Mannheim. Den Weg zum Trainingszentrum der Rhein-Neckar Löwen kennt Uwe Gensheimer nicht nur auswendig. Die Vereinslegende des Handball-Bundesligisten würde die Strecke nach all den Jahren beim zweifachen deutschen Meister vermutlich sogar mit verbundenen Augen fahren.
Tausende Male hat er die Halle in Kronau schon angesteuert. Doch an diesem einen besonderen Tag im März ist eben nicht alles wie sonst. Irgendetwas ist anders. Und zwar nicht der Weg, sondern Gensheimers Gefühl.
Gensheimers erstes Mannschaftstraining nach vielen Monaten
Sein Handball-Herz schlägt höher. Noch immer. Obwohl der ehemalige Kapitän der deutschen Nationalmannschaft sehr viel gewonnen und fast alles erlebt hat. Doch die tiefe Liebe, die leidenschaftliche Hingabe zu seinem Sport ist noch immer riesengroß.
Erst recht nach einer langen Pause wegen einer komplizierten Knieverletzung. Weshalb der 37-Jährige tief in seinem Innersten eine große Vorfreude auf das spürt, was gleich kommt. Nämlich sein erstes Mannschaftstraining seit vielen, vielen Monaten.
Belohnung nach einer schweißtreibenden Reha
„Training am Sonntagmorgen um 10 Uhr, da war ich motivierter als die anderen Jungs“, scherzt der Olympia-Dritte von 2016, der sich unter normalen Umständen an einem Wochenende auch etwas anderes vorstellen kann. Doch für ihn gibt es in diesem Augenblick gar nichts Schöneres. Im Gegenteil: Dieser Moment gleicht nach der schweißtreibenden Schufterei in der Reha einer Belohnung. Es sei ein weiterer „Meilenstein“ erreicht, sagt Gensheimer : „Hoffentlich der letzte.“ Und zwar auf seinem langen Weg zurück, versehen mit einigen Etappenzielen, die zum Teil ganz banal wirken, umgekehrt aber auch die Schwere seiner Verletzung belegen.
Manchmal freue ich mich, dass Uwe zurück ist. Und manchmal auch nicht
Irgendwann, blickt der Linksaußen zurück und lacht, habe er sich sogar gefreut, wieder joggen gehen zu dürfen: „Das gehörte vor der Verletzung eher nicht zu meinen Favoriten.“ Doch wenn man lange in seiner Bewegung eingeschränkt ist, gewinnen alltägliche, ganz kleine Dinge eine größere Bedeutung. Man weiß sie zu schätzen.
Und so folgt ein Schritt nach dem anderen. Es geht voran. Zwar langsam. Aber kontinuierlich. Bis zu jenem Tag, als der Mannheimer wieder komplett ins Training einsteigt – und recht schnell einen Teamkollegen in den Wahnsinn treibt.
„Manchmal freue ich mich, dass Uwe zurück ist. Und manchmal auch nicht“, flachst Torwart Mikael Appelgren, der gegen Gensheimer im Siebenmeter-Wettbewerb antritt und den Kürzeren zieht, wie der Schwede zugibt: „21 von 23 Würfen hat Uwe reingemacht. Danach musste ich aufhören, ich war zu müde.“
Und vermutlich auch ein wenig frustriert. Weil der Rückkehrer Dinge draufhat, die andere nicht beherrschen und auch nicht lernen werden. Denn dieses Gefühl für den Ball ist eine Gabe. Ein Geschenk. Gensheimers Zauberhand funktioniert also nach wie vor. Sie steht für Kunst und Spektakel. Doch das Knie macht einfach nicht mehr richtig mit.
Große Ungewissheit: Wie endet Gensheimer Karriere?
Rückblick: Im Sommer 2023 wird der waschechte Mannheimer operiert. Das Kreuzband und der Innenmeniskus sind beschädigt. Ein Eingriff ist unumgänglich. Und eine lange Zwangspause absehbar. Gepaart mit einer Portion Ungewissheit und der entscheidenden Frage: Wird er nach dieser schweren Verletzung jemals wieder spielen?
Oder endet eine der größten Karrieren im deutschen Handball auf diese brutale, tragische, ja schlicht ungerechte Art und Weise? Gensheimer kennt die Antwort damals nicht. Er hört aber auf sein Kämpferherz und nimmt eine Tortur auf sich, die hin und wieder so viel Freude bereitet wie das Lernen von Latein-Vokabeln. Doch es geht nicht anders. Er weiß das selbst am besten. Und zwar aus eigener Erfahrung. Denn all das brachte ihn schon einmal nach einer schweren Verletzung zurück.
