Wilsdruff ist ein Ort, den wohl kaum einer kennt. Westlich von Dresden, ganze 15 000 Einwohner groß. Vor genau 90 Jahren, am 23. September 1933, findet im dortigen Steinbruch Blankenstein die letzte große Bücherverbrennung der Nationalsozialisten statt – Abschluss einer vier Monate währenden Aktion, die am 10. Mai 1933 in Berlin ihren Ausgangs- und Höhepunkt erlebt.
Das Ereignis vor der Oper geht in die Geschichte ein. Doch es verstellt leicht den Blick dafür, dass die Bücher-Aktion im gesamten Land, über Monate hinweg läuft. Denn Ziel ist es, den humanistischen und demokratischen Gedanken aus dem deutschen Geistesleben grundlegend und dauerhaft zu eliminieren.
Den Nationalsozialisten geht es seit Beginn nicht nur darum, politische Macht auszuüben. Sie wollen das Denken der Menschen bestimmen, erkennen dabei die Bedeutung von Kultur und Literatur. Und trotz ihrer revolutionären Rhetorik – immerhin steht NSDAP für „National-sozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ – bemühen sie sich früh um Anhänger unter den Akademikern.
Organisierte Aktion
1926 gründen sie den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB), der umso mehr Einfluss gewinnt, je stärker die Partei in der Politik wird. Erst recht nach der Machtergreifung 1933 ist bei vielen jungen, einer Karriere harrenden Akademikern viel Opportunismus im Spiel, aber auch Überzeugung: Auf Grund der sozialen Zusammensetzung der Studierenden fallen rechte Parolen und die Idee einer Elite bei ihnen auf fruchtbaren Boden.
Bereits vor der Machtergreifung agitieren NS-Studenten gegen jüdische Dozenten, stören pöbelnd deren Vorlesungen. In Heidelberg trifft es vor allem Professor Emil Julius Gumbel, Pazifist und Jude. Mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ vom 25. April 1933 wird den von ihren Kommilitonen bereits drangsalierten Juden das Studium auch rechtlich fast unmöglich gemacht.
Ebenfalls im April 1933 startet der Studentenbund eine Aktion „Wider den undeutschen Geist“. Derart eingestufte Literatur soll demonstrativ eliminiert werden, zelebriert in Bücherverbrennungen, wie beim Wartburgfest 1817 geschehen, an die man bewusst anknüpfen will.
Am 26. April beginnt die organisierte Sammlung „zersetzenden Schrifttums“. Jeder einzelne Student ist aufgefordert, seinen eigenen Bücherschrank daraufhin zu durchforsten, erst recht Universitätsbibliotheken, Stadtbüchereien und Buchhandlungen. Am 6. Mai werden in vielen Universitätsstädten die aussortierten Bücher eingesammelt, am 10. Mai Scheiterhaufen errichtet.
Dieser Tag soll den Höhepunkt bilden und wird, wie vieles, was wie „spontaner Volkszorn“ aussehen soll, generalstabsmäßig geplant. Ablauf in jeder Universitätsstadt: Einstimmung bei einer Kundgebung im Auditorium der jeweiligen Universität, nach Einbruch der Dunkelheit Fackelzug und zwischen 23 und 24 Uhr Verbrennung der Bücher.
Der Scheiterhaufen brennt zunächst nicht
Die zentrale Feier erfolgt naturgemäß in Berlin. Zu den Klängen einer SA-Kapelle formiert sich an der Universität ein Fackelzug. Zu ihm vereinigen sich Studenten in vollem Wichs ihrer Korporationen und Professoren in ihren Talaren mit HJ, SA und SS in ihren Uniformen.
Der Zug führt über die Museumsinsel zum Studentenhaus in der Oranienburger Straße. Hier reihen sich die Lastwagen ein, auf denen etwa 25 000 Bücher verladen sind. Um 22 Uhr geht es zum Reichstagsgebäude, durch das Brandenburger ´Tor über die Straße Unter den Linden zur Oper gegenüber der Universität.
Es regnet in Strömen, und so mag der Scheiterhaufen einfach nicht brennen. Die Feuerwehr hilft mit Benzin. Die ersten Bücher werden einzeln in die Flammen geworfen, später nur noch in dicken Bündeln.
Die Bücherverbrennungen in Deutschland 1933: Information und Gedenken
Literarisches Gedenken: Das „Moses-Mendelssohn-Zentrum“ in Potsdam veröffentlichte zum 75. Jahrestag der Bücherverbrennung am 10. Mai 2008 gemeinsam mit dem Georg Olms Verlag die ersten zehn Bände einer „Bibliothek Verbrannter Bücher“. Die Kassette beinhaltet Werke von Salomo Friedlaender, André Gide, Theodor Heuss, Franz Kafka, Erich Kästner, Gina Kaus, Jack London, Walther Rathenau, Anna Seghers und Kurt Tucholsky. Inzwischen auch als „Digitale Bibliothek verbrannter Bücher“ im Internet unter www.verbrannte-buecher.de.
Exilliteratur: Die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt unterhält ein „Deutsches Exilarchiv 1933-1945“.
Mahnmal Berlin: Auf dem Bebelplatz neben der Staatsoper befindet sich das Mahnmal „Bibliothek“ des israelischen Künstlers Micha Ullmann. Es besteht aus einer in den Boden eingelassenen Glasplatte, unter der leere Bücherregale zu sehen sind.
