Mannheim. Dienstag, 20. September 2022, 15.44 Uhr, Washington, Constitution Avenue/Ecke 15. Straße. Ein älterer Herr ist mit seinem Dienstwagen unterwegs. Doch die Begleitumstände offenbaren, dass dies keine normale Fahrt ist. Die zur Kreuzung führenden Straßen werden vor Eintreffen des Fahrzeugs von Motorrädern blockiert, von denen bewaffnete Beamte herunterspringen und sich in Position stellen. Erst danach passiert eine lange Kolonne schwarzer Limousinen. In deren Mitte ein sichtbar schweres Fahrzeug mit Stander.
Auf der Rückbank erkennt man einen weißhaarigen Herrn: Es ist Joe Biden, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. In seiner gepanzerten Limousine, dem „Beast“, kommt er aus der Pennsylvania Avenue 1600: vom Weißen Haus, seit 1800 Sitz des Staatschefs der USA. Doch dessen Geschichte ist älter.
Rückblick: Am 4. Juli 1776 erklären sich die englischen Kolonien in Nordamerika für selbstständig; nach dem Unabhängigkeitskrieg gründen sie die Vereinigten Staaten von Amerika, erarbeiten eine Verfassung, wählen den Kommandeur ihrer Armee, George Washington, 1789 zum ersten Präsidenten. Der residiert zunächst in New York. 1790 zieht die Regierung nach Philadelphia, beschließt jedoch den Bau einer neuen Hauptstadt. Sie entsteht am Reißbrett und wird noch zu Lebzeiten Washingtons nach diesem benannt.
Am 13. Oktober 1792 um 12 Uhr mittags legt er für seinen Amtssitz den Grundstein; als er 1797 aus dem Amt scheidet, ist der Bau noch im Gange. Die Arbeiten, bei denen auch mehr als 300 Sklaven eingesetzt werden, dauern acht Jahre. Sie kosten 232 000 Dollar, nach heutiger Kaufkraft über vier Millionen.
Beim Bau des Weißen Hauses auch Sklaven eingesetzt
Planer ist der irische Architekt James Hoban. Als Vorbild hat er einen Prachtbau in seiner alten Heimat im Hinterkopf: das 1748 fertiggestellte Leinster House in Dublin, heute Sitz des irischen Parlaments. Am 1. November 1800 zieht Präsident John Adams mit Ehefrau Abigail ein. „Mögen nur ehrliche und weise Männer jemals unter diesem Dach herrschen“, notiert er – Sätze, die sein später Nachfolger Franklin Roosevelt in den Kaminsims des State Dining Room eingravieren lässt.
Doch dann die Katastrophe: 1812 ein neuer Krieg gegen die Briten, die im August 1814 kurzzeitig sogar die Hauptstadt einnehmen; Präsident James Madison flieht nach Virginia. Das Weiße Haus wird von den Briten geplündert und niedergebrannt, nur die Außenmauern stehen noch. Den Wiederaufbau, diesmal komplett in klassizistischem Stil, leitet erneut Hoban. Alles wird weiß gestrichen, so entsteht ein Spitzname für das Gebäude: „Weißes Haus“. 1817 kann der neue Präsident James Monroe einziehen. 1824 wird der halbrunde Südportikus fertiggestellt, 1829 der nördliche (Motiv des heutigen offiziellen Logos). Fortan sieht das Gebäude so aus, wie die Welt es kennt.
Das Weiße Haus in Washington – Infos und Tipps
- Adresse: 1600 Pennsylvania Avenue NW, Washington, D.C. 20500
- Größe: 5100 Quadratmeter Nutzfläche, 132 Räume, 35 Badezimmer, 412 Türen, 147 Fenster, acht Treppenhäuser, drei Aufzüge, Kino, Swimmingpool, Tennisplatz, Bowlingbahn, Basketballfeld, mehrere Gärten.
- Gliederung: Mittelbau („Villa“): East Room (aus dem Fernsehen bekannter Raum für Empfänge, Pressekonferenzen etc.), private Wohnräume; Westflügel: Oval Office, Vizepräsidenten-Büro, Kabinettsraum; Ostflügel: Büro der First Lady.
- Zeremonien: Seit 1923 wird in der Adventszeit der National Christmas Tree (Nationaler Weihnachtsbaum) durch die First Lady geschmückt. Das Einschalten der Beleuchtung wird vom Fernsehen live übertragen.
- Zugänglichkeit: An der Nordseite (Pennsylvania Avenue) bis direkt an den Zaun möglich, an der Südseite nicht, da weiträumig abgeriegelt.
- Sicherheitsvorkehrungen: 2000 Soldaten bewachen das Gelände. Auf dem Dach stehen Scharfschützen, auf den Nachbargebäuden Flugabwehrraketen. Kein Flugzeug darf das Gebäude überfliegen. Im Notfall starten Abfangjäger, um den Eindringling zu „eleminieren“.
- Besichtigung: Nach langer Pause sind sie wieder möglich. Laut Website des Weißen Hauses müssen Ausländer ihren Besuchswunsch über deren Botschaft in Washington vorbringen (Botschaft der Bundesrepublik: www.germany.info/us-de/vertretungen/botschaft). Die Führungen dauern von 9.30 bis 12.30 Uhr. Zu sehen sind die Staatsräume, also nicht das Oval Office öder Ähnliches.
