Unternehmen in der Region

Mannheimer Avendi sucht Pflegekräfte sogar in Indien

Die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland braucht viel Geduld und gute Vorbereitung bei den Unternehmen. Es gilt, sprachliche und kulturelle Hürden zu überwinden - damit hat auch Avendi einige Erfahrungen gemacht

Von 
Stefanie Ball
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Mannheim. Wenn der Mannheimer Konzern Diringer&Scheidel Fachkräfte für seine Pflegeheime und ambulanten Pflegedienste sucht, dann findet er diese unter anderem im indischen Kerala. Der kleine indische Bundesstaat stellt jährlich insgesamt mehr als 8000 Arbeitskräfte für den Health Care Sektor, den Gesundheitssektor bereit, die nicht alle einen Job im eigenen Land finden können.

Doch so einfach, wie das klingt, ist es in der Praxis nicht. Ein- bis anderthalb Jahre dauert es, ehe die Pflegefachkraft in einem Mannheimer Pflegeheim eingesetzt werden kann. „Der indische Berufsabschluss wird in Deutschland nur nach einer Anerkennungsprüfung und gegebenenfalls dafür nötigen Lehrgängen anerkannt“, erklärt Susanne Frank von der Avendi Senioren Service GmbH. Das bedeutet, die Interessenten müssen wieder oder weiter die Schulbank drücken, mit Deutschkursen und pflegerischer Wissensvermittlung. Vor allem die Sprache stelle eine hohe Hürde dar, wer das sogenannte B2-Niveau nicht erreicht, erhält kein Visum.

Fachkräftemangel

 

  • Ohne Zuwanderung würde das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland bis 2035 um geschätzt sieben Millionen Menschen sinken.
  • Mehr als die Hälfte der Betriebe sehen laut einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags im Fachkräftemangel eine Gefahr für ihre Wertschöpfung. Viele fürchten, ihr Angebot langfristig einschränken oder sogar Aufträge ablehnen zu müssen.
  • Laut Bundeswirtschaftsministerium bestehen in 352 von 801 Berufsfeldern Engpässe.
  • Am größten sind die Lücken im Bereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung. Die meisten Arbeitskräfte fehlten laut Institut der Deutschen Wirtschaft 2023 in der Kinderbetreuung und der Erziehung. 20 000 Stellen konnten dort nicht besetzt werden. Größer wurden die Engpässe zuletzt bei Bus- und Straßenbahnfahrern. sba

Wichtig zudem: Die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Flughafen abzuholen und nach Mannheim zu bringen, reicht nicht. „Die Neulinge sollen sich in ihrer neuen Heimat auch willkommen fühlen“, sagt Frank. Dabei sei viel Begleitung und Unterstützung nötig, von Behördengängen über die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bis hin zu wichtigen Anlaufstellen wie Ärzten, Apotheken und indischen Läden. Immerhin, zehn Inderinnen und Inder arbeiten inzwischen für Avendi in Mannheim, bislang scheiterte nur ein Interessent : Er hatte die Deutschprüfung nicht bestanden.

„Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu vermitteln, geht nicht von heute auf morgen“, warnt Marcel Schmutzler von der ZAV. Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung mit Sitz in Bonn gehört zur Bundesagentur für Arbeit und berät Unternehmen, die Fachkräfte im Ausland anwerben wollen. Auch Diringer&Scheidel nutzt neben der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) die ZAV als Recruiting-Partner, wenn sie in Indien auf Arbeitnehmersuche ist.

Die Anwerbung aus EU-Ländern gestaltet sich einfacher

Kompliziert ist die Fachkräfte-Anwerbung vor allem deshalb, weil die Person ein Visum mit einem Aufenthaltstitel benötigt. Und daran geknüpft sind Voraussetzungen wie ein Zertifikat über das deutsche Sprachniveau sowie Anerkennungen über die Berufsabschlüsse. „Im Zweifel muss nachqualifiziert werden, und das allein kann einige Monate dauern“, erklärt Schmutzler. Einfacher ist es bei der Anwerbung aus EU-Ländern, denn hier gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Einzige Ausnahme: reglementierte Berufe wie Ärzte, Pflegekräfte, Lehrer, Erzieher. „Da bleibt eine inhaltliche Vorbereitung notwendig.“

Das Thema Sprache bleibt aber auch dann ein zentraler Faktor. „Vor allem in der ersten Zeit ist das eine große Herausforderung“, sagt Verena Specker, Ansprechpartnerin für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse bei der IHK Rhein-Neckar.

Ein Vorteil sei, wenn es im Team bereits Mitarbeiter gibt, die dieselbe Sprache sprechen oder einen ähnlichen Weg gegangen sind. „Leider ist es nicht immer einfach, ein passendes Sprachkursangebot zu finden – je nach Arbeitszeit und -ort“, so Specker.

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Ein anderes Thema sind die Berufsbilder. Die unterscheiden sich laut Schmutzler häufig sehr stark, so dass eine genaue Aufklärung über den Einsatz im deutschen Unternehmen notwendig ist. Probearbeiten ist der Regel nicht möglich, so Verena Specker von der IHK, alternativ könnten die Betriebe bitten, Werkstücke zu schicken oder „live“ zu arbeiten.

Dazu kommen kulturelle Besonderheiten sowie das Wissen darüber, dass Deutschland nicht nur aus Großstädten besteht, sondern aus viel plattem Land. „Das kann zu Erwartungskonflikten führen“, weiß Schmutzler. Das Motto lautet deshalb auch: finden und binden. Die Menschen müssen sich wohlfühlen in Deutschland, und sie müssen sich zurechtfinden. „Ohne intensive Betreuung funktioniert das nicht.“ Umgekehrt müssen auch die eigenen Mitarbeitenden einbezogen werden, wenn eine Fachkraft aus dem Ausland ins Unternehmen kommt.

Trotz bester Vorbereitung bleiben kleine kulturelle Missverständnisse im Alltag nicht aus. So erzählt Susanne Frank, dass es in Indien üblich sei, jemanden, der erkrankt war, nach seiner Rückkehr „auszufragen“. Kolleginnen und Kollegen empfanden es also als unhöflich, dass sich niemand detailliert nach ihrem Befinden erkundigte, als sie an den Arbeitsplatz zurückkehrten. Für die deutschen Pflegekräfte war es demgegenüber irritierend, wie groß das Interesse der indischen Kollegen an der Genesung war.

Freie Autorin

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