Es ist ein milder Tag an jenem 10. September 1898 in Genf. Elisabeth, Kaiserin von Österreich, verlässt ihr Hotel in Richtung See. Auf dem Steg stürmt ein Mann auf sie zu, rempelt sie an. Sie stürzt zu Boden, erhebt sich jedoch wieder, läuft weiter und wundert sich: „Was wollte dieser Mann?“ Wenig später ist sie tot.
Ein Ende, wie geschaffen für einen Mythos und daher angemessen für eine Frau, die wir ja alle zu kennen glauben: aus den 1950er-Jahre-Schinken, verkörpert von der noch pausbäckigen Romy Schneider an der Seite von Karlheinz Böhm als ihr Gemahl, Kaiser Franz-Joseph. An dem Film stimmt jedoch wenig, angefangen mit dem Namen. Die Kurzform der Elisabeth lautet nämlich Sisi, vom Filmemacher um ein „s“ ergänzt, weil das putziger klingt und sich schmissiger aussprechen lässt.
Filmreif verläuft dieses Leben in der Tat, bis es vor 125 Jahren endet. Mit 16 heiratet Elisabeth den Kaiser von Österreich, eine europäische Großmacht mit 50 Millionen Menschen, die vom Mittelmeer bis nach Osteuropa reicht. Trotz vier Kindern bleibt die Ehe für sie freudlos: „Nur staune ich, wenn beim Verrichten / Nach altem Patriarchenbrauch / Der legitimen Ehepflichten / Dich streift ein eisigkalter Hauch“, dichtet sie.
Hinzu kommt ihre Abneigung, sich in das strenge Hofprotokoll einzufügen. „Ich bin erwacht in einem Kerker, und Fesseln sind an meiner Hand“ schreibt sie schon zwei Wochen nach ihrer Hochzeit. Zu Mitleid besteht jedoch kein Anlass. „Elisabeth war kein Opfer des Wiener Hofes“, macht Katrin Unterreiner klar, Begründerin des Sisi-Museums in der Wiener Hofburg: „Sie konnte wirklich frei über ihr Leben bestimmen und hatte auch das Leben geführt, das sie leben wollte.“ Sie reist in der Welt umher, ist monatelang von ihrem Mann getrennt, vermittelt ihm daher sogar eine Gefährtin, die Schauspielerin Katharina Schratt.
Körperkult und Reisen
Für sich selbst frönt sie einem irrsinnigen Körperkult, unterhält in der Hofburg sogar eine Art Fitnessraum mit mehreren Turngeräten. Dadurch und mit Hungerdiäten hält sie bis ins Alter ihr Gewicht bei 50 Kilogramm und eine Wespentaille von 46 cm Umfang. Zur Straffung ihrer Haut legt sie sich rohe Kalbsschnitzel aufs Gesicht. Größte Aufmerksamkeit widmet sie ihrem Haar, das bis zu den Fersen reicht – alleine das Kämmen nimmt täglich zwei Stunden in Anspruch, das Waschen mit einer Mixtur aus Eigelb und Cognac einen ganzen Tag. Dennoch lässt sie sich aus Eitelkeit letztmals mit 30 fotografieren, das letzte Gemälde entsteht, als sie 42 ist. Alle späteren basieren auf früheren Fotografien.
1889 der größte Schicksalsschlag: Ihr Sohn Kronprinz Rudolf, vom Vater wegen seiner modernen Ideen politisch kaltgestellt und seit Kindertagen emotional deformiert, begeht im Jagdschloss Meyerling mit seiner Geliebten Mary Vetsera „erweiterten Suizid“, wie es bis heute so vornehm heißt. Die grausamere Wirklichkeit lautet: Zuerst erschießt er wohl die 17-Jährige und danach sich selbst.
