damaliger Auffassung gelten Heilige nämlich als Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Als ehemaliger Berater Karls des Großen trägt er auch Mitverantwortung für die blutigen Kriege des Kaisers, zum Beispiel gegen die Sachsen.

Was folgt ist ein Mittelalter-Krimi, den Einhard selbst verfasst. Demnach macht sich sein Vertrauter Ratleik mit einem Römer auf den Weg in die Heilige Stadt, um die Gebeine eines Märtyrers zu beschaffen. Als sein Partner ihn immer wieder vertröstet, greift Ratleik zur Selbsthilfe und stiehlt aus einer Katakombe die Gebeine des bekannten Heiligen Marcellus aus einem Grab, das dieser mit dem Heiligen Petrus teilt. Beide waren im 4. Jahrhundert wegen ihres Glaubens geköpft worden. Kurz danach entschließt sich Ratleik dazu, auch die Knochen des Petrus mitzunehmen. Schließlich waren dieser und Marcellus gemeinsam gestorben und hatten vier Jahrhunderte lang in einem Grab geruht, so Ratleiks Logik.

Im Herbst 827 erreicht der seltsame Transport Michelstadt. Doch die Heiligen, so erzählt Einhard, zeigen sich unzufrieden mit ihrer neuen Heimat. Sie erscheinen ihren Hütern in Träumen und fordern, nach Seligenstadt am Main gebracht zu werden, einer weiteren Besitzung Einhards. Widerstand erscheint zwecklos. Schon im Januar 828 ziehen die Märtyrer um, und kaum in Seligenstadt angekommen, beginnen sie Wunder zu wirken. Eine große Kirche entsteht.

Die Pläne für das Gotteshaus in Michelstadt-Steinbach haben sich mit dem Umzug erledigt. Etwa zu dieser Zeit gibt Einhard seine Beratertätigkeit für Kaiser Ludwig den Frommen auf und zieht sich vom Hof zurück. Dies begründet er damit, sich ganz den Heiligen widmen zu wollen. Vermutlich möchte er aber dem stetig eskalierenden Konflikt zwischen dem Kaiser und dessen Söhnen entgehen. In Seligenstadt schreibt er die Biografie Karls des Großen, die noch heute als die bedeutendste gilt. In der Einleitung verweist er auf das freundschaftliche Verhältnis zu Karl, was natürlich berechtigte Zweifel an seiner Objektivität weckt.

Diesen Einwand will Einhard entkräften, denn er schreibt, gerade wegen dieses engen Verhältnisses sei nur er dazu in der Lage, die Taten des Kaisers „so wahr und getreu“ zu schildern. Am 14. März 840 stirbt Einhard im Alter von etwa 70 Jahren. Seine letzte Ruhe findet er neben Imma und in der Nähe seiner Heiligen in der Seligenstadter Kirche.

Gemäß seiner Verfügung fallen Michelstadt und die Kirche an das Kloster Lorsch, das aber erst 1073 dort ein kleines Männerkloster etabliert. Die noch erhaltene Basilika wird dafür genutzt und im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts umgestaltet, wobei große Teile der karolingischen Bausubstanz erhalten bleiben. Nachdem die Erzbischöfe von Mainz 1232 die Rechtsnachfolge des Klosters Lorsch angetreten haben, beziehen Benediktinerinnen beziehen die Anlage.

