Wilde Geschichten ranken sich um die Burgruine Frankenstein. Hier soll die englische Schriftstellerin Mary Shelley (1797- 1851) Titel und Anregungen für ihren berühmten Gruselschmöker „Frankenstein“ gefunden haben. Und hier wurde das vermeintliche Vorbild für den Dr. Frankenstein des Romans, der aus Leichenteilen einen künstlichen Menschen schuf, geboren: der Alchimist, Theologe und Mediziner Johann Conrad Dippel (1673-1734). Kein Wunder, dass ausgerechnet an diesem Ort seit 1977 ein großes Halloween-Spektakel stattfindet, das jährlich Zehntausende anzieht.
Doch was ist dran an all diesen Geschichten? „Nix“, meint Historiker Erich Kraft vom Geschichtsverein Eberstadt/Frankenstein kurz und prägnant: „Es ist eine tolle Geschäftsidee.“ Es gebe aber keine einzige Quelle, die belege, dass Mary Shelley jemals auf der Burg gewesen sei. Und der Roman spiele in Ingolstadt und der Schweiz. Eine Burg komme gar nicht darin vor. „Aber der Wirt und der Pächter freuen sich, wenn die Leute das glauben.“
Familie teilt sich
In der Nähe befand sich die Engländerin allerdings schon: Auf dem Rhein fuhr sie 1814 im Abstand von etwa 20 Kilometern an der Ruine vorbei. Das verbleibende Rätsel: Wie kam sie auf den Namen „Frankenstein“? „Der klingt für englische Ohren deutsch und unheimlich“, meint Erich Kraft. Meine Theorie: Mary Shelley hat den Namen der Burg in einem frühen englischsprachigen Reiseführer über die Rheinlande gelesen.
Frankenstein existiert schon lange bevor sich jährlich im Herbst Monster und Gespenster zwischen den bröckelnden Mauern tummeln und Besucher erschrecken. Die Burg gründet vermutlich eine Seitenlinie der Herren von Breuberg, die sich dann nach ihr benennt. Die erste urkundliche Erwähnung datiert von 1252. Von dieser frühen Anlage überdauert nur wenig die Jahrhunderte.
Die kleine Herrschaft bleibt nicht lange unabhängig, denn 1292 werden die Frankensteiner Lehnsmänner der mächtigen Grafen von Katzenelnbogen. Im 14. Jahrhundert teilt sich die Familie in zwei Stämme, die beide auf der Burg wohnen. 1402 erreichen sie, dass die Burg Reichslehen wird und somit nur dem Kaiser untersteht. Dass dies die guten Beziehungen zu den Grafen nicht beeinträchtigt, belegt, dass Philipp von Katzenelnbogen im Jahr 1433 den Konrad von Frankenstein auf seine abenteuerliche Reise ins Heilige Land mitnimmt.
Verwalter flüchtet
Doch in den hessischen Landgrafen entsteht eine mächtige und gefährliche Konkurrenz. Immer wieder kommt es zu Übergriffen und Beeinträchtigungen der Frankensteiner Rechte. Eine weitere Verschärfung der schwelenden Konflikte bringt die Reformation. Während die Landgrafen die neue Lehre annehmen, bleiben die Frankensteiner katholisch. Damit in Verbindung gebracht wird die auf 1528 datierte Inschrift „zu got stet mein tru“ am Wohnturm, womit Philipp von Frankenstein wohl sein Beharren auf dem alten Glauben kundtut. Trotz Gezänk und Schikanen: Zu kriegerischen Auseinandersetzungen und einer Belagerung der Burg kommt es nie in ihrer langen Geschichte.
Schließlich erreichen die Landgrafen auf friedlichem Weg ihr Ziel, denn 1662 verkaufen ihnen die Frankensteiner Burg und Grundbesitz. Mit dem Erlös von stolzen 108 000 Gulden erwirbt die Familie eine Herrschaft im mittelfränkischen Ullstadt, wo sie nach wie vor residiert.
Informationen für besucher
- Anfahrt von Mannheim: auf der A5 Richtung Frankfurt. Autobahn bei Abfahrt 27 (Darmstadt-Eberstadt) verlassen und auf der B426 in den Odenwald hineinfahren.. Nach etwa drei Kilometern rechts abbiegen und den Schildern zur Burg folgen. Parkplatz vor der Burg.
