Bonn. Obwohl es mehr als 30 Jahre her ist, erinnere ich mich noch genau. Denn für mich, damals junger Redakteur, ist es „mein“ erster Staatsbesuch, als der japanische Kaiser Akihito am 14. September 1993 in Bonn zu Gast ist. Mit eindrucksvollem Prozedere. „Majestät, Ehrenformation der Bundeswehr zu Ihren Ehren angetreten!“, meldet deren Kommandeur, als der Tenno durch Bundespräsident Richard von Weizsäcker offiziell begrüßt wird. Ort: der Garten der Villa Hammerschmidt.
Es ist bereits die Schlussphase der Blütezeit dieses Bauwerks, das seit Gründung der Bundesrepublik 1949 als Amtssitz ihres Staatsoberhauptes dient. In Folge der deutschen Einheit verliert es diese Funktion an Schloss Bellevue in Berlin. So ist es heute nur Symbol der (manche mögen sagen: guten) „alten Bundesrepublik“.
Rückblick: Vier Jahre nach Ende des Krieges gründet sich mit Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 ein neuer, ein demokratischer deutscher Staat. Und dieser braucht natürlich auch ein Staatsoberhaupt; sein neuer Titel: Bundespräsident.
Die Erfahrungen mit dem letzten gewählten Staatsoberhaupt, die hinter den Vätern und Müttern der Verfassung liegen, sind schlecht: Der seit 1925 amtierende Reichspräsident der Weimarer Republik, der frühere kaiserliche Generalfeldmarschall von Hindenburg, kann oder will die Demokratie nicht verteidigen; am 30. Januar 1933 ernennt er Adolf Hitler zum Reichskanzler.
Mehr erfahren über die Villa Hammerschmidt
- Lage: In der Stadt Bonn, direkt am Rheinufer, Hauptportal an der Adenauerallee 135, Zufahrt über die Kaiser-Friedrich-Straße 16.
- Status: Zweiter Amts- und Wohnsitz des Bundespräsidenten. Ist er anwesend, wird seine Standarte gehisst.
- Bedeutendste Räumlichkeiten: Empfangssaal: langgestreckter Raum zum Garten hin, einst Ort der Neujahrsempfänge des Bundespräsidenten für die Bundesregierung und für das Diplomatische Corps.
- Speisesaal: langgezogener Tisch mit Platz für 34 Personen. Geschirr: Nymphenburger Porzellan, Besteck: von WMF. Eine Tapentür führt zu einer kleinen Küche, in der heute aber nicht mehr gekocht, sondern das von Caterern angelieferte Essen aufgewärmt wird. Ausgeschenkt werden nur deutsche Weine und Sekte.
- Privaträume: im ersten Obergeschoss, nicht zu besichtigen, da für den Bundespräsidenten vorgesehen.
- Außenanlage: „Formaler Garten“ vor dem Gebäude zur Straße hin und Englischer Garten hinter der Villa auf der Rheinseite mit Kunst-Skulpturen.
- Besonderheit: Die Stadt Bonn bietet seit 2001 vier Termine pro Jahr für standesamtliche Trauungen an. Ort: Empfangssaal. Sekt zum Anstoßen muss selbst mitgebracht werden, Streuen von Reis ist nicht gestattet.
- Besichtigung: Im Rahmen der zweistündigen Führung „Auf den Spuren der Republik“. Anstehende Termine: 18. und 25. Oktober, 22. November, 6. Dezember. Gebühr: 13 Euro (ermäßigt 9 Euro). Anfragen/Anmeldung mit persönlichen Daten (zur Sicherheitsüberprüfung) per e-Mail an bonninformation@bonn.de. -tin
Daraus folgt im Grundgesetz eine Entmachtung des Bundespräsidenten: Der Kanzler ist nicht mehr auf sein Vertrauen angewiesen, sondern auf das der Mehrheit im Parlament. Der Präsident ist weder Oberbefehlshaber der Armee noch kann er den Notstand ausrufen. Doch vor allem: Er wird nicht mehr direkt vom Volk gewählt, sondern von einem eigenen Gremium namens Bundesversammlung aus den Abgeordneten des Bundestages und Vertretern aus den Ländern. Seine einzige Kraft liegt in der seiner Persönlichkeit, in seinen Reden. Wie man dadurch Einfluss gewinnen kann, wird vor allem Richard von Weizsäcker zeigen.
Die Wahl von Heuss ist Ergebnis eines politischen Geschäfts
Erster Bundespräsident wird der FDP-Vorsitzende Theodor Heuss – erster großer Kuhhandel in der Politik der Bundesrepublik. Denn der Liberale wird am 12. September mit den Stimmen der CDU Staatsoberhaupt, dafür kurz darauf deren Chef Konrad Adenauer mit einer Koalition aus Union und FDP Kanzler.
Doch das Staatsoberhaupt benötigt natürlich auch einen Amtssitz. Kurzfristig bringt man Heuss in der Viktorshöhe in Bad Godesberg unter, einer 1910 erbauten Villa, die im Krieg als Sitz der Reichsbahndirektion Köln, danach als Erholungsheim für Bahnbeamte dient. Hier erhalten der erste Kanzler Adenauer und sein Kabinett ihre Ernennungsurkunden, hier sind erste ausländische Politiker zu Gast, so die Außenminister Dean Acheson (USA) und Robert Schumann (Frankreich).
Langfristig jedoch ist dies kein angemessener Amtssitz für ein Staatsoberhaupt. Stattdessen wird ein schönes Bauwerk am Rheinufer auserkoren: die Villa Hammerschmidt.
