Dass Heimat und Sprache untrennbar miteinander verbunden sind, muss nicht weiter erklärt werden. In den meisten Regionen ist die Sprache eingefärbt in einen Dialekt, der Menschen eines bestimmten Gebiets verbindet und akustisch sofort als „Landsleute“ ausweist. Der Hockenheimer Thomas Liebscher beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Dialekt und hat sich „eingehört“ in die Feinheiten, in denen er sich je nach Landstrich unterscheidet. Mit dieser Expertise kommt er zu dem Schluss, dass die verbreitete Auffassung, dass in jedem Ort ein anderer Dialekt gesprochen werde, nicht korrekt sei.
Das Kurpfälzische werde zwar in einzelnen Worten und Wendungen unterschiedlich ausgesprochen, doch sprachwissenschaftlich gesehen seien das dialektale Unterschiede im Wortschatz und kein eigener Dialekt. Das zeige sich besonders gut beispielsweise am Wort Ameise, das mit sehr unterschiedlichen Vokalen am Anfang geschrieben werde. Darüber wird gerne und ausdauernd diskutiert, auch von durchaus prominenter Seite. Der frühere Hockenheimer Bürgermeister Dr. Kurt Buchter befasste sich in seinem 2000 erschienenen Buch „Der Raum Hockenheim an der Jahrtausendwende“ damit.
Buchter stellte fest, dass „Hoggämarisch“ generell zum pfälzischen Sprachraum gehöre, der ein süddeutsches Element sei. „Diese Sprache ist wie die Menschen: farbig sinnenfroh, ungeniert und vor allem vergrischä, rechthaberisch und herausragend utzig, respektlos und temperamentvoll“, beschreibt Buchter.
Nach seiner Darstellung ist die Rheinebene in drei Untergruppen aufgespalten:
1. Nach Heidelberg zu ab Walldorf, Rohrbach, Eppelheim und Plankstadt, wobei Plankstadt und Eppelheim eng verbunden seien, während zwischen Schwetzingen und Plankstadt zahlreiche Unterschiede bestünden.
2. Die zweite Untergruppe umfasse die Orte Oftersheim, Hockenheim und Reilingen. Der westlich von ihnen verlaufenden Linie entspreche die frühere Grenze der Kirchheimer Zehnt und der Kurpfalz.
3. Ketsch, Altlußheim und Neulußheim, die Dörfer auf dem Hochgestade des Rheins, bildeten eine dritte Gruppe.
Über Trennlinien lässt sich trefflich streiten
Buchters ehemaliger Oftersheimer Kollege Karl Frei stimmte dessen Ausführungen nicht durchgehend zu, berichtet Thomas Liebscher. Frei beschäftigt sich in seinem Werk „Schbrooch un Schbrisch“ mit den Mundarten des früheren Amtsbezirks Schwetzingen.
Der studierte Germanist befasst sich seit seinen Anfängen als Autor in den 1980er Jahren mit dem Phänomen Dialekt. Er ist in Mingolsheim aufgewachsen im Raum Bruchsal, sein Dialekt ist das Südfränkische. Hier verlaufe die Grenze direkt hinter Alt- und Neulußheim, in Oberhausen, Rheinhausen und Waghäusel werde bereits ein anderer Dialekt gesprochen. In Reilingen sei festzustellen, dass die Gemeinde früher zu Speyer gehört hat. Liebscher versteht auch das Alemannische gut, weil seine Mutter aus dem Schwarzwald stammte.
Beim Arbeitskreis Heimatpflege des Regierungsbezirks Karlsruhe ist Liebscher für Mundart zuständig. Mit dem Reilinger Charly Weibel hat er den Verein „Unsere Sprachheimat – schwätze, redde, babble“ mitbegründet. Er verfolgt als Zusammenschluss von über 50 Gründungsmitgliedern aus der künstlerischen Mundartszene, Wissenschaft, Heimatvereinen und Dialektfreunden das Ziel, Mundarten als Kulturgut mehr zu pflegen, zu bewahren, weiter zu erforschen und in der Öffentlichkeit lebendig zu halten.
Dabei sei festzuhalten, dass der allgemeine Dialektgebrauch nachlasse. Es gebe Untersuchungen, dass in Kindergärten oder Grundschulen nur noch rund 30 Prozent der Kinder Dialekt aus dem Elternhaus mit auf den Weg bekommen. In der Ortenau um Offenburg seien es noch 60 Prozent, für den Rhein-Neckar-Raum sei keine Erhebung durchgeführt worden.
Das Kurpfälzische sei ein ausgeprägter Dialekt, sodass die Verbreitung nach Liebschers Schätzung hier noch größer ist. Die Entwicklung gehe jedoch in Richtung Regiodialekt oder Regiolekt. Die örtlichen Basisdialekte gehen vor allem in Städten und Ballungsgebieten in Regiolekte über und die Feinheiten gehen eher verloren. „Das ist dann Wissen der Alten“, erklärt der 63-Jährige. Eins ist ihm wichtig zu betonen: „Dialekt ist keine verhunzte Hochsprache, sondern erhaltene deutsche Sprache aus dem Mittelalter“.
Funktionsträger scheuen vor Dialektgebrauch zurück
Klar sei: Der Dialekt sei in der Öffentlichkeit zurückgegangen. Früher sei es selbstverständlich gewesen, dass Funktionsträger ihn nutzten, das passiere seltener. Das heiße aber nicht, dass der Dialekt als solcher verschwinde. Beim Bäcker oder auf dem Sportplatz werde er noch benutzt, egal, ob der Nutzer 50 oder 80 Jahre alt sei.
Dialekt heute sei nur nicht mehr vergleichbar mit dem, wie er vorm Ersten Weltkrieg gesprochen wurde, als die überwiegende Mehrheit der Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt war und die räumliche und soziale Mobilität gefehlt hat.
Liebscher ist Gewinner des Nordbadischen Mundartpreises für Lyrik 1994, 1997, 2001 und 2002 und hat seit 2007 beim Arbeitskreis Heimatpflege Regierungsbezirk Karlsruhe als Juryvorsitzender dem Mundartwettbewerb „De gnitze Griffel“ zu größerem Renommee verholfen. Dafür ist er im vergangenen Jahr von Petra Olschowski, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, mit der Heimatmedaille Baden-Württemberg 2023 ausgezeichnet worden.
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