Profiler, sprich Fallanalytiker, haben spätestens seit „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) - die FBI-Agentin Clarice Starling in Person von Jodie Foster bekam es hier mit Serienkiller Dr. Hannibal Lecter alias Anthony Hopkins zu tun - in Kino und Fernsehen Hochkonjunktur. Aus der Beobachtung scheinbarer Nebensächlichkeiten und dem Sammeln von Fakten versuchen sie sich ein Bild des Täters zu machen, um ihn so letztendlich dingfest zu machen. Dazu versetzen sie sich in den Kopf des Gejagten, meist Triebtäter oder Massenmörder.
Ein solcher ist nun in „Catch the Killer“ unterwegs. In Baltimore, am Silvesterabend. Die Menschen feiern in den Straßen, die Stimmung ist ausgelassen. Plötzlich fallen Schüsse, die im Lärm untergehen. Ein Heckenschütze ist in eine leerstehende Hochhauswohnung eingedrungen. Wahllos tötet er 29 Menschen. Dann setzt er, um alle Spuren zu beseitigen, das Apartment mittels eines Sprengsatzes in Brand.
Das Szenario: Heckenschütze tötet wahllos 29 Menschen in einer leeren Wohnung in einem Hochhaus
Die Streifenpolizistin Eleanor Falco (Shailene Woodley), zufällig vor Ort anwesend, reagiert geistesgegenwärtig: Sie bittet einen Kollegen, alle Personen die das Gebäude verlassen mit seinem Handy zu filmen.
Mit der Aufklärung des brutalen Verbrechens wird der Sonderermittler Lammark (Ben Mendelson) beauftragt. Er erkennt in der psychisch vorbelasteten, von Selbsthass und Zweifeln geplagten jungen Frau - sie kämpft mit den Dämonen ihrer eigenen dunklen Vergangenheit - eine ideale Mitarbeiterin. Gegen den Willen seiner Vorgesetzten nimmt er sie trotz ihrer Unerfahrenheit in seine Sonderkommission auf. Sie scheint den Amokläufer instinktiv zu verstehen.
Während die Polizei noch falschen Spuren folgt und mit internen Kompetenzstreitigkeiten beschäftigt ist, richtet der unberechenbare Soziopath in einem Einkaufszentrum ein weiteres Blutbad an. Der Druck auf das Fahndungsteam wächst.
Ein für das Genre klassischer Plot nach einem Drehbuch von Jonathan Wakeham und Regisseur Damián Szifron, der sich mit seiner bitterbösen Kriminalkomödie „Wild Tales - Jeder dreht mal durch!“ (2014) international einen guten Namen gemacht hat. Reißerische, spektakuläre Momente - bis auf die beiden effizient inszenierten Tötungsszenen - spart er in seiner ersten englischsprachigen Produktion weitgehend aus.
Die Psychologie der Figuren spielt eine wesentliche Rolle für Regisseur Damián Szifro
Es geht ihm um die Psychologie der Figuren. Um deren Interaktion und ihre Herangehensweise an den Fall. Vergleichbar mit „Blutmond“ (1986) von Michael Mann, der als Erster den Kannibalen Lecter, ersonnen von US-Bestsellerautor Thomas Harris, auf der Leinwand zum Leben erweckt hat.
Konsequent nachtschwarz, fast undurchdringlich sind die Bilder von Kameramann Javier Julia („Argentinien, 1985 - Nie wieder“), manchmal stehen sie gar für wenige Augenblicke Kopf. Das ist wohl ein Hinweis darauf, welch mentalen Herausforderungen Eleanor und ihr Mentor bei ihrer Phantomjagd ausgesetzt sind.
Ständige Unvorhersehbarkeit und überraschende Volten als weitere Stärke
Perfekt harmonieren die wandlungsfähige, souverän agierende Woodley („Big Little Lies“) und der bis dato weitgehend unbekannte Mendelson („Holy Hell“), ohne Worte scheinen sie sich zu verstehen. Zu ihrem Komplizen wird man bei der Mörderhatz, wie sie von jeder neuen Entwicklung überrascht. Diese ständige Unvorhersehbarkeit und überraschende Volten sind weitere großen Stärken des düsteren, atmosphärischen Reißers, der sich grundlegend von ähnlich gelagerter (TV-)Dutzendware absetzt.
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