Das Wichtigste in Kürze
- Die Gefahr von rechts bedroht Deutschland.
- Eine neue Weltordnung entsteht, die demokratische Werte bedroht und Despoten stärkt.
- Demokratie erfordert Streit und Verhandlung, nicht Ignoranz.
MA Mannheim. Die Gefahr von rechts in der politischen Landschaft ist beängstigend, aber nicht hoffnungslos. Es mag banal klingen, aber je schlimmer die Aussichten, desto stärker der Impuls, es besser zu machen. Zunächst aber reagieren viele Menschen orientierungslos. Das zeigen 40 Prozent Unentschlossene vor einer Bundestagswahl. Verzweiflung, das Gegenteil von Hoffnung, hilft nicht, macht alles nur schlimmer, weil sie sich gegen einen selbst wendet. Es gibt viele, die sagen, wir hätten noch immer nicht genügend gegen rechte Tendenzen demonstriert und angekämpft. Das klingt dann so, als könne alles erstritten, erdiskutiert, erkämpft werden. So notwendig es ist, so unzureichend ist es.
Denn das Grundproblem liegt tiefer. Die rumorende Unzufriedenheit in der Republik, ja in der Welt hat nun in despotischen Frontgestalten eine Stimme bekommen. In den USA werden sie von der Hälfte der Bevölkerung getragen; in Deutschland sind es mit etwa zwanzig Prozent noch überschaubare Größen. Hierzulande haben viele, die Jahrzehnte zuvor die unbekannte Masse der Nichtwähler waren, nun eine Stimme.
Gerade etabliert sich eine neue Weltordnung
Während sich hierzulande die demokratischen Parteien zu sortieren versuchen, um gegen rechtsaußen standzuhalten, verdröseln und verfangen sie sich im Klein-klein. Dabei beginnt sich draußen gerade eine neue Weltordnung zu etablieren, in der sich der aufgeklärte Mensch die Augen reibt, weil demokratische Werte an Wert verlieren. Die Welt wird von Despoten neu kartografiert. Grenzen werden ignoriert, ebenso wie Fakten, die Moral verkommt. Es ist die Ära der strategischen, neoimperialistischen Geopolitik, die es seit Napoleon und Hitler so nicht gegeben hat. Mehr denn je drängen die Weltmächte auf Expansion. Russland will sein altes Reich wiederherstellen und unterjocht ehemalige Bruderstaaten.
China mischt den Pazifischen Ozean auf und erhebt territoriale Ansprüche, nicht nur auf Taiwan; wo das nicht durchsetzbar ist, wie in Afrika, werden wirtschaftliche Abhängigkeiten geschaffen. Die USA erpressen die halbe Welt, um sich riesige Terrains (und Bodenschätze) einzuverleiben. Mit Ansprüchen auf Grönland und Kanada (die durch kein Völkerrecht abgesichert sind) bläht sich der Kontinent auf, um aus dem Gehabe potenzieller Kriegslust Kapital zu schlagen.
Zum erstem Mal betreibt ein amerikanischer Präsident eine verstörende Frontalpolitik: Er sagt, was er will; und er tut, was er sagt
Zum erstem Mal betreibt ein amerikanischer Präsident eine verstörende Frontalpolitik: Er sagt, was er will; und er tut, was er sagt. Noch nie war ein Politiker so extrem Unternehmer, einer, dem Habenkönnen und Habenwollen in den Genen steckt. Dieser Extremist spielt schamlos den „Furor der Macht“ aus, wie die SZ sagte. So setzen sich Führer in Szene, als wären ihr Volk Untertanen.
Trotzdem sitzt genau hier, zwischen Wollen und Tun, die Verhandlungsmasse. Und dazu gehört, sich auf gewählte unliebsame Minderheiten einzulassen, weil nur im streitbaren Diskurs ein Mehrwert entstehen kann.
Integration von Migranten als Nischengeschäft
Zunächst haben wir allerdings vor der eigenen Haustüre zu kehren. Das kann aber nicht heißen, dass Parteien sich gegenseitig zerlegen oder mit sich selbst beschäftigt sind. Sie vergessen bei ihrem Gedöns um Personen (mit heftiger Unterstützung der Medien) die Menschen. Deren Nöte sind nicht mehr nachvollziehbarer Gegenstand ihrer Politik. Das eigentliche Problem der Ampel war, dass die (vorhandenen) Erfolge der einzelnen Parteien so gut wie nicht mehr vorkamen. Woran sollten sich Wähler dann noch orientieren? Die gesamte Debattenkultur hat sich verändert, denn die sozialen Medien führen inzwischen Regie bei der Meinungsbildung.
Über den Autor
Klaus Kufeld ist Philosoph und Autor. Er ist Gründungsdirektor a.D. des Ernst-Bloch-Zentrums in Ludwigshafen.
Zuletzt erschien sein Buch „Rückkehr zur Utopie. Philosophische Szenarien“. Verlag Karl Alber, München/Freiburg 2021.
Dafür beißen sich fast alle im Problem der Migration fest. Es ist das ideale Stellvertreterthema, bei dem Differenzierung nicht mehr vorkommt. Die rechte Gesinnung spielt gern mit Ängsten, schürt Emotionen und gibt letztlich auch den Takt vor: Ängste vor Überfremdung, um das implosive Deutschnationale zu betonen.