In Zusammenhang mit diesem Kloster existiert eine kuriose Sage. Demnach soll der Geist einer Nonne umgehen. So erscheint sie eines Abends einer Frau und bittet diese, ihr Erlösung zu bringen, wozu sie um Mitternacht bei der Kirche sein sollte. Die Frau aber bekommt es mit der Angst zu tun und fragt, ob sie jemanden mitbringen dürfe. Die Nonne erwidert: „Ja, aber es darf keine unreine Person sein.“ Mit ihrer Nachbarin kommt die Frau zur angegebenen Zeit an die Kirche, und bald erscheint die Nonne. Als der Geist die Nachbarin erblickt, ruft er enttäuscht: „Deine Begleiterin ist unrein! Nun muss ich wieder hundert Jahre auf Erlösung warten.“ Mit diesen Worten verschwindet die Nonne. Die Frau aber erfährt bald darauf, dass ihre Nachbarin kurz vor dem Treffen Ehebruch begangen hatte und deshalb unrein war. 1535 hebt Graf Eberhard XI. von Erbach das Kloster auf und richtet in den Gebäuden ein Spital ein. Während des Dreißigjährigen Kriegs geht die Einrichtung unter. Danach nutzen die Grafen von Erbach die Kirche als Holzlager und sorgen damit für ihre Erhaltung. Zudem befinden sich hier Gräber ihrer Vorfahren. Dass die Kirche die von Einhard erbaute war, weiß niemand mehr. Sie wird unter der Michelstädter Stadtkirche vermutet. Erst 1873 gelingt einem Kunsthistoriker der Nachweis, dass Einhards Gotteshaus in Steinbach steht. Nun beginnt die Erforschung, und 1967 geht die Kirche in den Besitz des Landes Hessen über.

Um die Mauern des Mittelschiffs zu stabilisieren, werden die schon lange verschwundenen Seitenschiffe teilweise neu errichtet. Doch die Arkaden zwischen Mittelschiff und Seitenschiffen bleiben vermauert. Von den späteren Gebäuden hat sich vor allem die 1168 errichtete Sakristei erhalten, wo heute eine Ausstellung über Einhard informiert.

Ungewöhnlich ist nicht nur die Kirche, sondern auch die Krypta darunter. Über deren Zweck wird gerätselt, naheliegend wäre die Aufstellung eines Schreins mit den Gebeinen der beiden Märtyrer. Zwei Nischen hätten vielleicht die Särge von Einhard und seiner Frau aufnehmen sollen. Mit viel Glück hat das Gotteshaus 1200 Jahre überstanden. Der größte Glücksfall jedoch ist der Umzug Einhards und seiner Heiligen nach Seligenstadt, wie Thomas Ludwig im Kirchenführer anmerkt: „Seine Michelstädter Basilika hatte damit ihre Bedeutung verloren und geriet in Vergessenheit, doch gerade deshalb wurde sie nie durchgreifend umgebaut, noch musste sie einer größeren, prächtigeren Kirche weichen, sondern konnte ihre karolingische Gestalt weitgehend bewahren.“

Einhards-Basilika

  • Adresse: Einhards-Basilika, Schlossstraße 17, 64720 Michelstadt-Steinbach, Telefon: 06061 73 967.
  • Entfernung von Mannheim: 58 Kilometer
  • Fahrzeit: etwa eine Stunde
  • Internet: www.schloesser-hessen.de, info@schloesser.hessen.de
  • Öffnungszeiten: Aufgrund einer privaten Feierstunde bleibt die Basilika am 26. März 2023 bis 14 Uhr für die Öffentlichkeit geschlossen. März: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 16 Uhr, April bis Oktober: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr, November: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 16 Uhr, Dezember: Dienstag bis Sonntag, 11 bis 15 Uhr
  • Eintrittspreise: Einzelkarte (Erwachsene) 3,50 Euro, Gruppen / Ermäßigt: zwei Euro, Familienkarte acht Euro, Audioguide (plus 10 Euro Pfand): zwei Euro.
  • Literatur: Thomas Ludwig: Einhards-Basilika Michelstadt- Steinbach, Edition der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, Regensburg 2016; Walter Albach: Sagen und Geschichten aus dem Odenwald, Tübingen 1978. kba

 

Blick in die Krypta. Sie sollte vermutlich die Gebeine der Heiligen beherbergen. © Klaus Backes
Das karolingische Mittelschiff besticht durch seine Schlichtheit. © Klaus Backes
Rekonstruktion der karolingischen Kirche. Viele Details beruhen auf Vermutungen. © Klaus Backes

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