Von nun an trägt die Kaiserin nur noch schwarz, reist noch unsteter als bisher in der Welt umher. Unter dem Pseudonym Gräfin von Hohenems checkt sie am 9. September 1898 in der Suite 119/120 des Genfer Hotels „Beau Rivage“ ein – jenem Haus, in dessen Zimmer 317 fast neun Jahrzehnte später der deutsche CDU-Politiker Uwe Barschel tot in der Badewanne aufgefunden wird.
Am Vormittag unternimmt Elisabeth in Begleitung ihrer Hofdame Irma Sztaray einen Stadtbummel, kauft einen Musikautomaten, dazu 24 Platten für die Enkel. In einer Konditorei genießen beide ein Eis, kaufen Bonbons, und kehren ins Hotel zurück. Gegen 13 Uhr verlassen die beiden das Haus wieder, um das Schiff nach Montreux zu erreichen.
Auf dem Steg am See stößt ein Mann die Kaiserin zu Boden. Das lange, dichte Haar mildert ihren Sturz, sie erhebt sich, schüttelt den Staub vom Kleid und setzt ihren Weg zum Schiff fort. Auf dem Oberdeck klagt sie über Schmerzen in der Brust, verliert das Bewusstsein. Als die Hofdame den Mieder öffnet, erkennt sie einen roten Fleck in Höhe des Herzens, darunter eine kleine Wunde. Das Schiff macht kehrt. Die Kaiserin wird ins Hotel getragen, wo man um 14.40 Uhr den Tod feststellt.
Die Obduktion offenbart einen 8,5 cm tiefen Stich, der in den linken Lungenflügel eindringt, den Herzbeutel zerstört und die linke Herzkammer durchstößt. Nebenbei werden Hungerödeme und auf der linken Schulter etwas entdeckt, das damals nur Dirnen, Zuchthäusler oder bestenfalls Seeleute tragen: ein Tattoo, und zwar ein Anker – für den völlig überraschten Kaiser fast schlimmer als die Todesnachricht selbst.
Diese sorgt in ganz Europa für Entsetzen. „Nicht einmal der Mord an Julius Cäsar vermochte die Welt so zu erschüttern“, schreibt Mark Twain, damals gerade in Österreich. Mit einem Sonderzug wird der Leichnam von Genf nach Wien überführt und eine Woche nach ihrem Tod in der Kapuzinergruft beigesetzt – gegen den Willen der Verstorbenen, die ein Grab auf Korfu wollte.
Ihr Mann lebt noch 18 Jahre, stirbt 1916 mit 86. Sein Reich geht mit Ende des Ersten Weltkrieges, für den die Ermordung von Thronfolger Franz-Ferdinand in Sarajewo 1914 den Auslöser bildet, 1918 zu Grunde.
Und der Attentäter? Nach seiner Tat läuft er zunächst wie im Rausch pfeifend durch die Gegend, wird jedoch bald von Passanten gestoppt, die zuerst glauben, einen Dieb vor sich zu haben. Ein Foto zwischen zwei Gendarmen zeigt ihn lachend, voller Stolz auf seine Tat: „Ich habe sie gut getroffen“, sagt er zufrieden.
Mehr erfahren über die wahre Sisi
Verbindung zur Region: Elisabeth entstammt der Wittelsbacher-Seitenlinie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen; der Pfalzgraf Johann Carl ist ihr Ur-Ur-Großvater. Mehrfach besuchte Elisabeth Heidelberg, zuerst 1883, zum letzten Mal 1890. Damals wohnte sie im Schlossparkhotel (Molkenkurweg 1).
Denkmäler: zahlreiche! Unter anderem nahe dem Ort des Attentates von 1898 am Ufer des Genfer Sees direkt gegenüber dem Hotel „Beau Rivage“.
Grabstätte: Kapuzinergruft Wien, neben ihrem Mann, Kaiser Franz-Joseph. Besonderheit: Ihr Leichnam blieb vollständig; bei den meisten Habsburgern wurden die Eingeweide im Stephansdom und das Herz in der Augustinerkirche bestattet.
