Mannheim. „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten.“ Diese Worte von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) haben Thomas Hahl geärgert. Für den Chef der Mannheimer IG Metall sind sie Polemik. Merz solle sich mal selbst in drei Schichten ans Band bei John Deere oder beim „Benz“ stellen, fordert Hahl. Dann merke der Kanzler, was für Knochenjobs das seien.
Herr Hahl, hat sich Kanzler Friedrich Merz schon bei Ihnen gemeldet – wann stellt er sich bei John Deere oder beim „Benz“ ans Band?
Thomas Hahl: Nein, Herr Merz hat sich noch nicht gemeldet und ich rechne auch nicht damit. So etwas prallt doch an ihm ab.
Es dürfte unstrittig sein, dass dem deutschen Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren Arbeits- und Fachkräfte fehlen werden. Viele gehen in Rente und dann der demografische Wandel … wie sollen wir sonst den Wohlstand erhalten, wenn nicht durch mehr und längeres Arbeiten?
Hahl: Beim Fachkräftemangel müssen wir über das Thema Migration sprechen – und viel stärker darüber, wie qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland kommen. Denn ohne Zuwanderung geht es nicht. Stattdessen wird eine – in meinen Augen – populistische Diskussion über die Zurückweisung von Asylsuchenden an Grenzen geführt. Das hilft nicht.
Zur Person
Seit Mai 2020 ist Thomas Hahl, 54, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Mannheim.
Der gebürtige Mannheimer lernte Dreher bei BBC , ab 1998 arbeitete er hauptamtlich als Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall. 2016 rückte er zum Zweiten Bevollmächtigten auf.
Hahl ist verheiratet , hat eine Tochter und einen Enkel.
Zur Geschäftsführung der IG Metall gehören zudem Daniel Warkocz (Zweiter Bevollmächtigter) und Janna Köke (Kassiererin).
Mit einer Verlängerung der Arbeitszeit lässt sich das Problem des Fachkräftemangels aus Ihrer Sicht nicht lösen.
Hahl: Es wird ja öfter gefordert, dass ältere Menschen länger arbeiten sollen. Aber sehen Sie: Es gibt bestimmte Jobs, die einfach nicht bis zum Rentenalter durchzuhalten sind. So kommt es schon heute vor, dass Menschen früher in Rente gehen und dann einen dauerhaften Rentenabschlag erhalten. Es ist also eine indirekte Rentenkürzung. Und wenn wir über die tägliche Arbeitszeit reden …
… die Bundesregierung hat ins Spiel gebracht, eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit einzuführen …
Hahl: Arbeitstage könnten so auf zwölf Stunden ausgedehnt werden. Im Schichtbetrieb – bisher sind drei Mal acht Stunden die Regel – kommen dann bestimmt einige Unternehmen auf die Idee, zwei Mal zwölf Stunden einzuführen. Das ist doch nicht zu schaffen, zumal bei vielen Beschäftigten lange Pendelzeiten hinzukommen. Ich kenne Leute, die fahren pro Weg mehr als eine Stunde. Macht insgesamt mehr als 14 Stunden an einem Tag für die Arbeit! Und dann noch die entsprechende Leistung bringen? Und was ist, wenn in Betrieben mit schwacher Auslastung die Arbeitszeit verlängert wird? Dann wird am Ende ein Personalabbau produziert. Der Vorstoß ist nicht durchdacht und geht an der Realität vorbei.
Wo müsste man Ihrer Ansicht nach dringend anpacken?
Hahl: Deutschland gehört zu den Ländern mit den meisten Teilzeitbeschäftigten. Vor allem Frauen rutschen in die Teilzeitfalle, obwohl sie mehr arbeiten möchten oder könnten. Hier muss sich etwas ändern! Das setzt allerdings voraus, dass wir die Kinderbetreuung endlich auf die Reihe bekommen. Es mangelt an qualifiziertem Personal und es fehlen die notwendigen Investitionen. Und wissen Sie, was mich noch ärgert?
Nirgendwo anders reden Politiker und Manager ihr Land so schlecht wie hier in der Bundesrepublik Deutschland.
Was denn?
Hahl: Nirgendwo anders reden Politiker und Manager ihr Land so schlecht wie hier in der Bundesrepublik Deutschland. Sicher, es gibt Veränderungsbedarf in der ein oder anderen Frage. Aber nach wie vor ist Deutschland ein starker Exporteur und gut aufgestellt! Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind alles andere als faul. Dass es Menschen gibt, die das System ausnutzen und sich beispielsweise oft krankmelden, will ich gar nicht bestreiten. Das ist allerdings ein geringer Anteil.
