Heidelberg. Er ist nicht einmal dabei. Als Elisabeth Charlotte, genannt Liselotte von der Pfalz, den Bruder des französischen Königs Ludwig XIV. heiratet, fehlt der Bräutigam. Die Hochzeit am 16. November 1671 in der Kathedrale Saint-Étienne in Metz findet „per procurationem“ (kraft Vollmacht) statt, mit Stellvertreter. Herzog Philippe von Orléans schickt seinen Marschall und ehemaligen Erzieher und gibt ihm ein paar Perlen und Edelsteine mit, „als Unterpfand seiner Liebe“, wie er schreibt.
Als Ausnahme („Stahlhelmtrauung“) sind Ferntrauungen noch im Zweiten Weltkrieg zulässig, andere Länder und Rechtsordnungen kennen sogar heute noch die – in Deutschland wie in Frankreich inzwischen verbotene – „Handschuhehe“. Doch auch wenn es einem inzwischen komisch vorkommt, „die Hochzeit mit Stellvertreter war damals üblich“, kommentiert Uta Coburger, bei den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg die Konservatorin für Schloss Heidelberg, die Eheschließung vor 350 Jahren. Manche Brautpaare sind dennoch glücklich – diese Eheleute werden es nicht. Ob es deshalb nur ein paar kleine Medaillons auf Kupfertafeln gibt, welche die Hochzeitdarstellen, und kein einziges Doppelporträt des Paares? Bei ihren prominenten Großeltern ist das anders.
Ein strenger Papa
Elisabeth Charlotte von der Pfalz (1652-1722) ist die Enkelin des „Winterkönigs“ Friedrich V. und der englischen Prinzessin Elisabeth Stuart, deren Eheschließung einst mit viel Pomp gefeiert wird. Als Tochter von Kurfürst Karl I. Ludwig sowie seiner Frau Charlotte von Hessen-Kassel verbringt sie ihre Kindheitstage vor allem in Schloss Heidelberg, seinerzeit Stammsitz der Kurfürsten von der Pfalz – ein bedeutender Renaissance-Palast mit dem als „achtes Weltwunder“ gerühmten, terrassenförmig angelegten üppigen Schlossgarten „Hortus Palatinus“.
Sie liebt das Reiten, verabscheut Handarbeiten und versucht ab und zu, ihrer Gouvernante zu entwischen. Der Herr Papa hat nämlich strenge Regeln aufgestellt, was sie darf und was nicht. Dennoch reist sie gerne, berichtet von Touren nach Mannheim („Ich habe die lufft von manheim nie ungesundt dort gefunden, nicht die geringste ungemachlichkeit dort gehabt“).
Aber die unbeschwerte Kindheit und Jugend sind bald vorbei. Der Papa will, dass die Prinzessin mit 19 Jahren endlich heiratet – aus politischen Gründen den Bruder des in Frankreich regierenden „Sonnenkönigs“. „Die familiäre Verbindung soll die Kurpfalz vor den Expansionsbestrebungen des Nachbarstaates schützen“, so Coburger, sprich die Franzosen milde stimmen.
Krasse Fehleinschätzung
Arrangierte Ehen aus staatlichen Erwägungen heraus sind seinerzeit alltäglich. Eingefädelt wird dieser Bund von Anna Gonzaga, Witwe des jüngeren Bruders von Karl Ludwig. Die berichtet 1670 an den pfälzischen Hof, dass Henrietta Anne Stuart, die erste Frau von Herzog Philippe von Orléans, plötzlich gestorben ist – ob an einer Vergiftung, wie lange gemunkelt wird, weiß man bis heute nicht richtig. 33 noch erhaltene Briefe zwischen Anna Gonzaga und dem Kurfürsten belegen aber, wie geschickt die Tante die Eheschließung ihrer Nichte einfädelt.
Die Tochter eines Kurfürsten ist zwar nicht gerade ebenbürtig für einen Bruder des französischen Königs – aber der Sonnenkönig glaubt, so den pfälzischen Regenten an sich binden, ja einer späteren Expansion auf die andere Rheinseite schon mal den Boden bereiten zu können. Derweil denkt der Kurfürst, er könne, indem er seine Tochter an den französischen Hof gibt, für dauerhaften Frieden und Freundschaft mit den Nachbarn sorgen. „Eine krasse Fehleinschätzung“, kommentiert Uta Coburger das, „da war er echt blauäugig von ihm“.