Museum: „Sisi-Museum“ in der Wiener Hofburg, eröffnet 2004. Persönliche Gegenstände (u. a. Totenmaske) an originaler Location. Eintrittskarten besser digital vorbestellen, da man ansonsten in langen Schlangen steht (www.sisimuseum-hofburg.at).
Filme: 1955-57 entstanden die drei „Sissi“-Filme mit Romy Schneider in der Titelrolle und Karlheinz Böhm als Kaiser Franz-Joseph – farbintensiv, mit prachtvoller Ausstattung, aber fernab jeder historischer Realität. 1973 sorgte Romy Schneider selbst für einen Bruch mit diesem Bild, als sie die Kaiserin noch einmal verkörperte – in „Ludwig II.“ von Visconti.
Doku: „Sisi –Mythos einer Märchenprinzessin“, 2008, ZDF, „Terra X“.
Bücher: unzählige! Standardwerk: „Elisabeth. Kaiserin wider Willen“ (1982) von Brigitte Hamann († 2016); sie gilt als Begründerin einer unsentimentalen, realitätsbezogenen „Elisabeth-Geschichtsschreibung“. -tin
Er heißt Luigi Lucheni, 25 Jahre, Italiener und Anarchist, wie man Terroristen damals noch nennt. Unehelich geboren, von der Mutter ausgesetzt, aufgewachsen in Heimen und bei Pflegeeltern, auch in späteren Jahren von Armut geprägt, hasst er alle Reichen. „Ich würde gerne jemanden töten“, bekennt er kurz vor seiner Tat gegenüber einem Freund: „Aber es müsste eine sehr bekannte Persönlichkeit sein.“
Zufallsopfer des Attentates
So hat er es auf den französischen Thronanwärter, den Herzog von Orleans, abgesehen. Dieser wird dann doch nicht greifbar. In einer Zeitung, die das Inkognito Elisabeths lüftet, liest er von der Anwesenheit der Kaiserin von Österreich im Hotel Beau Rivage und wählt sich nun diese als Ziel. Für eine Pistole oder einen Dolch fehlt ihm das Geld, so benutzt er eine einfache Feile mit Holzgriff.
Am 10. November 1898 beginnt der Prozess. 52 Zeugen werden gehört. Lucheni schneidet Grimassen, rülpst, wenn der Name der Kaiserin genannt wird, bekennt: „Ich würde die Tat noch einmal begehen.“ Nach dem Urteil „Lebenslange Haft“ ruft er aus: „Tod der Aristokratie!“ Der bleibt ihm erspart, ist doch im Schweizer Kanton Genf die Todesstrafe abgeschafft – was ihn enttäuscht, würde er doch gerne als Märtyrer sterben. Sein Antrag, in den Kanton Luzern ausgeliefert zu werden, in dem es noch Hinrichtungen gibt, wird im Vorfeld abgelehnt.
Im Genfer Gefängnis Evéche lernt er Französisch, liest stapelweise Bücher, verfasst seine Memoiren. Als ihm das Manuskript weggenommen wird, zertrümmert er seine Zelle, kommt in Dunkelhaft. Am 19. Oktober 1910 wird er dort tot aufgefunden – erhängt mit einem Gürtel.
Der Genfer Professor Louis Megevand, Anhänger der Phrenologie, trennt den Schädel vom Körper, sägt ihn auf, untersucht ihn auf abnorme Gehirnwindungen – zu seiner Enttäuschung vergebens. Der Torso wird auf dem Gefängnisgelände bestattet, der Kopf landet in Formaldehyd als Präparat in der Sammlung des Gerichtsmedizinischen Instituts der Uni Genf. 1985 kommt er nach Wien, in den„Narrenturm“, das Pathologisch-anatomische Bundesmuseum, vor der Öffentlichkeit verborgen. Im Jahre 2000 wird der Kopf in aller Stille auf dem Zentralfriedhof Wien beigesetzt – nur acht Kilometer entfernt von Luchenis Opfer.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/leben/erleben_artikel,-erleben-sisi-war-niemals-sissi-_arid,2123282.html