Göppingen. Juri Knorr setzt zu seinem letzten Sprint an diesem Abend an. Und im Schlepptau hat er gefühlt 100 Kinder. Die wollen ein Bild mit oder ein Autogramm von ihm, doch der Spielmacher der Rhein-Neckar Löwen hat zunächst etwas anderes im Sinn und ein klares Ziel vor Augen: nämlich den Bus des Handball-Bundesligisten. Wer zahlt schon gerne in die Mannschaftskasse?
Nachdem der 22-Jährige seine Tasche im Fahrzeug verstaut hat und somit pünktlich ist, nimmt er sich auf dem Parkplatz der Göppinger EWS Arena dann aber doch noch ein wenig Zeit für die vielen Wünsche. Knorr lächelt in die Kameras, auch wenn es in diesem Moment tief in seinem Innersten vermutlich ein wenig anders aussieht. Denn das 27:27 (12:11) bei Frisch Auf Göppingen zum Start in die neue Saison fühlt sich trotz des späten Ausgleichs durch David Móré wie eine Niederlage an. „Wir sind nicht cool genug geblieben“, ärgert sich Knorr.
Nach Spiel gegen Frisch Auf Göppingen: Löwen-Trainer Hinze sieht "viel zu viele Fehler"
Das sieht auch Trainer Sebastian Hinze so. „Obwohl wir am Ende noch das Unentschieden holen, verlieren wir hier einen Punkt“, meint der 44-Jährige, der von seiner Mannschaft „viel zu viele Fehler“ sieht. Mit ein wenig Abstand zum zuvor Gesehenen spricht der gebürtige Wuppertaler von „Sequenzen, in denen wir im Angriff sehr sicher spielen“.
Womit eigentlich schon alles gesagt ist. Denn im Prinzip haben die Mannheimer die Begegnung bei biederen Göppingern trotz halbwegs komfortabler Führungen (10:7/22. Minute, 21:17/46., 26:23/54.) nie im Griff, weil sie mindestens genauso wenig mit dem Ball anzufangen wissen wie ihr Gegner.
Besonders im Rückraum geht kaum etwas und es zeigt sich: Wenn Spielmacher Knorr mal einen schlechteren Tag erwischt (vier Tore bei zwölf Versuchen), wird es in der aktuellen Kaderkonstellation recht schwierig. Gustav Davidsson wirft kein einziges Mal auf das Tor und Niclas Kirkeløkke befindet sich offenbar auch in seiner fünften Löwen-Saison noch in einer Findungsphase. Immerhin stabilisiert sich in Göppingen Jon Lindenchrone nach ebenfalls schwacher erster Halbzeit.
Bei den Rhein-Neckar-Löwen fehlen die Spielmacher
Doch es fehlt einer wie Halil Jaganjac, der einfache Tore besorgen, den Mannheimern nach seiner schweren Schulterverletzung gerade aber nur in der Abwehr helfen kann - und dort eine große Stütze ist. Allerdings wird der Kroate im Tempospiel vermisst. Wie auch der ebenfalls verletzte Olle Forsell Schefvert. Ohne die beiden findet der Pokalsieger kaum zu seinem Stil.
Dass es in Göppingen dennoch die große Chance auf den Sieg gibt, liegt an Torwart Joel Birlehm. Der zeigt bei Frisch Auf in der ersten Halbzeit 14 Paraden, trotzdem führen die Mannheimer nur 12:11. Was zwei Deutungen zulässt: Man kann sagen, wenn eine Mannschaft einen derart überragenden Schlussmann hat, dann muss sie deutlich höher führen.
Es gibt aber auch die andere Lesart. Und die besagt: Wer eine solch überragende Torwart-Leistung hat und trotzdem fast verliert, der muss im Angriff ziemlich viel falsch machen. Was auf die Löwen in Göppingen zutrifft.
In den letzten dreieinhalb Minuten vor dem Seitenwechsel packt Birlehm fünf Paraden aus. Dem Pokalsieger bietet sich entsprechend mehrfach in Ballbesitz die Chance, den 12:10-Vorsprung auszubauen. Doch stattdessen gehen die Badener mit einem 12:11 in die Pause. Nicht umsonst fordert Birlehm deshalb nach dem Schlusspfiff „mehr Verantwortung“ von seinen Kollegen ein.
Was er damit sagen will, ist klar: Solch leichtfertige Ballverluste darf sich eine Bundesligamannschaft keinesfalls erlauben. Schon gar nicht in dieser Vielzahl. Was letztlich am Donnerstagabend in der EWS Arena zu etwas führt, was man sonst nur vom Bungeespringen kennt. Die spielerisch limitierten Göppinger stürzen immer mal wieder ungebremst in die Tiefe Richtung Abgrund, ehe sie in schöner Regelmäßigkeit von einer Art Gummiseil namens Rhein-Neckar Löwen zurück in die Partie geholt werden.
Auftritt gibt Hinze zu denken
„Unsere schlechten Phasen waren richtig schlecht“, kritisiert Hinze, der mit seiner Mannschaft bereits wieder am Sonntag (16 Uhr/SNP Dome Heidelberg) gegen den nordmazedonischen Club Vardar Skopje im Qualifikations-Rückspiel zur Gruppenphase der European League gefordert ist. Das erste Duell ging mit 34:25 an die Mannheimer, das Weiterkommen ist eine Formsache.
Der Trainer räumt allerdings ein, dass ihm der Auftritt von Göppingen ein wenig zu denken gibt. Denn aus dem Katalog an Unzulänglichkeiten im Angriff ergibt sich eine lange Liste an Aufgaben: „Ich hatte gehofft, dass wir weiter sind. Wir müssen aus diesem Spiel sehr viel lernen. Im Tempospiel und im Positionsangriff haben wir noch sehr viel Potenzial. Für uns waren zwei Punkte drin. Wir müssen so reif sein und den Anspruch haben, solch ein Spiel dann auch zuzumachen.“
Nun gehe es darum, mahnte Hinze, „ganz schnell Stabilitätsfaktoren zu schaffen. Wir spielen in der Handball-Bundesliga.“ Und in der werden bekanntlich extreme Nachlässigkeiten umgehend bestraft. Selbst von wahrlich nicht überragenden Göppingern.
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