Mannheim. Robert Schumann hatte schon immer ein Gespür für Absonderliches. Würde er heute leben, er würde wohl Konzerte schreiben für Piccoloflöte und Kontrabass, für Triangel und Tuba, vielleicht auch für Stabmixer, Staubsauger und Computertastatur. Schumann war ein Suchender ohne Schreck.
Er fand neue Strukturen, Klänge, Formen, Synthesen und Titel wie „Faschingsschwank aus Wien“, „Davidsbündlertänze“ und ähnlich Ungewöhnliches. Ganz so absonderlich wirkt sein Konzertstück für vier Hörner und Orchester F-Dur aus heutiger Sicht zwar nicht mehr. Dennoch bleibt es im Kulturbetrieb (fast) ein Solitär, den der Komponist selbst ja als „etwas ganz curioses“ bezeichnete aus einem Jahr, in dem er nie „tätiger, nie glücklicher in der Kunst“ gewesen sei, wie er 1849 schrieb.
Axel Kober
- Der Mannheimer: Axel Kober (52) ist in Mannheim sehr lange nicht mehr groß in Erscheinung getreten, obwohl der aktuelle Generalmusikdirektor der Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg immer noch in der Quadratestadt lebt. Seit 2009 ist er nun GMD in Düsseldorf.
- Der Düsseldorfer: Auch in Bayreuth gastiert er und hat etwa mit „Tannhäuser“ im Wagner-Jahr ein erfolgreiches Bayreuth-Debüt gefeiert. Ein Heimspiel, ist er doch im nur einige Kilometer entfernten Kronach aufgewachsen und war als Teenager regelmäßig Gast am Hügel.
- Der Lernende: Dirigieren studierte Kober bei Peter Falk und Günther Wich in Würzburg. Das erste Engagement führte ihn 1994 nach Schwerin. 1998-2003 war er am Theater Dortmund, zuletzt als Erster Kapellmeister und Stellvertreter des GMD. 2003 wechselte er ans NTM, wo er 2005 stellvertretender, 2006 kommissarischer GMD wurde. 2007 wurde er Musikdirektor der Oper Leipzig.
Es darf also durchaus als mutig gelten, das Werk im recht streng kanonisierten Betrieb aufs Programm zu setzen, doch: Wer wagt, der gewinnt. So zumindest darf man das jüngste Akademiekonzert resümieren, das noch weitere Werke abseits des Mainstream listet. Doch dazu später. Die vier Hornisten des Nationaltheaterorchesters jedenfalls steigen „sehr lebhaft“ und mit einer butterweich federnden Fanfare gleich in Takt 2 ins Werk ein, das – auch das wieder eher ungewöhnlich – auf Subdominante und Dominante beginnt.
Im konzertanten Streit mit dem Orchester loten Samuel Seidenberg, Teodor Blagojevic, Clemen Alpermann und Ulrich Grau mitunter sehr lyrische Zonen aus, etwa wenn sie in der an Schumanns Eusebius-Figur erinnernden Romanze im Pianissimo elegant das fein ziselierte Thema der Streicher übernehmen.
Akademiekonzert: Keine leichte Werkauswahl
Fast tänzerisch und luftig klingen die zunächst zwei, dann vier Hörner bei den punktierten Motiven. Es wird perfekt phrasiert und mit Axel Kober am Pult des NTO charmant musiziert. Dass auch bei Ventilhörnern – zumal in Schumanns ja stets sinfonisch und emotional übermäßig verdichtetem Tonsatz – nicht alles blitzblank ist, es ist so (und nicht zu ändern). Eine gute Deutung der vier Hörner, die hier (auch mal) die Welt bedeuten, bleibt das unbestritten.
Axel Kober, der vor 20 Jahren ans Nationaltheater Mannheim berufen, hier 2005 zunächst stellvertretender, 2006 kommissarischer GMD, dann 2009 GMD an der der Oper am Rhein wurde (und in Mannheim lebt), hatte es sich und dem Publikum mit der Werkauswahl nicht einfach gemacht: weder davor mit Schumanns ebenso selten gespielter Introduktion, Scherzo und Finale als „Konzert-Ouvertüre“; noch mit Arnold Schönbergs sinfonischer Dichtung „Pelleas und Melisande“, dem Werk des End-Zwanzigers (1902/03) nach Maurice Maeterlincks gleichnamigem Drama. Kein Evergreen. Kein Hit. Weitgehend unbekannte Historie, die immer noch in Gegenwart und Zukunft hineinwirkt.
Obwohl hier im Grunde alles Material noch mit Zorn nach hinten blickt in den wunderbar emotionalen Sündenpfuhl des 19. Jahrhunderts: tolle Farben, lukullische Harmonik, zerbrochene Stimmungen, erotische Spannungen und ein immer wieder süßliches Kolorit, das einem – am Rande einer unerträglichen Freiheit – deutlich vor Augen führt: Schönberg musste weg von hier und hin zu einer anderen, klareren und radikaleren Welt, wie er sie schließlich drei Jahre später mit seiner Kammersinfonie schon ansatzweise betrat.
Kober hat das Rüstzeug, dies alles mit dem NTO hörbar zu machen. Sein dirigentisches Repertoire ist groß und reicht von Minimaleruptionen und blitzartigen Attacken zu solistischen Einsätzen bis hin zum massigen Stemmen großer Entwicklungen, bisweilen meint man, ihn beim Tragen schwerer Gewichte zu sehen, wenn er mit beiden Armen langsam von hinten nach vorn schiebt.
Aber das Orchester macht das alles mit und beschert dem nicht ganz gefüllten Saal 42 fantastische, prosaische und abwechslungsreiche Minuten, die nicht nur diese doch sehr unheimliche und bedrohliche Musik über eine unmögliche Liebe annähernd perfekt darstellt, sondern auch Schönbergs Suche: impressionistische Farben, Wagners Credo unendlicher Melodien, radikaler Expressionismus als intime Äußerung des Künstler-Ichs und die meisterhafte Beherrschung des Kontrapunkts – all das brodelt hier im Niemandsland von nicht-mehr und noch-nicht.
Schönberg echter Klassiker?
Die Tatsache, dass diese doch eher schwergefühlige, ekstatische und lang andauernde Klangfarben-Explosion im Mozartsaal auf ein begeistertes Publikum trifft, macht Hoffnung, dass – zumindest der frühe, (eher romantische) – Schönberg noch ein echter Klassiker im Kanon werden könnte. Und wer weiß: Wenn die schwierigen Sanierungszeiten für das NTM-Orchester vorüber sind, widmet man sich vielleicht auch mal wieder kleineren, dafür aber moderneren Werken des Wiener Revolutionärs. Selbst Schumann, würde er heute leben, würde darauf drängen. Vorläufig aber darf das NTO mit Kober diesen Erfolg feiern.
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