Zeitreise

Gang durch das Bergwerk Neubulach

Das Bergwerk Neubulach im Nordschwarzwald, das einst dem Kurfürsten von der Pfalz gehörte, zeigt auf beeindruckende Weise die Geschichte der mittelalterlichen Erzgewinnung und der Arbeitsbedingungen im Bergbau

Von 
Peter W. Ragge
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65 Meter unter der Erde führen schmale Gänge durch das Silber- und Erzbergwerk in Neubulach im Nordschwarzwald. © Stollengemeinschaft Neubulach

Es ist kalt hier unten, acht Grad – auch im Sommer. Ein erfrischender Luftzug kommt einem entgegen. Und es bewährt sich, dass Besucher einen Helm bekommen. Denn teils muss man etwas gebückt laufen, und dann kann es passieren, dass man mit dem Kopf anschlägt. Aber ein Großteil der Strecke lässt sich völlig gefahrlos aufrecht begehen – durch beeindruckend gigantische Hohlräume im Felsen und vorbei an vielen bunt glitzernden Mineralien und damit Spuren jener Schätze, die hier im Bergwerk über tausend Jahre lang abgebaut worden sind.

„Glück auf!“, sagt Christian Proß, seit 2003 Vorsitzender der Stollengemeinschaft der historischen Bergwerke Neubulach und auch Landesvorsitzender der Baden-Württembergischen Bergbauvereine, wenn er mit Besuchern hinabsteigt in die Tiefe. Es ist der traditionelle Bergmannsgruß, mit dem man sich wünscht, dass die Gänge sich auftun und man wieder gesund aus dem Berg herauf kommt. Im Mittelalter sei es zudem üblich gewesen, stets vorher ein Gebet zu sprechen, denn die Arbeit gilt als höchst gefährlich.

Zunächst ist es dunkel. „Die hatten nur einen Kienspan, um zu Leuchten“, sagt Proß – sprich ein kleines brennendes Hölzchen. An Scheinwerfer ist im Mittelalter nicht zu denken: „Es gibt kein Licht, kein Strom, keine Pumpen.“ Als Kopfschutz dient eine Lederkappe. Gearbeitet wird mit Schlägel (Hammer) und Eisen (keil- oder meißelförmig) – die beide heute noch gekreuzt das bekannte Symbol des Bergbaus bilden. Ein Knappe verbraucht pro Tag 20 bis 30 Eisen, so hart ist der Stein. Danach muss ein Schmied das Eisen wieder bearbeiten, damit es erneut einsatzfähig ist.

Rohstoff für Königsblau

„Das war kein Zuckerschlecken“, verdeutlicht Proß. Zwölf bis 16 Stunden haben die Arbeitstage gedauert – bei einer Sechs-Tage-Woche. „Und alt ist keiner geworden“, so der Vorsitzende, „denn das große Problem war die Staublunge“. Bergleute hätten daher nur eine Lebenserwartung von 30 bis 35 Jahren gehabt. Unfälle hätte es dagegen, zumindest in Neubulach, seinerzeit kaum gegeben. Den Kirchenbüchern nach sei in dem Bergwerk nur ein Mann zu Tode gekommen, „das ist wenig im Vergleich zu den Kohlebergwerken“.

Kostbare Mineralien: Blaugrüner Malachit und dunkelblauer Azurit. © Stollengemeinschaft Neubulach

Denn im Gegensatz zum Ruhrgebiet oder dem Saarland, wo Kohle abgebaut wird, werden im Schwarzwald lange Silber und Kupfererze gewonnen. „In Haslach gräbt man Silbererz, bei Freiburg wächst der Wein“, heißt nicht ohne Grund eine Passage im Badnerlied.

Dabei gilt Neubulach im Mittelalter als führende Bergbaustadt des Nordschwarzwaldes. „Stadt im Silberglanz“ wird sie genannt. Heute im Kreis Calw, fast genau in der Mitte zwischen den beiden Oberzentren Pforzheim und Freudenstadt gelegen, ist sie sogar lange Sitz der Bergvogtei – heute würde man sagen: des Bergamtes oder der Aufsichtsbehörde. Das schöne Fachwerkgebäude am Marktplatz ist, laut dendrochronologischen Untersuchungen der Bauhölzer, um das Jahr 1394 erstellt und wird bereits 1450 als Amtshaus mit dieser Aufgabe erwähnt.

Der Bergbau in der Region lässt sich aber viel länger nachweisen. „Hier ist man schon 800 bis 900 nach Christus auf Erze gestoßen“, weiß Proß. Abgebaut wird zunächst oberirdisch bis zu 100 Meter tief, und die von den Bergleuten gleich daneben errichteten Häuser bilden die Keimzelle der heutigen Altstadt.

Bereits um das Jahr 1100 n. Chr. wird unter der Herrschaft des Pfalzgrafen von Tübingen mit dem Silberabbau begonnen, spätestens im 13. Jahrhundert unter Tage mittels abgeteufter – also senkrecht in den Felsen gehauener – Schächte. Um 1250 beginnt zudem der Bau von Wasserlösungsstollen zur Ableitung des Grubenwassers. In dieser Zeit erwerben die Grafen von Hohenberg den Besitz am Stadtgebiet einschließlich Silberbergwerk.

