„Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd!“ Jeder Schüler kennt diese Zeile aus „Richard III.“. Wenig schmeichelhaft, als blutrünstig und machtbesessen, schildert William Shakespeare in seinem vermutlich 1593 uraufgeführten Schauspiel den berühmt-berüchtigten Herzog von Gloucester. Ein hoch bezahlter Drehbuchautor wäre der geniale Dichter - nicht zuletzt dank seines genauen Wissens um den Publikumsgeschmack - wohl heute. Das eint ihn mit Stephen Frears, Jahrgang 1941, dem neben Ken Loach und Mike Leigh bedeutendsten Regisseur des New British Cinema. Seit Anfang der 1980er-Jahre arbeitet er - bei Kritik wie Publikum erfolgreich - dies und jenseits des Atlantiks.
Bekannt geworden ist er mit „Mein wunderbarer Waschsalon“ (1985), Teil eins seiner London-Trilogie, mit drei Oscars wurde seine Hollywood-Adaption von Choderlos de Laclos‘ Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ (1988) prämiert. Ein untrügliches Gespür fürs Milieu und den Zeitgeist zeichnet ihn aus, lebensnah erweckt er seine Figuren zum Leben.
Wie nun seine von Sally Hawkins gespielte Philippa Langley. Für ein Biopic hat er sich bei „The Lost King“ - wie unter anderem bereits bei „Die Queen“ oder „Victoria & Abdul“ - entschieden. Bei einem Theaterbesuch lernt man seine Heldin kennen. „Richard III.“ steht auf dem Programm. Hingerissen folgt die empathische Fünfzigjährige, die sich gerade neu zu orientieren versucht, der Vorstellung. In ihrem Marketingjob wird sie ständig übersehen, ihre Söhne gehen langsam eigene Wege, zudem steckt sie in der Scheidung von John (Steve Coogan), mit dem sie aus wirtschaftlichen Gründen noch zusammenwohnt.
Leichnam unter Parkplatz
Das Bühnenstück geht ihr nicht aus dem Kopf. Sie entwickelt eine Faszination für Richard III., der 1485 in der Schlacht von Bosworth fiel und dessen Leiche nie gefunden wurde. Sie stört, dass der umstrittene Monarch (nur) als buckeliges, verachtenswertes Monster in die Historie eingegangen ist. Also begibt sie sich auf Spurensuche, legt sich mutig mit der männerdominierten akademischen Welt an und findet schließlich im Jahr 2012 - unter dem Parkplatz des Sozialamts von Leicester - dessen sterbliche Überreste. Was final dazu führte, dass die Geschichte umgeschrieben werden musste und der vermeintliche Thronräuber vom Königshaus offiziell als rechtmäßiger Regent rehabilitiert wurde.
Eine David-gegen-Goliath-Mär, eine herzerfrischende Tragikomödie und zugleich das stimmige Porträt einer Frau, die sich weigert aufzugeben. Weder Historikerin noch Archäologin ist sie, dennoch verfolgt sie eisern ihr Ziel - verbissen, jedoch stets freundlich, neugierig und mit offenem Geist. Perfekt versteht es Hawkins („Shape of Water - Das Flüstern des Wassers“) sich in ihr reales Vorbild, zunächst eine sprichwörtliche „graue Maus“, die bald über sich hinauswächst, hineinzuversetzen. Sie leidet darunter, dass ihr Gatte, trocken, mit augenzwinkerndem Witz von Coogan - zusammen mit Jeff Pope auch Drehbuchautor - verkörpert, eine neue Freundin hat.
Im imaginären, nur für sie sichtbaren Richard III. (charmant: Harry Lloyd) findet sie einen treuen Verbündeten. Unverhofft taucht dieser immer wieder an ihrer Seite auf. Bei Zugfahrten, auf einer Parkbank und sogar im heimischen Wohnzimmer.
Teil ihres Alltags wird er, begleitet sie zu Treffen der reichlich skurrilen „Richard III. Society“ oder taucht mit ihr in Archiven ab. Allmählich wird Philippa zur öffentlichen Person, gleichermaßen gefeiert wie angefeindet - und schließlich von geltungssüchtigen Wissenschaftlern um ihren Ruhm betrogen. Eine kleine filmische Freiheit, wurde die reale Mrs Langley doch für ihre Verdienste mit dem Member of the Order of the British Empire (MBE) geehrt.
„Weibliche Ermächtigung“
Entspannt, ganz auf die Protagonisten fokussiert, ist die Inszenierung, funktional die Kameraarbeit von Zac Nicholson („The King’s Speech - Die Rede des Königs“). Sorgfältig ausgestattetes Wohlfühlkino bekommt man geboten. Aber Frears wäre nicht Frears, würde er nicht im Subtext (royale) britischen Eigenheiten - immer noch schwelt der Streit zwischen Richardisten und Tudoristen - aufs Korn nehmen bzw. sich über die Schwerfällig- und Engstirnigkeit der Bürokratie mokieren. Darüber hinaus beweist der Filmemacher einmal mehr, dass er sich wie kaum ein Zweiter auf Stoffe mit Frauen in zentralen Rollen versteht. Kurzum: Ein Feminist, verpflichtet der „weiblichen Ermächtigung“.
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