Ein Großteil der Manager geht nicht mehr mit Visionen voran.
Obwohl Deutschland Ihrer Ansicht nach gut aufgestellt ist, haben Sie in einer Pressemitteilung vor Kurzem von einer „Rettung des Standorts“ gesprochen.
Hahl: Ein Großteil der Manager geht meiner Meinung nach nicht mehr mit Visionen voran. Mit Ideen für die Zukunft, mit neuen Produkten, in die man investieren könnte. Stattdessen dreht sich immer alles vorrangig um Personalabbau. Dass es anders möglich ist, zeigen doch die Vereinbarungen, die wir jüngst bei Wabco in Mannheim getroffen haben. Der gesamte Standort mit 350 Beschäftigten stand auf dem Spiel. Nur durch intensive Auseinandersetzungen und mit dem Einsatz der Belegschaft ist es gelungen, den ZF-Konzern von den Schließungsplänen abzubringen und alle Arbeitsplätze zu erhalten. Dazu haben wir die Möglichkeiten geltender Tarifverträge eingesetzt, die Werkzeuge zur Beschäftigungssicherung ausgeschöpft – und uns gefragt: Welche Produkte braucht der Standort, um fit für die Zukunft zu sein? Wabco war bisher zu sehr von der Radbremse abhängig. Künftig stellt sich das Unternehmen breiter auf, es werden noch andere Produkte an den Standort geholt und es wird in neue Technologien investiert.
Lassen Sie uns über die Konjunktur sprechen. Wie geht es den großen Mannheimer Metall- und Elektrounternehmen?
Hahl: Die Lage ist sehr unterschiedlich. Es gibt boomende Branchen – wie Caterpillar in Mannheim, dort ist die Produktion ausgelastet. Bei Daimler Buses sind die Auftragsbücher voll, bei den Trucks zieht das Geschäft langsam wieder an. Bei John Deere sind die Bauprogramme noch auf niedrigem Niveau. Einige Autozulieferer haben zu kämpfen. Kurzarbeit ist derzeit aber eher weniger ausgeprägt.
Laut Frühsommer-Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer plant jedes vierte Unternehmen, Arbeitsplätze abzubauen – weil der erhoffte Aufschwung auf sich warten lässt.
Hahl: Zumindest für die Metall- und Elektroindustrie in unserer Region ist das nicht unser Eindruck. Aber natürlich sind viele Unternehmen verunsichert, denken Sie nur an den Ukraine-Krieg oder die wirre Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump. Das schlägt auf die Stimmung, gerade in einer stark exportorientierten Wirtschaft. Die Regierung sollte Betriebe jetzt stärker entlasten, zum Beispiel bei den Energiepreisen. Und endlich einen klaren Kurs fahren bei Fragen wie: Wo wollen wir hin – Elektro oder Verbrenner? Das brächte etwas mehr Sicherheit, auch für Investitionen.
Einige Betriebe sind zu defensiv, die Transformation anzugehen.
Die Arbeitswelt wird sich durch Digitalisierung und Streben nach Klimaneutralität massiv verändern. Im Herbst 2023 hat die IG Metall eine Aktion gestartet, um gemeinsam mit den Betrieben die Transformation zu gestalten. Was hat sich seither getan?
Hahl: Durch die „Zukunfts-Checks“ sind in Betrieben wie Wabco und Daimler Truck gute Ideen entwickelt und umgesetzt worden. Aber tatsächlich bekommen wir die Arbeitgeber nicht flächendeckend dazu, mit uns in die Verhandlungen zu gehen – aus welchen Gründen auch immer. Aus Sicht der IG Metall sind einige Betriebe zu defensiv, die Transformation anzugehen. Vor allem sollten sie die Beschäftigten mehr beteiligen, anstatt für irgendein Beratungsunternehmen einen Haufen Geld aus dem Fenster zu werfen.
Die neue Koalition will sich mit einem Bundestariftreuegesetz beschäftigen. Es soll sicherstellen, dass öffentliche Aufträge vorrangig an Unternehmen vergeben werden, die an Tarifverträge gebunden sind. Wie finden Sie das?
Hahl: Ich finde es außerordentlich gut. Denn es kann nicht sein, dass öffentliche Aufträge an Unternehmen gehen, die ihren Beschäftigten nicht das zahlen, was ihnen zusteht.
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