- Entfernung von Mannheim: etwa 52 Kilometer; Fahrzeit: circa 40 Minuten
- ÖPNV: Wanderer gehen ab Straßenbahnhaltestelle Friedhof Eberstadt auf markierten Wegen (blaues Burgensymbol) in etwa einer Stunde zur Burg.
- Öffnungszeiten: von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, Eintritt frei.
- Führungen: Führungen bietet der Geschichtsverein Eberstadt/Frankenstein an, Spenden erwünscht. Buchung per Mail eberstadt-frankenstein@email.de
- Infos: Viele Informationen über die Burg: www.eberstadt-frankenstein.de, Infos zu den Halloween-Veranstaltungen: www.frankenstein-halloween.de.
Die Frankensteiner übergeben ihren Stammsitz in gutem baulichen Zustand. Doch das soll nicht lange so bleiben. Denn investieren wollen die neuen Herren nicht in die Anlage. Frankenstein dient zuerst als Unterkunft für invalide Soldaten, dann für Flüchtlinge, die wegen der Kriege des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. aus ihrer Heimat geflohen waren.
Ab etwa 1750 ist die Burg ungenutzt. Sie verfällt nach und nach. Trotzdem hätte viel mehr alte Bausubstanz überdauert, wäre nicht eine gewisse Eulin in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Denn der Burgverwalter hatte das Weite gesucht und Frau samt fünf Kindern ihrem Schicksal überlassen. Doch die Eulin weiß sich zu helfen und verdient Geld als Gebrauchtwarenhändlerin: Sie verkauft das verbliebene Inventar, das Blei von den Dächern, alles aus Eisen und Holz.
Die Bevölkerung der umliegenden Dörfer folgt dem schlechten Beispiel und holt Steine von der Burg. 1835 schließlich erfolgt auf Initiative des Großherzogs von Hessen eine erste Restaurierung. Allerdings geht es ihm nicht darum, die alte Bausubstanz möglichst weitgehend zu erhalten, sondern um die Schaffung einer „romantischen“ Ruine.
Der Besucher kommt zuerst in die Vorburg. Noch bis etwa 1965 standen hier alte Gebäude, die dann dem Bau des Restaurants, einem hässlichen Betonklotz, zum Opfer fielen. Lediglich die spätgotische Kapelle hat überdauert – vielleicht weil sie immer eine Nutzung hatte, so in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Viehstall. Darin stehen drei Grabdenkmäler der Frankensteiner aus dem 16. und 17. Jahrhundert, obwohl hier nie eine Bestattung erfolgte. Sie wurden 1851 von den Kirchen in Eberstadt und Nieder-Beerbach hierher gebracht. Die auf den Steinen Dargestellten haben teilweise große Bedeutung für die Familiengeschichte. Irmela von Cleen, Gattin von Hans IV. bringt als einzige Erbin derer von Cleen 1508 reiche Güter mit in die Ehe. Ein tragisches Schicksal ereilt Philipp, der 1602 im zarten Alter von 21 Jahren bei einem Kutschenunfall tödlich verunglückt. Mit dem 1606 kinderlos verstorbenen Ludwig schließlich endet der Bergsträßer Zweig der Frankensteiner.
Der Gedenkstein für den 1531 verstorbenen Georg von Frankenstein steht nach wie vor im Chor der Kirche von Nieder-Beerbach. Interessant ist die Plastik vor allem wegen der Verbindung mit der Sage vom Drachentöter. Sie zeigt einen Ritter in Rüstung, der auf einem Drachen steht, dessen Schweif sich um ein Bein des Mannes windet.
Sage vom Drachen
Die Sage: Ein scheußlicher Drache versetzt die Region in Angst und Schrecken. Nur wenn es ein junges Mädchen verschlungen hat, zieht sich das Monster für eine Weile in sein Versteck zurück. Deshalb opfert die Bevölkerung der umliegenden Dörfer ihre Jungfrauen. Schließlich trifft das Los Annemarie, die Tochter eines verarmten Ritters, die ein zärtliches Verhältnis mit dem jungen Georg von Frankenstein verbindet. Der stellte sich dem Drachen zum Kampf. Das Monster speit Gift, versucht den Ritter mit seinem Schweif zu zerschmettern oder mit seinen Kiefern zu zermalmen. Doch Georg weicht den Angriffen aus und stößt schließlich dem Ungeheuer das Schwert in die Seite.