Dabei ist sogar ein Religionswechsel Voraussetzung der Ehe. Kurpfalz wird seinerzeit von Protestanten beherrscht. Aber „wegen einer so unbedeutenden Sache“ wie der Religion, schreibt Anna Gonzaga an den Kurfürsten, werde er die sonst so erwünschte Ehe doch nicht scheitern lassen? Natürlich nicht! Der Kurfürst lässt seine Tochter sogar eigens in römisch-katholischen Glauben unterweisen, und sie gehorcht – aus purem Gehorsam, aber gegen ihren Willen, wie es später in einem ihrer berühmten Briefe heißt.
Tränenreicher Abschied
Kurz vor der Abreise rügt Tante Anna ihren geizigen Schwager. Er hat seiner Tochter nur sechs Nachtgewänder und sechs Kleider für den Tag gepackt, „eine Schande“, schimpft sie, so die Tochter zu einem Bruder des französischen Königs zu schicken.
Dann wird es ernst, der schmerzliche und tränenreiche Abschied von Heidelberg findet Ende Oktober statt. Über Boxberg, Wiesloch, Bruchsal und Rastatt fahren die Kutschen mit Vater, Tochter und weiteren Verwandten, überqueren bei Kehl den Rhein. Übernachtung ist in Straßburg. Dorthin hat der französische König einen Jesuitenpater beordert, der den Religionswechsel vorbereitet. Zugleich überbringt ein Gesandter des Königs den Ehevertrag, damit ihn der Kurfürst unterzeichnen und ein reitender Bote ihn gleich zum Sonnenkönig nach Versailles zurückbringen kann.
Schloss Heidelberg
Anschrift: Schloss Heidelberg, Schlosshof 1, 69117 Heidelberg
Öffnungszeiten: täglich 9 bis 17 Uhr, letzter Einlass 16.30 Uhr (Schlosshof, Altan und Fasskeller). Schlossgarten tagsüber frei zugänglich.
Führungen: Eine Besichtigung der Innenräume des Schlosses ist nur im Rahmen einer Führung möglich. 1. November bis 28. März: Mo bis Fr 11 Uhr, 12 Uhr, 14 Uhr und 16 Uhr, Sa, So, Feiertage stündlich 11 bis 16 Uhr
Eintritt: Erwachsene 9 Euro, Ermässigte 4,50 Euro. Das Schlossticket beinhaltet Hin- und Rückfahrt mit der Bergbahn, Schlosshofeintritt, Besichtigung des Großen Fasses sowie Eintritt in das Apothekenmuseum. Schlossführungen zusätzlich Erwachsene 5 Euro, Ermässigte 2,50 Euro, Familien 12,50 Euro.
Corona-Regeln: Impf-, Genesenen- oder Testnachweise per PCR-Test (nicht älter als 48 Stunden), sowie Registrierung der Kontaktdaten.
Anfahrt: mit dem Auto auf die A 656 in Richtung Heidelberg und in den Stadtkern hinein. Die A 656 geht in die B 37 über, dieser am Neckar entlang bis zur „Alten Brücke“ folgen, anschließend bei zweiter Gelegenheit in die Mönchgasse abbiegen zum Karlsplatz/Tiefgarage oder bis Parkhaus Rathaus/Bergbahn. Ab Hauptbahnhof Heidelberg mit Buslinie 33 bis Haltestelle Bergbahn, in beiden Fällen zu Fuß über eine steile Treppe oder mit der Bergbahn bis Station Schloss. Direkt am Schloss keine Parkmöglichkeiten.
