Mannheim. Dass Lehrlinge in der Mittagspause für die Gesellen Bier und Fleischkäsebrötchen holen müssen - meine Güte das ist schon eine Ewigkeit her. „In einem Betrieb müssen Sie heutzutage die Auszubildenden natürlich genauso behandeln wie die anderen Beschäftigten. Da darf es keine Zweiklassengesellschaft geben“, sagt Manfred Schnabel. Der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar muss es ja wissen, denn er leitet auch noch ein Unternehmen.
Allerdings gibt es in der Praxis schon gewisse Unterschiede. „Bei uns kann sich jeder die Arbeitszeit aussuchen, die Belegschaft muss sich nur einigen“, sagt Schnabel. Zu dieser Flexibilität, die die Beschäftigten in einem modernen Betrieb einfordern, gehört natürlich auch das Homeoffice, das sich seit der Corona-Pandemie in der Berufswelt durchgesetzt hat.
Homeoffice verträgt sich nicht mit Ausbildung
Schnabel hat da aber mit Blick auf die Ausbildung große Bauchschmerzen: „Die duale Ausbildung leidet unter dem Homeoffice in einem Umfang, den ich mir nicht hätte vorstellen können. Mann kann einen 17-Jährigen nicht zu Hause arbeiten lassen, der muss das ja erst lernen“, sagt Schnabel. Und natürlich bringt es dem Auszubildenden wenig, wenn sie jeden Tag in den Betrieb gehen, die Kolleginnen und Kollegen aber alle im Homeoffice sitzen.
Dieses Problem hat Klaus Hofmann, Präsident der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald weniger. „Ein Zimmermann kann ohnehin nicht im Homeoffice arbeiten“ sagt er. Dennoch haben die jungen Menschen, die sich für eine Ausbildung im Handwerk entscheiden, nicht nur Lust, in die Hände zu spucken zwecks Steigerung des Bruttoinlandsprodukts. Auch sie legen natürlich einen immer größeren Wert auf die Work-Life-Balance.
Das ändert aber nichts daran, dass sie in den vergangenen Jahren auch höhere materielle Ansprüche stellen und mehr Geld verdienen wollen. „Auch im Handwerk kann man aber gutes Geld verdienen, das gilt, anders als viele glauben, auch für Berufe wie den Fleischer“, sagt Hofmann.
Manche Bäckereien in Mannheim würden inzwischen nicht mehr um zwei Uhr in der Früh anfangen, sondern erst um sechs, damit sie ihre Lehrstellen besetzen können. Das alles ändert aber nichts daran, dass diese Ausbildungsberufe die Sorgenkinder im Handwerk bleiben. Im Kammergebiet wurden bis Ende Mai 2024 nur wenige Neuverträge für Bäcker (fünf) und Fleischer (drei) abgeschlossen. Zum Vergleich bei den Lieblingsberufen im Bereich Metall und Elektro waren es 270.
Obwohl die Arbeitgeber händeringend nach Lehrlingen suchen, werden auch im laufenden Ausbildungsjahr aber viele Stellen unbesetzt bleiben. Im Handwerk sind es etwa 300, bei den IHK-Ausbildungsberufen rund 1000. Die Zahlen sind vergleichbar, weil es in der Industrie und im Handel mit 170 mehr Ausbildungsberufe als im Handwerk gibt.
Aufwärtstrend nach erheblichem Corona-Einbruch
Obwohl viele Betriebe zu wenige Auszubildende an Bord haben, sieht Hofmann von der Handwerkskammer „eine positive Entwicklung mit einem Aufschwung bei den Ausbildungszahlen insgesamt und einem deutlichen Plus bei den neu abgeschlossenen Lehrverträgen“. Zum Stichtag wurden nach Hofmanns Angaben 506 Auszubildende eingestellt - ein Wachstum von 12,4 Prozent.
„Damit verzeichnen wir nun bereits im dritten Jahr einen Aufwärtstrend nach dem erheblichen Corona-Einbruch“, so Hofmann, der davon ausgeht, dass noch in diesem Jahr der Stand vor der Pandemie erreicht wird.
Nicht ganz so stark war das Wachstum bei den IHK-Berufen. Dort wurden zum Stichtag 1638 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen - 7,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders legten die elektrotechnischen Berufe mit 27,4 Prozent zu, weniger dagegen die Metallberufe. „Hier spiegelt sich ein Stück weit die digitale und ökologische Transformation wider. Fachkräfte in diesem Bereich sind besonders gefragt“, sagt Schnabel.
Manche Unternehmen bekommen gar keine Bewerbungen
IHK-Präsident Schnabel verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Wahl der Lehrstelle noch immer „stark geprägt ist von Elternhaus und der Schule“. Demnach haben es neuere Berufe wie zum Beispiel der Kaufmann im E-Commerce-Bereich oder der Fachinformatiker tendenziell schwerer sich durchzusetzen, weil sie den Eltern und Lehrern nicht so geläufig wie etwa der Einzelhandelskaufmann.
„Dabei gibt es in diesen Bereichen einen riesigen Bedarf, der den Bewerbern große Chancen bietet“, so Schnabel.
Dass auch in diesem Jahr viele Lehrstellen frei bleiben, liegt natürlich daran, dass immer weniger Nachwuchs da ist, der deshalb die große Zahl der Babyboomer nicht ersetzen kann. Aber es bleiben auch Potenziale unerschlossen. Jeder Fünfte verlässt die Schule ohne Abschluss.
Mangelnde Intelligenz oder Faulheit - mit solchen Klischees kommt man aber nicht weiter. „Die Ansprüche der Betriebe sind ohnehin gesunken. Es kommt ja kaum mehr eine Bewerbung ohne Rechtschreibfehler rein“, sagt Claudia Orth von der Handwerkskammer. Und manche wären froh, wenn überhaupt welche in der Post oder im Mail-Fach landet. Bei fast einem Drittel der Betriebe war das nach einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer der Fall.
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