Im Todeskampf gelingt es dem Drachen, den Ritter mit der Gift gefüllten Spitze seines Schweifs ins Bein zu treffen. Nebeneinander liegend sterben Sieger und Besiegter. Eine Theorie besagt, dass die Abbildung auf dem Gedenkstein Anlass für die Entstehung der Sage war. Zudem gilt der Heilige Georg, der Namenspatron des Ritters, als Drachentöter, der eine Königstochter vor dem Ende im Magen eines Monsters bewahrt hat. In der Realität dürfte der Drachen auf dem Grabmal den Sieg des Ritters über das Böse symbolisieren.
Frauen auf dem Esel
Eine andere Geschichte, die mit der Burg verbunden ist, klingt für unsere Ohren fast ebenso unglaubwürdig, entspricht aber der Realität: das Frankensteiner Eselslehen. Darmstädter Frauen, die ihre Ehemänner geschlagen hatten, mussten am Aschermittwoch als Strafe zur Gaudi der Bevölkerung auf einem Esel durch die Straßen traben. Die Herren von Frankenstein stellten das Tier und ließen den Vorgang durch einen Amtmann überwachen.
Zurück zum Rundgang. Auf dem Weg zur Hauptburg steht der Besucher vor dem mächtigen, um 1400 erbauten und im 19. Jahrhundert ergänzten Torturm. Es handelt sich um einen auf der Rückseite offenen Halbschalenturm. Diese Bauweise spart zum einen Baumaterial, zum anderen kann ein in den Turm eingedrungener Gegner beschossen werden. Auf der Frontseite das Wappen der Frankensteiner, ein Beileisen, darüber ein Turnierhelm. Von der Kernburg stehen noch Wohnturm, Küchenbau und Teile des Palas. Vom Wohnturm genießt der Besucher einen grandiosen Panoramablick. Eine weitläufige Zwingermauer, der im Norden der massive Pulverturm vorgelagert ist, umgibt die Kernburg.
Sanierung geplant
An den Wochenenden zwischen dem 20. Oktober und dem 4. November 2023 hat das Halloween-Festival, „das gnadenlose Gruselvergnügen“, eventuell seinen finalen Auftritt auf Burg Frankenstein. Denn Anfang 2024 beginnt das Land Hessen als Besitzer mit der Generalsanierung der Anlage. Als Erfinder des Events gilt ein amerikanischer Soldat, der 1977 das in Deutschland noch weitgehend unbekannte Halloween-Fest groß feiern wollte. 2022 kamen 22 000 Besucher.
Da der Pächter wohl nicht garantieren kann, dass Gäste der Großveranstaltung die Baustelle nicht betreten, will er zumindest für die kommenden Jahre eventuell auf eine andere Burg ausweichen. Für die 43. Auflage wird nochmals kräftig die Werbetrommel gerührt: „Viele Kreaturen lauern im Gelände auf dich. Angstschweiß und Adrenalin machen den Besuch für dich zu einer körperlichen Erfahrung ...“. Wer’s mag. Für Kinder gibt es am 22. und 29. Oktober eine entschärfte Variante.
Mit dem Gruselspektakel wird es zumindest vorerst vorbei sein. Doch was bedeuten die Bauarbeiten für historisch interessierte Besucher? „Während den Sanierungsphasen zwischen 2024 und Anfang 2026 sollen Teile der Burganlage nach Möglichkeit für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben“, teilt der Landesbetrieb Bau und Immobilien mit. Auch Hochzeiten in der Kapelle sind demnach möglich. Erst im zweiten und dritten Quartal 2026 bleibt die Ruine zum Finale der Arbeiten geschlossen. Danach steht noch die Sanierung der Gaststätte an, was aber die Besichtigung der Burg kaum beeinträchtigen dürfte.
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