Im November 2012 reißt bei dem Rechtshänder die Achillessehne. Die Nachricht ist ein Schock – und der Beginn eines irren Wettlaufs gegen die Zeit. Denn beim Final Four im EHF-Pokal im Mai 2013 will er wieder dabei sein. Es ist ein ehrgeiziger, ein ambitionierter Plan, Aber am Ende eben auch einer, den er erfolgreich in die Tat umsetzt. Und der mit dem ersten Titelgewinn der Mannheimer endet. Klingt kitschig. War aber so.
Profi-Handball: Der jahrelange Raubbau
Im Sommer 2023 ist es allerdings kein Finale, das Gensheimer als ganz konkreten Comeback-Zeitpunkt ins Auge fasst. Er realisiert allerdings, dass es schwierig werden könnte mit der Fortsetzung seiner einzigartigen Laufbahn. „Es war mein Ziel, mich auf dem Feld verabschieden zu können.“ Dieser Gedanke treibt ihn an. Und zwar in dem vollen Bewusstsein, dass „es für mich schwierig wird, langfristig auf konstant hohem Niveau Handball zu spielen“. Es geht ihm aber darum, sich noch einmal zu zeigen. Und um ein würdiges Ende, nachdem der jahrelange Raubbau am eigenen Körper seine Spuren hinterlassen hat.
Europapokal, Nationalmannschaft, Bundesliga – der Handball mit seiner irren Belastung lässt seine Ausnahmekräfte schneller altern. Irgendwann wollen die Knochen, Gelenke und Bänder einfach nicht mehr so, wie sie sollen. Doch einfach so zu gehen, quasi durch die Hintertür und nicht auf der großen Bühne – das passt nicht zu Gensheimer. Weshalb er vor etwa neun Monaten all die Strapazen in der Reha noch einmal auf sich nimmt.
Steht Gensheimer gegen die Füchse Berlin im Kader
Der Mannschaftssportler wird zum Einzelkämpfer. Verbunden mit der Hoffnung – und nicht mit der Garantie – auf einen Abschied, wie er ihn sich vorstellt. Und wie er ihn ohnehin verdient. Wonach es nun tatsächlich stark aussieht. Was vielleicht nicht sein größter, sehr wohl aber sein letzter Sieg ist. Und ein bedeutender noch dazu.
Möglicherweise gehört Gensheimer schon am Donnerstag (20 Uhr) im Ligaspiel gegen die Füchse Berlin zum Löwen-Kader. Eventuell auch erst in einer der folgenden Partien. Es wird nichts überstürzt. Doch er erreicht sein Ziel, ehe im Juni seine Laufbahn als Spieler endet.
Gensheimer wird Sportchef bei den Löwen, was übrigens auch etwas über ihn und seinen Charakter aussagt. Denn wenn sich beim Schließen einer Tür gleich eine neue öffnet, kann man nicht allzu viel falsch gemacht haben. Und das gilt bei ihm auf jeden Fall.
Gensheimer wird kurz nach Comeback Löwen-Sportchef
Von einem dreijährigen Intermezzo bei Paris Saint-Germain (2016-2019) einmal abgesehen, trägt Deutschlands vierfacher Handballer des Jahres seit 2003 das gelbe Trikot. Er ist die Identifikationsfigur schlechthin, steigt vor 19 Jahren mit dem Club in die Bundesliga auf, holt 2013 den Europapokal und 2016 die Meisterschaft. 2023 folgt als Krönung noch der Pokalsieg.
All diese Erfolge sind unweigerlich mit seinem Namen verbunden. Und in seiner neuen Funktion als Sportchef möchte er künftig dazu beitragen, dass sein Verein weitere Titel feiert. So richtig intensiv beschäftigt habe er sich mit seiner künftigen Aufgabe allerdings noch nicht, gibt der 37-Jährige zu. Sein kompletter Fokus galt zuletzt dem Kampf ums Comeback. Um selbstbestimmt zu gehen. Erhobenen Hauptes. Als Legende. Und vor allem auf dem Feld.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Uwe Gensheimers Rollenwechsel: Einfach nur logisch