Führungen: Themenführungen „Aus den Briefen der Liselotte von der Pfalz“ erst wieder 2022 am 12. März, 26. Mai, 9. Juli und 22. Oktober, jeweils 14.30 Uhr. Information und Anmeldung über Service Center, Tel.: 062 21/6 58 88 0. pwr
Im Ehevertrag verzichtet Liselotte auf alle Rechte der Nachfolge in Ländereien väterlicherseits und mütterlicherseits in Deutschland, ausgenommen ein paar Familienerbgüter – was später Folgen haben wird. Was ihr Mann bisher besitzt, bleibt allein sein Eigentum. Dafür schenkt er ihr, „wegen der besonderen Zuneigung“, Edelsteine, Ringe und Juwelen für eine Summe von 150 000 Livres – zum Vergleich: 100 Livres waren der Kaufpreis für ein Pferd.
Kaum ist der Bote mit dem Vertrag wieder aus Versailles da, reist Kurfürst Karl Ludwig aus Straßburg ab – die Zahlung der Mitgift will er erst später leisten. „Vergiß Dein Volk und Dein Vaterhaus“, gibt er der weinenden Tochter noch mit auf den Weg, ein Vers aus dem 45. Psalm. Dass der Sonnenkönig von „großer Freundschaft“ zur Kurpfalz und „großer Zuneigung“ zur künftigen Schwiegertochter schreibt, macht Karl Ludwig ganz glücklich. Er hat seine Tochter gut unter die Haube gebracht, ist er überzeugt. Liselotte dagegen weint. Sie kann vor Kummer „weder eßen noch drincken alß mitt gewalt“, obwohl sie doch gewohnt sei, „erschrecklich zu freßen“, scheibt sie später.
Vom 11. bis 14. November dauert die Reise von Straßburg nach Metz, dort wird die Prinzessin mit Kanonensalven begrüßt. In der mächtigen Kathedrale kniet Liselotte am 15. November nieder, erhält vom Bischof Absolution angesichts ihrer „ketzerischen Jugend“ als Protestantin, wird zu den Klängen des Te Deum katholisch getauft und gleich noch gefirmt. Am Tag darauf folgt die Hochzeit. Liselotte, in blassblauem Taft gekleidet, friert, sie „schlottert“, notiert ein Zeitgenosse.
Bräutigam kommt später
Erst nach der Trauung macht sich der Bräutigam auf den Weg – man kommt sich entgegen, trifft sich am 20. November bei Châlons. Tante Anna Gonzaga stellt da ihre Nichte dem neuen, 19 Jahre älteren Ehemann vor; erst damit ist ihre Kuppelei-Mission erfüllt. Liselotte wundert sich über den kleinen, auf vier Zoll hohen Absätzen laufenden Mann, heftig nach Parfüm riechend und bis in die Spitzen seines Hemdes mit Diamanten geschmückt. „Er sah nicht abstoßend aus, hatte mehr weibliche als Manns-Manieren an sich“, so Liselotte in einem Brief.
Diese Briefe haben Liselotte von der Pfalz berühmt gemacht. Während ihres Lebens am französischen Hof – immerhin ein halbes Jahrhundert – soll sie durchschnittlich zwei Briefe pro Tag an die Verwandtschaft verfasst haben. Die Rede ist von mehr als 36 000 Schreiben, zum Teil sogar von 60 000: eine Ablenkung, ein Ventil gegen die Unterdrückung. Erhalten geblieben sind davon indes nur etwa 5000. Aber sie stellen wertvolle Beschreibungen des Alltags am Hof des Sonnenkönigs dar.
Wohl gefühlt hat sie sich da nicht. Wenngleich die Hochzeit üppig mit Konzerten, Ballett, Feuerwerk, viel gutem Essen, natürlich Gottesdiensten und dem Verteilen von Geld unter den Untertanen gefeiert wird, legt sich die kurpfälzische Prinzessin schnell mit dem Hofstaat an. Der Arzt, der sie – obwohl sie sich gar nicht unwohl fühlt – gleich mal mit Arznei und Aderlass traktieren will, wird von ihr fortgeschickt. Und die neuen Kleider aus Brokat und Seide zieht sie auch nur an, weil man das halt so macht in Versailles.