Gedenktafel Heidelberg: Am Universitätsplatz erinnert eine gusseiserne Gedenktafel an die hiesigen Ereignisse. Darauf das Zitat des Dichters Gotthold Ephraim Lessing: „Was einmal gedruckt ist, gehört der ganzen Welt auf ewige Zeiten. Niemand hat das Recht, es zu vertilgen.“
Dokumentation Mannheim: Die Quellenlage für Mannheim ist dürftig; Fotos von der hiesigen Aktion sind nicht überliefert. Einen instruktiven Überblick gibt dennoch der Aufsatz „Fanal mit Verspätung“ von Michael Caroli (im Web verfügbar).
Gedenkveranstaltung Mannheim: 27. September 2023, 18 Uhr, im Marchivum, Archivplatz 1. In Kooperation mit der Freien Interkulturellen Waldorfschule Mannheim. -tin
Das alles jeweils mit dem Satz „Ich übergebe dem Feuer“, in jener geifernden Stimmlage, die durch die NS-„Wochenschauen“ überliefert ist, und unter Nennung der Namen der Autoren. Insgesamt 94, die Elite der deutschen Geisteswelt: Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Albert Einstein, Lion Feuchtwanger, Sigmund Freud, Heinrich Heine, Franz Kafka, Erich Kästner, Heinrich und Klaus Mann, Erich Maria Remarque, Joachim Ringelnatz, Arthur Schnitzler, Kurt Tucholsky und Stefan Zweig. Auch internationale Literaten gehören dazu, allen voran Ernest Hemmingway und Jack London.
Einer der Verfemten wagt sich, vor Ort dabei zu sein: „Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniformen“, erinnert sich Erich Kästner später, „sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmutzigen Tiraden des abgefeimten Lügners.“ Gemeint ist Joseph Goebbels, der gegen Mitternacht erscheint und eine seiner Hetzreden hält: „Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist zu Ende gegangen“, brüllt der Propagandaminister: „Die deutsche Revolution hat dem deutschen Wesen wieder Gasse freigemacht. Hier sinkt die geistige Grundlage der Novemberrepublik zu Boden.“ Über seinen Auftritt vor Tausenden von Menschen notiert er zufrieden in sein Tagebuch. „Ich bin in bester Form.“
Ein ähnlicher Ablauf der Aktion erfolgt am gleichen Abend in 18 weiteren Hochschulstädten, darunter Bonn, Frankfurt, Göttingen und Würzburg. Andere folgen mit Zeitverzug: am 17. Mai Heidelberg und zwei Tage danach Mannheim.
Auch in Heidelberg beginnt der Abend mit einer Propagandaveranstaltung – im Hörsaal 13 der Neuen Universität. Auf ihren Treppenstufen postieren sich Fahnenträger der Burschenschaften. Um 22 Uhr gruppieren sich diese Studenten sowie Angehörige von SA und SS um einen fast fünf Meter hohen Scheiterhaufen aus Büchern und Zeitschriften.
Erst der Anfang
In Mannheim werden 2500 Bücher verbrannt, dafür im Vorfeld 25 Buchläden „sensibilisiert“, Schulbibliotheken und Leihbüchereien „gesäubert“. Der Fackelzug hier führt vom Schlosshof zum Messplatz an der Hauptfeuerwache. Die Aktion in Mannheim ist explizit politisch: Außer Büchern wird auch die schwarz-rot-goldene Fahne der Weimarer Republik verbrannt, die beim Fackelzug zuvor am Boden geschleift wird. Genutzt hat das den Mannheimer Studenten und Professoren nicht: Im Oktober 1933 wird ihre Handelshochschule aufgelöst und der Universität Heidelberg einverleibt.
In anderen Städten erstreckt sich das schaurige Geschehen bis in den Spätsommer, Ende August in Jena und Magdeburg. Die letzte Aktion erfolgt am 23. September im Steinbruch Blankenstein in Wilsdruff.
Für viele Literaten ist dies jedoch erst der Anfang. Sie erhalten Publikationsverbot, ihre Werke verschwinden aus den Buchläden, bedroht ist ihre ökonomische Existenz und nicht nur diese: Einige sterben nach Folter oder Mord wie der Nobelpreisträger Carl von Ossietzky, andere nehmen sich das Leben wie Stefan Zweig, wieder andere werden ausgebürgert wie Kurt Tucholsky oder überleben in der inneren Emigration wie Erich Kästner. „Man ist ein lebender Leichnam“, klagt er.
Wie in vielen Bereichen der NS-Politik, so hat ihre Verdrängung aber auch ökonomische Gründe und Folgen. Ihren Platz nehmen regimetreue „Kollegen“ sein. „Da kommen sie nun aus allen Löchern gekrochen“, kommentiert Tucholsky bitter: „Die kleinen Provinznutten der Literatur.“ Qualitativ kommt es zum Aderlass, von dem sich die deutsche Literatur lange nicht erholt.
Am Ende erweisen sich die Scheiterhaufen als Menetekel, bewahrheitet sich ein Satz von Heinrich Heine: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen“, schreibt er 1821 in seiner Tragödie „Almansor“ – über die Koran-Verbrennungen durch christliche Ritter in Granada 1499. Irgendwie erscheint dies bedrückend aktuell.
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