1364 kauft ihm Ruprecht I., Kurfürst von der Pfalz und bekannt als Gründer der Universität Heidelberg, die Gegend um Bulach, Altbulach und Oberhaugstett ab. „Unter ihm erlebt das Silberbergwerk eine Blütezeit“, so Proß, aber der Pfälzer Kurfürst verliert bald wieder das Interesse an den Orten im Schwarzwald und veräußert sie 1440 an die Grafen von Württemberg, dessen Herrschaftsgebiet sehr viel näher liegt. Herzog Christoph von Württemberg erweitert seinen Grundbesitz, kauft 1558 dem Kloster Hirsau zusätzliches Gelände ab, fördert die Stadt und erteilt ihr sowie den Bergleuten besondere Freiheiten. Aber das ändert nichts daran, dass aus dem Berg nicht mehr viel zu holen ist – die Vorkommen stellen sich als weitgehend erschöpft heraus.

Der Abbau läuft schließlich so, dass jeweils etwa sechs bis acht Mann vorne im Stollen bei spärlichster Beleuchtung auf den Stein hauen. „Die kamen pro Tag zwei bis fünf Zentimeter voran“, sagt Proß. Gewonnen werden Silber und Kupfer, aber insbesondere Mineralien wie Azurit, lange Rohstoff für die Herstellung blauer Farbe („Königsblau“) und als besonders kostbar geltend. „Azurit aus Neubulach ist in Kirchen bis nach Italien, etwa in Triest, nachgewiesen“, hebt Proß die Bedeutung hervor. Auch die erste Königskrone von Württemberg soll aus Neubulacher Silber hergestellt worden sein, sagt Proß. „Aber ob es wahr ist, weiß man nicht“, fügt er an – und da Württemberg ja erst 1806 Königreich wird, als das Bergwerk kaum mehr ergiebig ist, spricht eher wenig dafür.

Aber den prachtvollen Farben der Erze begegnet man heute noch. Immer mal wieder sind im Fels, 65 Meter unter Tage, schmale Streifen von Mineralien wie blaugrünem Malachit, von hellem Quarz und dunkelblauem Azurit zu erkennen – herrlich schimmernd-funkelnd inmitten des Buntsandsteins. Aber es sind eben nur schmale Reste, deren Abbau nicht mehr lohnen würde.

Harte Arbeit: Figur eines Knappen mit Schlägel und Eisen. © Stollengemeinschaft Neubulach

„Ab etwa 1500 hat das Bergwerk nur noch so vor sich hingedümpelt, es hat sich nicht mehr rentiert“, berichtet der Vorsitzende beim beeindruckenden Gang durch das Gestein in der Tiefe. Aber doch gibt es immer wieder Versuche, dem Fels weitere Reste von Erzen zu entreißen. Kurz nach 1600 sind noch mal Grabungen überliefert und in den 1720er Jahren wird ein Stollen vorangetrieben, der 1724 rund 1150 Meter unter die Neubulacher Kirche reicht. Von 1773 ist schließlich ein erneuter Anlauf des Calwer Kaufmanns Johann Jakob Zahn überliefert, der auf einen neuen Tiefstollen setzt und bis 1790 arbeiten lässt – jedoch ohne große Ausbeute. Zurück bleibt ein „Alter Mann“, der bergmännische Ausdruck für bereits abgebaute, verfüllte Lagerstätten. Aber Hoffnung gibt es immer, weshalb die Bergleute von „Hoffnungsschlag“ sprechen, wenn mal wieder ein neuer Abbauversuch gestartet wird.

Das ist auch 1822 der Fall. Da wird eine Gewerkschaft – wie sich die Rechtsform von Kapitalgesellschaften für Bergbauunternehmen nennt – gegründet, die den heutigen „Hella-Glück-Stollen“ in den Felsen treibt. Aber nach rund zehn Jahren ist wieder Schluss. Von 1916 sind dann noch mal Verleihungen von Abbaurechten überliefert, weil man an eine neue Erzader glaubt und 1920 auch tatsächlich auf eine stößt. Danach wird aus alten Halden noch ein bisschen Silber, Kupfer, auch etwas Gold und das silberhaltige Wismutfahlerz gewonnen. 1927 endet die über Jahrhunderte währende Bergbautradition dann endgültig.

Tipps für Besucher

Anschrift: Besucherbergwerk Neubulach, 75387 Neubulach Ziegelbach (Navi führt zum Besucherparkplatz). Internetadresse: www.bergwerk-neubulach.de

Öffnungszeiten: 29. April bis 29. Oktober 2023, dann ab April 2024

Führungen: Die Besichtigung des Bergwerkes ist nur mit Führung möglich. Dienstag bis Freitag 14 Uhr und 15 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen 11 Uhr bis 16 Uhr auch ohne Anmeldung. Es sind laufend Führungen und die Stollenklause ist geöffnet. Gruppen ab 10 Personen bitte anmelden.

