Heidelberg. Die Dame interessiert sich für einen Sportschuh aus dem Online-Shop. Auf dem „Maverick AI“-Laptop ist das 3D-Modell des Schuhs zu sehen. Mit dem Finger lässt er sich berührungslos drehen und von jeder Perspektive anschauen. Rechts und links am Laptop sind zwei Kameras befestigt. Sie wirken wie Mausohren. Mit einem Sensor erfassen die Kameras die Bewegungen des Zeigefingers. Ist das die schöne neue Online-Einkaufswelt?

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Wenn es nach der Ameria AG aus Heidelberg geht, dann schon. Sie hat die Software für „Maverick AI“ entwickelt. Das Unternehmen wurde 2018 gegründet. Es sitzt im Heidelberg Innovation Park im Süden der Stadt, gemeinsam mit anderen Technologie-Unternehmen und Start-ups.
Laptop kann Gegenstände dreidimensional darstellen
„Die berührungslose, gestenbasierte Steuerung wird die Art und Weise verändern, wie wir mit Bildschirmen in der Öffentlichkeit, bei der Arbeit und mit unseren persönlichen Lieblingsgeräten interagieren“, schreibt Ameria selbstbewusst auf der Internetseite. Mehr als 60 Beschäftigte tüfteln weltweit an mehreren Standorten daran.
„Es gibt unendlich viele Anwendungsmöglichkeiten, weil wir von 2D auf 3D gehen“, sagt Albrecht Metter, Chef und Gründer von Ameria. Es sei viel mehr als eine Spielerei. Die Technologie verspreche ein besseres Nutzererlebnis. Mittlerweile hat das Unternehmen 50 Patente angemeldet, in diesem Jahr sollen 50 weitere hinzukommen, vor allem für Anwendungen in der Autoindustrie. Zudem sind 2024 Investitionen von 15 Millionen Euro geplant. Erstmalig wuchs das Interesse am Unternehmen während Corona - kontaktlose Technik ist hygienisch.
Für die Präsentation des neuesten Produkts, dem „Maverick AI“, hat sich Ameria das Fünf-Sterne-Hotel „Europäischer Hof“ mitten in Heidelberg ausgesucht. Tradition trifft auf moderne Technik.
Das „AI“ steht für „artificial intelligence“, Künstliche Intelligenz also. Der Laptop kann Gegenstände dreidimensional darstellen - der Nutzer braucht dafür keine spezielle Brille. Dies sei zum Beispiel beim Online-Einkauf sinnvoll, sagt Johannes Tröger, bei Ameria zuständig für Strategie und Geschäftsentwicklung. Denn damit könne der Kunde zuhause auf der Couch einen Artikel von allen Seiten begutachten. So wie die Dame ihren Sportschuh.
Ex-Verteidigungsminister als Berater
- Das Softwareunternehmen Ameria hat einen prominenten Berater und Investor an seiner Seite: den früheren SPD-Spitzenpolitiker Rudolf Scharping (76). Er sitzt gemeinsam mit Wolfgang Lux, einem ehemaligen Manager der Elektromarkt-Kette Media-Saturn und der Drogerie Müller, im Beirat. „Seit ich aus der Politik bin, mache ich schon Strategieberatung für Unternehmen - sehr stark mit dem Fokus darauf, wo Künstliche Intelligenz und Technik zusammenkommen“, sagt Scharping. Für die Ameria-Präsentation ist er nach Heidelberg in den „Europäischen Hof“ angereist.
- Scharping war von 1991 bis 1994 Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und von 1998 bis 2002 Bundesminister der Verteidigung. Seit dem Ausscheiden aus dem Bundestag 2005 hat er sich aus der öffentlichen Politik weitgehend zurückgezogen. Neben seiner Beratungstätigkeit für Unternehmen ist Scharping Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer.
