Unterkunft

Wie es in der Känguruinsel läuft

155 Menschen aus der Ukraine sind in Groß-Rohrheim angekommen. Es ist ruhig und sauber – und bedrückend.

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Corinna Busalt
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Essensausgabe in der „Känguruinsel“: Es gibt Würstchengulasch mit Nudeln für die ukrainischen Bewohner. 155 Personen leben inzwischen dort. © Berno Nix/sm

Bergstraße. Bohdana und Kiryl vertreiben sich die Zeit mit dem Tablet. Die Sechsjährige und ihr neunjähriger Bruder leben seit Anfang August in Deutschland. Vor zwei Wochen sind sie aus der Zeltstadt in Bensheim aus- und in die Känguruinsel Groß-Rohrheim gezogen. Im ehemaligen Indoorspielplatz hat der Kreis eine Unterkunft für 300 Geflüchtete eingerichtet.

Mit Bauzäunen und Planen sind die einzelnen Parzellen voneinander abgetrennt, darin stehen Stockbetten und kleine Tische. Den Eingang haben alle mit einer Decke abgehängt, um etwas mehr Privatsphäre zu schaffen. Um die Mittagszeit ist es recht ruhig in der Halle.

Matthias Schimpf (Grüne): „Es verbreiten sich schnell Gerüchte“

„Viele Kinder sind in Bensheim in der Schule, einige Erwachsene besuchen tagsüber Kurse“, erzählt Lidia Akhtyamova. Sie spricht deutsch, russisch und englisch und arbeitet als Dolmetscherin vor Ort. Tatsächlich macht sie viel mehr. Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf (Grüne) hat sie schon als Leiterin der Unterkunft abgespeichert. Denn die junge Frau erledigt Formalitäten, füllt Anträge aus und beantwortet Fragen. Dabei hilft sicherlich ihre ruhige Art.

Der Geruch von Würstchen-Gulasch und Nudeln verbreitet sich in der Halle. Jeder kann selbst entscheiden, wann er zum Essen geht. Es fänden ohnehin nicht alle gleichzeitig Platz an den Tischen. Ab und zu isst Schimpf mit.

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„Es verbreiten sich immer ganz schnell falsche Gerüchte“, sagt er – und: „Das Essen ist gut.“ Zum Glück verfüge die Känguruinsel über eine große Küche mit Kühlräumen und Spülstraße. So können Frühstück und Abendessen vor Ort gerichtet werden. Nur das warme Mittagessen wird geliefert. Selbst kochen dürfen die Bewohner aber nicht – dafür gebe es deutlich zu wenig Herdplatten.

Schimpf: Nicht „überbetreuen“

Schimpf fühlt sich wohl in der Halle. „So sauber und ruhig – ganz anders als in der Zeltstadt von Bensheim.“ Nebenan wischt eine Frau den Tisch ab. Er hält es für ganz wichtig, die Menschen aus der Ukraine zusammen unterzubringen.

In Bensheim geblieben sind die Geflüchteten aus so genannten Drittstaaten, also Türkei, Afghanistan, Syrien, Iran oder Eritrea. Bei ihnen handle es sich vor allem um Asylbewerber mit Residenzpflicht, die den Kreis nicht verlassen dürfen. „Die Ukrainer dagegen können sich frei bewegen und erhalten Bürgergeld vom Jobcenter.“ Sie gehen zum Netto einkaufen, wenn ihnen was fehlt. Zwei besitzen auch ein Auto, weil sie mit ihrem Wagen geflüchtet sind.

In einer Ecke stapeln sich eingerollte Matratzen. Auch Bettzeug erhalten die Neuankömmlinge bei ihrer Ankunft. Der Kreis bringt die Menschen zwar unter, doch die Kosten für die Verpflegung zahlen sie selbst, so Schimpf. Das werde vom Bürgergeld abgezogen. Beim Rundgang zeigt er nicht nur die große Halle, das Büro von Lidia Akhtyamova und das des Sicherheitsdienstes.

Liudmyla Svavoliuk lebt mit Kiryl (l.) und Bohdana in Groß-Rohrheim. © Nix/sm

Im Obergeschoss gehen wir durch einen Raum mit Steckdosen, um Handy und Co. aufzuladen, in einen weiteren Schlafraum, der noch nicht belegt wurde. Nur die Bauzäune stehen schon. „Hier können wir weitere Menschen unterbringen – vielleicht die Familien mit kleinen Kindern.“ Für sie sollen noch Spielgeräte ankommen. „Damit sie sich draußen die Zeit vertreiben können, wenn es jetzt wieder wärmer wird.“ Von den 150 Personen leben gut 30 Kinder in der Halle.

Wer in die Schule, zum Sprach- oder Integrationskurs möchte, nimmt den Linienbus. Extra abgeholt werde niemand. „Wir dürfen die Menschen nicht überbetreuen. Sie schaffen das“, betont er. Lidia Akhtyamova helfe weiter, zudem gebe es alle wichtigen Informationen schriftlich in der Landessprache.

„Viele, die in Bensheim waren, kennen sich auch schon aus“, sagt Schimpf. Sie nickt. Manche seien bereits seit acht Monaten in Deutschland. Es kommen immer noch neue an. „Gestern waren es 14“, sagt Lidia mit Blick auf den Bildschirm. 155 Menschen sind nun insgesamt in der Känguruinsel. Jeder hat eine elektronische Karte, die beim Ein- und Ausgang erfasst wird.

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dpa/cos/sm
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„Wenn jemand Post bekommen hat, wird er darüber informiert“, sagt Schimpf. Umgekehrt fällt dem Sicherheitspersonal auf, wenn jemand fehlt. Die beiden Männer der Security wirken gelassen. „Die Kinder kommen jeden Morgen angerannt und umarmen mich“, erzählt der eine froh. Manchmal gebe es Streit, vor allem wenn getrunken wurde, aber insgesamt sei es viel entspannter als in Bensheim.

Doch nicht alles ist besser in Groß-Rohrheim. Bohdana und Kiryl vermissen ihre Freunde aus Bensheim. „Wir hatten uns eingelebt da, in der Nähe war ein großer Spielplatz“, sagt ihre Mutter Liudmyla Svavoliuk. Die Integrationsklasse in der Schule können ihre Kinder gerade nicht besuchen, da die Ummeldung noch läuft. Der Vater ist in Cherson geblieben. „Er vermisst seine Familie sehr. Es ist so still im Haus“, übersetzt Lidia. „Es ist sehr gefährlich, wir können nicht heim“, sagt Liudmyla Svavoliuk leise. /sm

Redaktion Redakteurin des Südhessen Morgen und zuständig für die Ausgabe Bürstadt/Biblis

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