Das Wichtigste in Kürze
- Die Wirtschaft in der Region ist auf Migranten angewiesen. - Ohne ausländische Fachkräfte droht der Kollaps in Branchen wie Gesundheit und Bau. - Unternehmen fordern vereinfachte Verfahren für qualifizierte Zuwanderung.
Mannheim. In der hitzigen Debatte um die Begrenzung von Zuwanderung und den AfD-Forderungen nach Remigration geht aktuell eher unter, wie sehr die deutsche Wirtschaft ausländische Arbeits- und Fachkräfte braucht. Ohne sie würden zum Beispiel Krankenhäuser oder Baustellen gar nicht mehr funktionieren – sagen Unternehmen in der Region. Wo ausländische Beschäftigte besonders wichtig sind und was sich die Wirtschaft wünscht:
Pflege & Bau: Diringer & Scheidel in Mannheim
Die Mannheimer Diringer & Scheidel-Gruppe (D&S) hat eine Bau- und eine Dienstleistungssparte und betreibt Pflegeheime und Hotels. „Momentan arbeiten in der gesamten Unternehmensgruppe Menschen aus mehr als 60 verschiedenen Nationen zusammen. Darauf sind wir sehr stolz“, sagt ein D&S-Sprecher.
Beschäftigte mit Migrationshintergrund seien „von großer Bedeutung“, betont der Sprecher. „Viele Unternehmen, wie auch Avendi, könnten ihren Geschäftsbetrieb ohne sie ganz sicher nicht aufrechterhalten“. Die D&S-Tochter Avendi betreibt mit 1.850 Mitarbeitenden Pflegeheime und Pflegedienste in der Region. Die D&S-Gruppe sei auf qualifizierte Fachkräfte aus dem In- und Ausland angewiesen, um ihren Personalbedarf zu decken - über alle Unternehmensbereiche hinweg, also von der Baustelle über den Hotelbetrieb bis ins Pflegeheim.
Avendi hat sogar aktiv Pflegekräfte aus Indien angeworben und nach Mannheim geholt. Wie der Sprecher erklärt, gebe es Überlegungen, diese Rekrutierungsaktion nun auf andere nicht-europäische Länder auszuweiten. Allerdings sei das mit einem hohen Aufwand verbunden.
Gesundheit: SRH in Heidelberg
Der Heidelberger SRH-Konzern hat eine große Gesundheitssparte mit bundesweit 11.000 Beschäftigten. Etwa 89 Prozent besitzen einen deutschen Pass; 11 Prozent einen nicht-deutschen. „Insgesamt sind in unseren Akut-, Reha- und Fachkliniken exakt 99 verschiedene Nationalitäten vertreten“, sagt ein SRH-Sprecher.
In den einzelnen Einrichtungen teilt sich das wiederum unterschiedlich auf. Beispiel: Das SRH Kurpfalzkrankenhaus Heidelberg. Dort sind bei insgesamt etwa 280 Kolleginnen und Kollegen rund 90 mit ausländischer Staatsbürgerschaft beschäftigt, also rund ein Drittel der Belegschaft. Und diese haben 30 verschiedene Nationalitäten.
Für SRH ist klar: „Um es kurz zu formulieren: Ohne Menschen, die aus dem Ausland zugewandert sind, würde es nicht funktionieren“, so der Konzernsprecher. In sämtlichen Berufen und Arbeitsbereichen benötige das Unternehmen Menschen, die aus dem Ausland kommen. Im Gesundheitsbereich betreffe dies Reinigungskräfte ebenso wie Servicekräfte, Pfleger, Therapeutinnen und Ärzte.
Um deutlich zu machen, wie wichtig Menschen aus anderen Ländern im Arbeitsalltag sind, hat SRH sogar ein TikTok-Video produziert. Das Video zeigt Pflegepersonal des SRH Krankenhauses Karlsbad-Langensteinbach, die Beschäftigten mit Migrationshintergrund gehen nach und nach aus dem Bild. Übrig bleiben am Ende die deutschen Mitarbeiter: Es sind drei.
Handwerk: Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald
Daten zu migrantischen Beschäftigten gibt es in der Handwerksrolle nicht, dafür aber in der Ausbildungsstatistik: Ende 2024 hatten im Kammergebiet von insgesamt 4331 neuen Lehrlingen 703 Migrationshintergrund, teilt eine Sprecherin mit. Das ist ein Anteil von 16,2 Prozent. In den Vorjahren war der Anteil ähnlich hoch.