Deren Geschichte beginnt 1860, als der Kaufmann Albrecht Troost am Rheinufer ein rund 18 000 Quadratmeter großes Grundstück erwirbt und dort eine zweigeschossige Villa im Stile des Klassizismus errichten lässt. Als seine Frau und sein Sohn ertrinken, verkauft er die Villa 1868 an den Unternehmer Leopold Koenig, der sie sukzessive um- und ausbauen lässt. Die Rheinfront wird dadurch stattliche 20 Meter länger.
1899 erwirbt der Fabrikant Rudolf Hammerschmidt die Villa und gibt ihr damit ihren noch heute gültigen Namen. Nach seinem Tode 1922 teilen die Erben das Haus in zwölf Mietwohnungen auf und versteigern Mobiliar und Kunstsammlung. Den Krieg unbeschadet überstanden, wird das Haus von den Alliierten beschlagnahmt und zur Residenz des Oberkommandierenden der Belgischen Streitkräfte in Deutschland.
Auf der Suche nach einem Amtssitz für ihr Staatsoberhaupt verfällt die junge Bundesrepublik auf diese Villa – auch deshalb, weil sie direkt neben dem Palais Schaumburg, dem Sitz des Kanzlers, liegt. Beide Gebäude werden Kern des Regierungsviertels der früheren Bundeshauptstadt.
Am 5. April 1950 erwirbt der Staat die Villa für 750 000 D-Mark von den Erben Hammerschmidts. Umfangreiche Bauarbeiten beginnen, die die Nüchternheit des neuen Staates unterstreichen sollen: Stuck- und Ornamentdecken werden entfernt, historische Terrassenaufbauten und die beiden Türmchen abgerissen, die Nibelungengrotte im Park durch Beseitigung der Figuren unkenntlich gemacht, auf den Mauern des ebenfalls verschwindenden Stallgebäudes der Verwaltungstrakt errichtet.
Am 15. Dezember 1950 zieht Theodor Heuss offiziell ein, obwohl er selbst lieber auf der Viktorshöhe bleiben würde. „Nun, ich bin zwar dem lieben Gott etwas ferner als auf Viktorshöhe, dafür dem Konrad Adenauer etwas näher“, feixt er. Das Mobiliar im Stile des französischen Empire aus der Zeit um 1830 stammt aus Schloss Wilhelmshöhe in Kassel. „Das ist keine Angabe, nur Leihgabe“, formuliert Präsidenten-Gattin Elly Heuss-Knapp humorvoll.
Sechs Männer haben fortan hier ihren Hauptsitz: Theodor Heuss, der durch seine (groß)väterliche Art als „Papa Heuss“ zur Integrationsfigur in der jungen Bundesrepublik wird;
Heinrich Lübke (CDU), der 1959 nach unwürdigem politischem Gezerre als dritte Wahl ins Amt kommt, sich dort aber als erster Politiker der Entwicklungspolitik zuwendet, im Laufe der Zeit jedoch auch durch kuriose Fremdsprachennutzung („Me are standing the hairs to the mountains“) zur Karikatur wird, in der Endphase seiner Amtszeit auf Grund seiner Nazi-Vergangenheit sogar zum Feindbild der 68er;
Gustav Heinemann (SPD), dessen Wahl 1969 der gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung unter Kanzler Willy Brandt entspricht und der jedem Pathos abhold ist, daher auf die Frage, ob er Deutschland liebe, antwortet: „Ich liebe meine Frau“;
Walter Scheel (FDP), der ab 1974 mit sichtlichem Genuss dem Amt präsidentiellen Glanz zu verleihen sucht und mit dem dank Ehefrau Mildred und Kindern erstmals eine Familie in den Amtssitz einzieht;
Karl Carstens (CDU), der nach seiner Wahl 1979 keinen Draht zur aufkommenden Umwelt- und Friedensbewegung zu entwickeln vermag, mit behäbigen Aktionen wie dem „Wandern durch das Land“ jedoch zur Ära Helmut Kohl passt;
Richard von Weizsäcker (CDU) schließlich, der bereits ein Jahr nach seiner Wahl von 1984 mit einer Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes weltweit beeindruckt, als er die deutsche Kapitulation vom 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ definiert.
Die 1990er Jahre besiegeln das Ende der Glanzzeiten
Immer wieder wird das Haus den Wünschen dieser, seiner Bewohner angepasst: Gustav Heinemann lässt am Südrand des Grundstücks ein überdachtes Schwimmbecken einbauen, Walter Scheel im Dachgeschoss einen Filmvorführraum, Richard von Weizsäcker einen Fitnessraum mit Tischtennisplatte.
1991 ändert sich für die Villa alles: Mit knapper Mehrheit beschließt der Bundestag die Verlegung der Hauptstadt von Bonn nach Berlin. Im Januar 1994 vollzieht Richard von Weizsäcker noch kurz vor Ende seiner Amtszeit diesen Beschluss als erstes Verfassungsorgan. Eingangs erwähnter Staatsbesuch des japanischen Kaisers im Herbst 1993 ist also einer der letzten an der alten Stelle.
Ganz selten, wenn es erforderlich ist, werden nun hier noch Staatsgäste empfangen, so etwa am 19. August 2005 Benedikt XVI. durch Horst Köhler, als der Heilige Vater zum Weltjugendtag in Köln weilt und der Abstecher nach Berlin als zu umständlich erscheint. Fortan ist die Villa Hammerschmidt eben nur noch zweite Wahl des Bundespräsidenten.
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