Heidelberg. Wer hätte das vor zwei Jahren gedacht: Ein Krieg am Rande Europas. Ähnliche Ereignisse waren bisher immer so weit entfernt, dass man ruhig schlafen konnte. Jetzt sind deren Auswirkungen täglich zu spüren. Ob wir wollen oder nicht. Die Preise steigen, der Ton wird rauer, die politische Landschaft gerät durcheinander.
Der Krieg als politisches Mittel ist 2022 schlagartig wieder in unseren Alltag eingetreten. Und je näher er kommt, desto größer wird der Wunsch, dass er doch bitte irgendwie draußen vor der Tür bleiben möge. Eine Premiere am Theater Heidelberg zeigt, wie kompliziert Konsequenzen des Krieges auch den Alltag hierzulande machen können.
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Als Hauptfigur des Dramas „Meine Hölle“ geht die deutsche Kunstlehrerin Helena (Nicole Averkamp) einen anderen Weg. Sie öffnet ihr Haus für zwei ukrainische Flüchtlinge. Sie hat das Gefühl, helfen zu müssen, und sucht sich per Internet zwei kompatible Frauen aus: eine Designerin und deren fünfzehnjährige Tochter.
Schon bevor sie die beiden am Heidelberger Hauptbahnhof abholen, lässt Sohn Luka durchblicken, dass er Probleme auf sich zukommen sieht. Doch Olena und ihre Tochter Marysja sind sehr sympathisch. Nachdem sie unter so vielen Deutschen „ihre“ Deutschen gefunden haben, lösen sich die dunklen Vorahnungen erst einmal in Wohlgefallen auf.
Konflikt um nichtvegane Ernährungsgewohnheiten in "Meine Hölle" am Theater Heidelberg
Die Schriftstellerin, Journalistin und Mitbegründerin des Kiewer Dramatiker*innen-Theaters Oksana Savchenko ist zur Zeit Hausautorin des Heidelberger Theaters. Ging es in „Die Nacht verdeckt den Morgen“, einem Audiowalk, um ihre Erlebnisse in der Ukraine, verlegt sie die Handlung jetzt in ihr Exil und erforscht mit einer deutsch-ukrainischen Figurenkonstellation, wie die Traumata der einen und die Verdrängungen der anderen im deutschen Alltag aufeinander reagieren.
Der Titel verrät, dass es in dem Stück abwärts geht. Aber in einer tragikomischen Weise. Helenas humanitäre Abstraktheit kollidiert mit den Kalkflecken auf den Badezimmerarmaturen und den nicht veganen Ernährungsgewohnheiten der beiden Ukrainerinnen. Als sie das Gefühl hat, den Krümeln, die die Gäste verursachen, nicht mehr Herr zu werden, möchte sie ihr früheres Leben zurück.
So geht es auch Olena und Marysja, nur dass sie keine Wahl haben. Ihr nächtliches Wimmern ruft Paul, einen typisch deutschen Nachbarn, auf den Plan. Ihm geht es um die Einhaltung der Nachtruhe und natürlich die korrekte Mülltrennung. Dafür betet er auch schon mal zur städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Als Olena dann auch noch ein mitgebrachtes Herz im Garten vergraben will, ist das Maß voll.
Regisseurin von "Meine Hölle" agiert zurückhaltend
Auf der Bühne, die flokatihaft ein Wohn- und Schlafzimmer andeutet, agieren die Darsteller in Schlafanzügen. Die Frauen weiß und blau glänzend, die Männer längs gestreift. Vor allem der Pyjama von Paul, den Hans Fleischmann schön ausfällig spielt, erinnert an einen Sträfling. Simon Mazouris Streifen sind zwar bunt, doch der stille junge Mann, der beim psychologischen Notfalltelefon arbeitet, lebt eher in einer farblosen Welt, die von seiner Mutter reglementiert wird.
Simone Geier inszeniert „Meine Hölle“ dezent. Bei so viel Gewalt in der Außenwelt kehrt sich das Leiden nach innen. Katerina Kravchenko wird zum magersüchtigen Teenager. Vladlena Sviatash führt ihre Rolle immer wieder an den Abgrund, in dem es wenig Berührungspunkte zur Mülltrennung und dem Wunsch nach Nachtruhe gibt.Von ihrem Mann, der sich freiwillig an die Front gemeldet hat, kommt keine Nachricht mehr.
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