„Überall im Handwerk werden Menschen gesucht. Es gibt einen großen Bedarf an Auszubildenden und Fachkräften und keinen Bereich, der übersättigt wäre“, erklärt die Sprecherin. Sehr große Lücken seien in den Bau- und Ausbau-Gewerken oder im Nahrungsmittelhandwerk entstanden. Auch hier lassen sich mittels Azubi-Statistik Rückschlüsse auf das gesamte Handwerk ziehen:
Vor allem im Bereich Bau und Ausbau werde das Gewicht von Azubis mit ausländischer Staatsangehörigkeit deutlich. Als Beispiel nennt die Kammer-Sprecherin den Beruf des Malers und Lackierers: Hier haben von aktuell 79 Auszubildenden 35 eine andere Nationalität – also knapp die Hälfte. Bei den Gebäudereinigern sind es mit 13 von insgesamt 21 sogar mehr als die Hälfte.
Nahverkehr: Rhein-Neckar-Verkehrs GmbH (rnv)
Unter den rund 2.700 rnv-Mitarbeitenden sind 60 Nationen vertreten. Sie seien, so ein rnv-Sprecher, „in allen Bereichen unseres Unternehmens vertreten und nicht wegzudenken – vom Fahrdienst, über die Verwaltung bis hin zu den technischen Berufen“. Zahlen darüber, wie hoch der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund ist, erhebt rnv nicht.
Das Verkehrsunternehmen steuert den öffentlichen Nahverkehr in der Metropolregion. Es setzt seit Jahren auf gezielte Aktionen, um Menschen mit Migrationshintergrund bzw. aus dem Ausland sowie Geflüchteten zu rekrutieren. So habe ein gemeinsames Integrations-Projekt der rnv, des Jobcenters und der Arbeitsagentur Mannheim 42 geflüchtete Fachkräfte aus der Ukraine für die rnv gewinnen können. „Die Kolleginnen und Kollegen sind inzwischen ein fester Bestandteil unserer Belegschaft, sind sehr zuverlässig und werden sehr geschätzt“, betont der rnv-Sprecher. Im vergangenen Jahr fand in Zusammenarbeit mit der deutsch-griechischen Handelskammer ein „sehr erfolgreicher Bewerbertag“ für Busfahrerinnen und Busfahrer in Athen statt.
Der Bedarf an Arbeitskräften wachse weiter in verschiedensten Bereichen. Und Vielfalt sei ein absoluter Wettbewerbsvorteil, heißt es bei dem Verkehrsunternehmen: „Die rnv ist vor diesem Hintergrund auch in Zukunft auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen.“
DIW-Forscher: Nur Zuwanderung hilft
- Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet vor: Wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht, fehlen der deutschen Wirtschaft 1,5 Millionen Arbeitskräfte . Zwischen 2025 und 2029 werden jedes Jahr 300.000 Personen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden.
- Laut DIW-Studie kann diese Lücke nur durch Zuwanderung geschlossen werden. Diese Lücke zeigt sich im Produktionspotenzial. Das ist eine Kennziffer, welche sich aus den Faktoren Arbeit, Kapital und der Faktorproduktivität zusammensetzt und an deren Verlauf sich der Zustand einer Wirtschaft ablesen lässt.
- Das Produktionspotenzial ist in Deutschland zwischen 2015 und 2023 um durchschnittlich 1,2 Prozent gewachsen. Setzen sich die demografischen und wirtschaftlichen Trends fort, sinkt diese Wachstumsrate zwischen 2025 und 2029 auf 0,4 Prozent. Bei einem Einwanderungsstopp würde auch das Produktionspotenzial in Deutschland nicht weiterwachsen .
Was Arbeitgeber tun, um Beschäftigten zu helfen
Ganz vorne steht der Sprachunterricht – die befragten Unternehmen bieten alle interne Sprachprogramme an. Busfahrer etwa werden von der rnv mit eigenen Sprach- und Integrationskursen auf ihre Tätigkeit vorbereitet. Diringer & Scheidel und SRH zum Beispiel haben sogar eigene Sprachlehrer eingestellt.
Dazu kommt ganz praktische Hilfe: Kommen Menschen überhaupt erst zum Arbeiten nach Deutschland, werden sie von SRH-Kollegen vom Flughafen abgeholt, bei Behördengängen begleitet und beim Eröffnen eines Bankkontos unterstützt. In diesen Fällen sei grundlegende Unterstützung nötig, ist auch die Erfahrung bei D&S – von der Unterbringung bis zum Begleiten zu Behörden.
Auch Unternehmen brauchen Hilfe: Mit dem Projekt „Integration durch Ausbildung“ unterstützt die Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald Betriebe bei der Integration von Geflüchteten und Zugewanderten. Dazu gehören der Check von Bewerbungsunterlagen, Beratung zu gesetzlichen Vorgaben und die Vermittlung in Praktika oder Ausbildung.
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