- An der Ameria-Technologie fasziniere ihn an meisten, dass sie Möglichkeiten eröffne, an die man vor zwei Jahren noch nicht gedacht habe. Dass Ameria Ideen auf den Markt bringe, auf die große internationale Technologie-Konzerne so (noch) nicht gekommen seien, sei auch ein Gewinn für den Standort Deutschland.
- Wichtig ist aus Sicht von Scharping, dass hiesige Tech-Unternehmen zur richtigen Zeit die richtige Unterstützung erhalten. Damit meint er auch den Zugang zu Kapital. „Die Leute, die bei uns Innovationen betreiben, müssen schneller und einfacher in die Lage kommen, ihnen eine globale Relevanz zu geben“, sagt Scharping. Die Technologie von Ameria habe globale Relevanz.
- Das Heidelberger Unternehmen hat nach eigenen Angaben nach „sehr erfolgreichen Finanzierungsrunden“ fast 30 Millionen Euro bei mehr als 4200 Investoren eingesammelt. In etwa so viel Geld hat Ameria seit Gründung auch in die Entwicklung neuer Technologien gesteckt.
Doch die Künstliche Intelligenz soll noch mehr leisten. Ein Ameria-Mitarbeiter fordert das Gerät per Sprachsteuerung auf: „Bitte öffne ein Word-Dokument und schreibe ein Märchen für Kinder.“ Sofort legt das Programm los, nach ein paar Zeilen stoppt es und fragt: „Wie soll es weitergehen? Soll eine Prinzessin Isabella in der Geschichte vorkommen?“ Die Nutzerinnen und Nutzer können die Handlung beeinflussen, die Künstliche Intelligenz macht den Rest. Die Tastatur ist virtuell, eine Maus? Fehlanzeige. Alles soll berührungslos funktionieren.
„Gibt es Heimwerker unter Ihnen?“, fragt Tröger und zeigt auf die nächste Station im „Europäischen Hof“. Hier liegt eine Schraube unter einer Kamera, die mit dem Laptop verbunden ist. Die Kamera erfasst die Schraube, auf dem Bildschirm öffnet sich sogleich die Internetseite eines bekannten Baumarktes. Der Heimwerker soll ohne langes Suchen im Online-Shop die passende Schraube bestellen können.
Reif für den Markt ist „Maverick AI“ noch nicht. Die ersten Geräte sollen dieses Jahr an Tester übergeben werden. Zwischen Ende des Jahres 2025 und Anfang 2026 ist der Verkauf der ersten Exemplare geplant. Die Optik werde sich noch verbessern, da an einer integrierten Kameralösung gearbeitet werde - die an den Seiten aufgesetzten Kameras sollen verschwinden. Kosten soll der Laptop zwischen 2000 und 2500 Euro. Die Software ist in Heidelberg entwickelt worden. Für die Hardware, also etwa das Gehäuse des Laptops, kooperiert Ameria mit verschiedenen Herstellern.
Unterstützung bei Operationen
Und es gibt noch mehr Beispiele für den Einsatz der Technologie: Im Gesundheitswesen kann sie bei mehrstündigen Operationen genutzt werden. Oft ist es so, dass zwei oder drei Assistenten nichts anderes machen, als Bildschirme zu bedienen - da der operierende Arzt steril bleiben muss. Mit Ameria könne der Operateur die Bildschirme selbst schneller und genauer bedienen.
Die Sensoren reagieren sogar, wenn der Nutzer Handschuhe trägt. „Die Software kann also auch von Arbeitern in einer Fabrik benutzt werden, die aus Sicherheitsgründen ihre Handschuhe nicht ausziehen dürfen“, wie Metter erklärt.
Ameria arbeitet mit einem bekannten Luxusmodehersteller zusammen, der die Technologie in seinen Vorzeigegeschäften einsetzen will. Die Kunden können sich auf einer großen Leinwand etwa eine Tasche anschauen, die bald auf den Markt kommt. Nur mit ein paar Bewegungen des Zeigefingers.
Ob der neue „Maverick AI“ den Markt revolutioniert, wird sich zeigen. Spätestens, wenn der Laptop in den Läden steht.
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