Heute haben wir es mit einer weltweiten Dimension von Geflüchteten zu tun. Kriege, Flucht und Asyl sind ja Phänomene, die größtenteils die Industrieländer selbst erzeugt haben und schon dafür in der Pflicht sind. Und für die Betroffenen ist das kein Spaß. Trotz dieser Dramatik ist die Arbeit mit Migranten seit einem halben Jahrhundert Nischenarbeit geblieben. Dabei war Jahrzehnte Zeit, um Gastarbeiter, Ausländer, ausländische Mitbürger, Migranten, Menschen mit Migrationshintergrund (so die unaufhörlichen Worteinwechslungen) sowie Asylsuchende in der politischen Agenda maßgeblicher einzustufen. Der Schreiber dieser Zeilen, selbst jahrelang an der Basis für Integration von Migranten tätig, weiß um die Zögerlichkeit im staatlichen Handeln. Nachhaltige Integration, was nur über Kultur funktioniert, wäre letztlich in unserem eigenen Interesse gewesen, doch viel mehr als politische Kosmetik ist nicht herausgekommen.
Dieser Umgang hat sich bis heute fortgesetzt. Es war zu befürchten, dass das Thema Migration ein negativ konnotierter Gegenstand von Tagespolitik bleiben würde. Schlimmer noch: Die gesamte Problematik wird instrumentalisiert. So wird aus Menschen Material, verfügbare Masse. Dabei wissen wir seit Elias Canettis „Masse und Macht“: „Klug ist eine Antwort, die dem Fragen ein Ende macht.“ Wie unklug mögen dann all die Antworten sein, die immer nur weiter Fragen aufwerfen, ohne ein Ende zu finden.
Nicht alles links von rechts ist links
Maßgebliche Teile der Welt erleben einen Rechtsruck, als Reaktion auf die Globalisierung. Eigentlich sollte er Gegenbewegungen entfachen, um eine Mitte als Vereinigungsmenge der Demokraten zu bestimmen. Da ist viel Potenzial, denn nicht alles links von rechts muss ja links sein. Aber leider: Wahlkämpfe arten in puren Opportunismus aus. Die Menschen merken das und sehen es Politikern an, wie ernst sie es meinen und wie glaubwürdig das Gesagte ist. Die Menschen glauben den Versprechen nicht mehr, so viele Plakate und Talkshows auch immer es geben mag. Der weitverbreitete Personenkult geht zulasten von Sachpolitik.
Die Schwachstelle der Demokratie liegt im falschen Umgang mit ihren Minderheiten. Wer über längere Zeit diese vernachlässigt, zahlt einen hohen Preis. Demokratie heißt nicht Mehrheitsbeschaffung, um sich dann legitimiert zu fühlen, nach Belieben zu walten. Nein, Demokratie ist die Kunst der (gewählten) Mehrheit, niemals eine „Diktatur der Mehrheit“ zuzulassen, wie der Philosoph Julian Nida-Rümelin warnt.
Doch wie findet Demokratie wieder zu ihrer Stärke? Jedenfalls nicht durch Dekrete und Verbote – wer lässt sich schon gern belehren. Die klassischen Parteien punkten schon deshalb kaum mehr, weil die Menschen in den sozialen Medien eine neue Heimat gefunden haben wollen; diese machen einem das Leben bequem, weil fast alles fast immer und fast überall vermeintlich verfügbar ist; aber sie sind ein tückisches Unternehmen. Ganz abgesehen davon, dass wir wissen können, dass sie zentral gesteuert werden und dabei uns von ihnen Abhängige steuern, hat deren libertärer Charakter etwas Unübersichtliches, Diffuses, ja Verwirrendes und letztlich nicht Zielführendes.
Diplomatie der Versöhnung
Die neue Weltordnung könnte nun zur Folge haben, dass unsere aufgeklärten westlichen Werte im Begriff sind sich aufzulösen. Um die Mitte des demokratischen Gedankens wiederzufinden beziehungsweise zu retten, müssen wir uns auf die prekäre Gegenwart einlassen. Das heißt, Gegner nicht ignorieren, sondern mit ihnen streiten, verhandeln und nicht sanktionieren. Genau an dieser Stelle muss sich ein werteorientiertes Europa eine vernehmbare Stimme geben. Das heißt, nie zu vergessen, dass hinter den Prozenten, die Rechte bei Wahlen verzeichnen, immer Menschen stehen, die gesehen und überzeugt werden wollen.
Dem deutschen und europäischen System kann nur geraten werden, dem entfachten Furor ins Auge zu schauen, nicht sich lähmen zu lassen oder gar in Ohnmacht zu verfallen. Nein, mehr denn je gehört aufgestanden, die Erklärungsnot zu nützen und Alternativen zur Despotie zu entwickeln. Der Ton macht die Musik, der Umgang bringt den richtigen Ton. Im Kleinen wie im Großen. Die scheinbar unüberbrückbaren Fronten gehören versöhnt. So wird das Prinzip Hoffnung zu einem kampfbereiten „Trotzdem“.
Das wäre der wahre Sinn von Diplomatie.
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