„Madame sein ist ein ellendes handwerck“, heißt es in einem der Briefe. Sie ist eben die bodenständige Kurpfälzerin, mag die Intrigen am Hof und das vornehme Getue, ja die ausschweifende Prunksucht und die aufwendige Küche nicht, liebt eher „sawer kraudt“. In Paris ist ihr „alles zuwider drin“. Dass ihr manchmal Dummheit zugeschrieben wird, sie als „plumpes Prinzeßchen“ bezeichnet wird, kann aber nicht sein – viele ihrer zahlreichen Zeilen wirken sehr reflektiert, gebildet, kultiviert. Und Rechnungen ihrer Bucheinkäufe und Inventare der Bibliothek belegen, dass sie belesen sein muss.
Wieder Jungfrau?
Drei Kinder gehen aus der Ehe mit „Monsieur“, wie Herzog Philippe von Orléans genannt wird, hervor: Alexandre Louis, der bereits im Alter von drei Jahren stirbt, Philippe, der spätere Herzog von Chartres und zukünftige Regent, sowie Elisabeth Charlotte, die spätere Herzogin von Lothringen. Sie nennt ihren Mann zwar anfangs den „besten Mensch“. Dennoch bleiben der am Hof „Madame“ genannten Liselotte die homosexuellen Neigungen, ja Ausschweifungen ihres Mannes mit vielen seiner Günstlinge keineswegs verborgen. Und einem Brief sinniert sie sogar traurig darüber, ob man wohl wieder Jungfrau werde, „wenn man in langen Jahren bei keinem Mann schläft“.
Doch schlimmer ist ihr Heimweh – und das was in ihrer Heimat passiert. Als 1685 Liselottes Bruder, Kurfürst Karl II., kinderlos stirbt und die Linie Pfalz-Neuburg der Wittelsbacher die Erbfolge antritt, erhebt Ludwig XIV. plötzlich Erbansprüche auf große Teile der Kurpfalz. „Die Hochzeit sollte dauerhaften Frieden bringen – aber hat Ludwig XIV. die Möglichkeit eröffnet, in der Kurpfalz einzumarschieren“, verweist Uta Coburger auf eine missverständliche Formulierung im Ehevertrag.
Die nicht gezahlte Mitgift und die Klausel, dass Liselottes Verzicht auf Ansprüche in Deutschland nicht für Familiengüter gilt, bilden den Vorwand, einen Krieg vom Zaun zu brechen. „Die Kurpfalz ist ins offene Messer gelaufen“, so Coburger. Liselotte erkennt in einem Brief, dass ihr Religionswechsel und „dass mein heuraht zu nichts dinnen würde“, sprich vergeblich waren.
Schloss niedergebrannt
Der Sonnenkönig lässt seine Truppen unter General Ezéchiel de Mélac 1688 – ohne Kriegserklärung – in die Kurpfalz einmarschieren. „Brûlez le Patinat!” lautet die Parole, „Verbrennt die Pfalz!“ Ab Frühjahr 1689 werden Heidelberg, Mannheim, Speyer, Worms und viele andere Orte geplündert, angezündet und zerstört – und die Reste bei einem zweiten Angriff vier Jahre später. So wird das Heidelberger Schloss zur Ruine. Vergeblich bittet Liselotte den König, der ja angeblich in ihrem Namen Krieg führt und ihre Erbansprüche geltend zu machen vorgibt, die Pfalz zu schonen.
„Was mich darin grollet, ist, dass man die armen Pfälzer in meinem namen betrogen. ... Eben dieselbigen leute, so an meines armen vaterlandes unglück schuldig sein, verfolgen mich persönlich hier auf, und kein tag vergeht, dass man nicht was neues verdrießliches hat“, schreibt sie ihrer Tante Sophie nach der ersten Zerstörung Heidelbergs.
Die Erinnerung an die Pfalz, die sie nach ihrer Hochzeit nie wiedersehen sollte, prägt ihre Korrespondenz bis zum Tod. Sie werde wohl „vor Tränen vergehen“, seufzt sie in einem Brief 1718 über die heftigen Zerstörungen. Liselotte stirbt am 8. Dezember 1722 in Saint-Cloud bei Paris – ohne je wieder in dem „gelobt landt“, wie sie die Kurpfalz nennt, gewesen zu sein.
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