Eintritt: Erwachsene acht Euro, Kinder ab 4 bis 15 Jahre vier Euro, Ermäßigte mit Ausweis wie Studenten, Behinderte, Rentner 7,50 Euro, Familienkarte 20 Euro.

Erlebnisstollenführung: Der „Untere Stollen“ ist nur vom 1. Mai bis zum 15. Oktober bei einer dreistündigen Führung mit Grubenlampe nach Voranmeldung für Kleingruppen ab vier Personen zugänglich, das Mindestalter beträgt hier 12 Jahre. Kosten pro Person 30 Euro, pro Gruppe mindestens 120 Euro.

Anfahrt: Über die A 8 Karlsruhe bis AS Pforzheim-West, B 294 bis Calmbach und B 296 bis Oberreichenbach, dann L 348 Neubulach.

Nahverkehr: Der Bahnhof Bad Teinach liegt acht Kilometer außerhalb von Neubulach an der Nagoldtalbahn (Kulturbahn) von Pforzheim nach Horb. Auf dieser Bahnstrecke verkehren im Halbstundentakt moderne Triebwagenzüge mit Anschluss an das InterRegio-Netz in Pforzheim und das ICE- und IC-Netz in Karlsruhe. Durch den Linienbusverkehr nach Neubulach und den Taxibetrieb (Tel. 0 70 53 / 9 69 60) ist eine gute Verbindung in alle Ortsteile gewährleistet.

Wanderweg: Der „Kilians Erzweg“ führt 1,6 Kilometer auf einem bergmännischen Themenpfad durch Neubulach bis zum Bergwerk und erzählt an Thementafeln über die Geschichte des Bergbaus. Schächte und Gänge unter Neubulach werden durch Tafeln übertage dargestellt.

Fledermauspfad: 45-minütiger Rundweg ab der vom Verein betriebenen Stollenklause am Stolleneingang entlang des Ziegelbachs, der über die im Winter im Stollen lebenden Fledermäuse informiert. pwr

Die über 15 Kilometer langen Stollen im Berg geraten in Vergessenheit. „Da ist lange nichts passiert“, erzählt Proß. Natürlich hätten Kinder das Areal mal erkundet, „wir sind da als Jungs mal reingestiegen“, weiß er noch, doch das war es.

Das ändert erst eine 1969 gegründete Bürgerinitiative, die es schafft, dass das Silberbergwerk 1970 für Besucher erschlossen und geöffnet wird. In 7000 Arbeitsstunden gelingt es Ehrenamtlichen, 2100 Schubkarren Geröll zutage zu fördern und den Hella-Glück-Stollen so auszubauen, dass er besichtigt werden kann. „Was die Alten schufen, mit Tränen, mit Schweiß und mit dem unerschütterlichen Fleiß“, erklärt Proß die Motivation, sei „zu wertvoll“, um es tief im Berg in Vergessenheit geraten zu lassen, so der Vorsitzende des 1996 aus der Bürgerinitiative hervorgegangenen Bergwerksvereins über die Leidenschaft und Mühen der Ehrenamtlichen, die bergmännische Tradition zu erhalten.

Pochwerk nachgebaut

Und mit den Jahren ist immer mehr verbessert worden. Da zeigen von Künstler Detlef Wölfel gestaltete Figuren von Knappen anschaulich den Bergmannsbetrieb, sieht man eine aus Eichen- und Tannenholz nachgebaute Haspel, mit der die mit Erz gefüllten 20-Liter-Eimer einst gefördert worden sind. „Stamm und Kurbel funktionieren wie das System eines Wasserbrunnens“, so Proß. Eigens eingebaute Türstöcke aus Nadelhölzern machen die Durchgänge im Fels sicher. Originalgetreu nachgebaut haben die Mitglieder, direkt am Ziegelbach stehend, zudem ein Pochwerk, um zu zeigen, wie mühsam und gefährlich das Erz für die Rennöfen einst zerkleinert wurde.

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Zur Behandlung von Atemwegserkrankungen wird sogar 1972 ein Seitenarm des Silberbergwerkes als Therapiestation ausgebaut – die kühle, reine Luft tut gut. Daraufhin darf sich Neubulach 1996 als erster Ort in Deutschland mit dem Kurprädikat „Luftkurort mit Heilstollenkurbetrieb“ schmücken. 2005 wird die Eröffnung des Erlebnisstollens, eines noch tieferliegenden Teils des Silberbergwerkes gefeiert, der die Besucher über Leitern zu alten Erzgängen sowie außergewöhnlichen geologischen und mineralogischen Besonderheiten wie Stalaktiten und Bergperlen führt.

Stärken kann man sich danach in der Stollenklause, wo ein – in aufwendiger Handarbeit erstelltes – Schnittmodell der gesamten bisher erforschten Stollenanlagen ebenso wie eine Ausstellung von Neubulacher Mineralien zu bewundern ist. Die Rückwand ziert ein Gemälde der Heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute – von Künstlerin Isabell Kull aus Neubulacher Mineralien gemalt, wie einst im Mittelalter.

Redaktion Chefreporter

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