- Web: www.whitehouse.gov -tin
Zu jener Zeit ist das Weiße Haus noch ein sehr „offenes“: 1829 bestürmen 20 000 Bürger das Gebäude, um mit Präsident Andrew Jackson dessen Amtseinführung zu feiern; dieser „flieht“ in ein Hotel. Die Mitarbeiter können die Masse nur aus dem Haus locken, indem sie im Freien kostenlos Whiskey ausschenken. 1842 klingelt Charles Dickens an der Tür des Weißen Hauses; als ihm auch nach dem zweiten Mal niemand öffnet, geht der englische Schriftsteller einfach hinein – damals noch möglich.
Am 1. Januar 1863 unterzeichnet Präsident Abraham Lincoln hier das Dekret zur Sklavenbefreiung. Im amerikanischen Bürgerkrieg bleibt das Gebäude unversehrt. Doch privat ist es für Lincoln bis zu seinem eigenen Tode ein Ort der Trauer: 1862 erkrankt sein Sohn Willie auf Grund der unhygienischen Wasserrohre im Weißen Haus an Typhus und stirbt hier im Alter von elf Jahren. Als der Präsident selbst ermordet wird, wird er im East Room aufgebahrt – wie sein später Nachfolger Kennedy.
Um 1900 sind die USA eine Großmacht, und deren Präsident braucht mehr Platz; Theodore Roosevelt bringt sechs Kinder mit. So lässt er 1901 den West-Trakt anbauen, in den er die Büros verlegt. Und er verleiht dem Bauwerk auch offiziell seinen heutigen Namen: Weißes Haus. 1909 erweitert Präsident William Taft diesen Westflügel und richtet dort das erste Oval Office ein. Erst Franklin Roosevelt (1933-1945) wird es an seinen heutigen Standort neben dem Rosengarten verlegen.
Weltwirtschaftskrise und Zweiter Weltkrieg führen dazu, dass in den Unterhalt der Bausubstanz nicht investiert wird. Nach 1945 ist sie in jämmerlichem Zustand, wird gar als einsturzgefährdet eingestuft. Präsident Harry Truman muss vorübergehend ausziehen. Von 1949-1952 werden die Räume entkernt und mit einem Stahlrahmen versehen.
Eine Revolution im Inneren bringt die Amtszeit John F. Kennedys (1961-63). Seine Frau Jacki initiiert eine historisch getreue Renovierung – mit eigens aus Paris eingeflogenen Designern. Passendes Mobiliar wird neu angekauft oder durch Mäzene bereitgestellt. Am Valentinstag 1962 präsentiert die First Lady das Ergebnis einem Fernsehteam: Erstmals können die Bürger nun einen Blick ins Weiße Haus werfen, drei von vier Amerikanern schauen zu – die höchste Einschaltquote in der Geschichte des US-Fernsehens. Später wird sich Mr. Kennedy in den historischen Betten mit heimlich eingeschleusten Geliebten vergnügen.
Richard Nixon (1969-1974) richtet einen Presseraum ein – Ironie der Geschichte, dass investigativer Journalismus gerade zu seinem Sturz (im Zuge der Watergate-Affäre) führt. Unter Jimmy Carter (1977-81) halten nicht nur Computer Einzug, sondern auch Sonnenkollektoren auf dem Dach – die sein konservativer Nachfolger Ronald Reagan (1981-1989) allerdings abmontieren lässt.
Am 11. September 2001 wird das Weiße Haus erstmals evakuiert
Ab den 1990er Jahren machen mehrere Vorfälle die Sicherheitsfrage akut. Am Abend des 11. September (!) 1994 etwa stiehlt der Lkw-Fahrer Frank Eugene Corder, gerade von seiner Frau verlassen, eine Cessna und steuert sie auf das Gelände des Weißen Hauses; um 1.49 Uhr nachts stürzt er dort ab und stirbt dabei.
Am 11. September 2001 ist das vierte von Al-Qaida-Terroristen entführte Flugzeug auf den Weg nach Washington – mit dem Weißen Haus als Ziel, wie man befürchtet. Erstmals in seiner Geschichte wird es evakuiert. Nur Vizepräsident Dick Cheney, die First Lady und wenige Vertraute verharren vor Ort, im sicheren Bunker. Präsident George W. Bush besteigt in Florida die Air Force One und bleibt zunächst in der Luft
Als sich am 12. Mai 2005 wieder ein Flugzeug dem Weißen Haus nähert, wird es erneut evakuiert. Zwei F-16-Kampfjets und Black-Hawk-Helikopter steigen auf und zwingen den Piloten zur Landung. Es ist ein Flugschüler, der sich verflogen hat.
Und dann die vielen Skandale und Skandälchen! Von Präsident Bill Clinton etwa, der Übernachtungen im historischen Lincoln Bedroom an potente Spender gegen 50 000 Dollar vermietet. Und sich mit seiner Mitarbeiterin Monika Lewinsky im Nebenraum des Oval Office vergnügt.
Erst Nachfolger George W. Bush bringt wieder Moral ins Haus – und eine strenge Kleiderordnung: Jeans, Turnschuhe, bei Frauen kurze Röcke sind verboten; ins Oval Office darf nur, wer ein Jackett trägt. Als Bush am 20. Januar 2009 auszieht, hinterlässt er dem Nachfolger Obama auf dem Schreibtisch nur einen Brief: „Von Nr. 43 an Nr. 44.“ Ansonsten ist das Oval Office leer, nicht eine Büroklammer da. Auch das ist Tradition.
Und Donald Trump? Er mag das Weiße Haus nicht besonders, für ihn ein Symbol des ihm verhassten Washingtoner Establishments. Als er 2021 ausziehen muss, lässt Nachfolger Joe Biden das Gebäude für eine halbe Million Dollar desinfizieren – und zwar vom Corona-Virus. Den Trump-Polit-Virus werden er und ganz Amerika nicht so einfach los.
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