Unterbringung

Sollen die großen „Puffer-Unterkünfte“ zur Flüchtlings-Quote zählen – oder nicht?

Die Zuweisung von Flüchtlingen funktioniert laut der Kreisverwaltung insgesamt gut. Der Kreisbeigeordnete Schimpf betont: Integration ist die Aufgabe der Kommunen.

Von 
Thomas Tritsch
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In das frühere Bruchsee-Hotel in Heppenheim sollen demnächst 70 Flüchtlinge aus der Ukraine einziehen, weitere 70 sollen bis Mitte August folgen. © Dagmar Jährling/ü

Bergstraße. Als einziger hessischer Landkreis hatte die Bergstraße geflüchtete Menschen zunächst nicht auf die Kommunen verteilt, sondern selbst für deren Unterbringung gesorgt. Doch dann wurden die Ressourcen so knapp, dass seit Frühjahr auch die Städte und Gemeinden Flüchtlinge aufnehmen müssen. Diese Direktzuweisung erfolgt über einen Schlüssel, der als quantitative Größe die Gesamtbevölkerungszahl vor Ort berücksichtigt. Laut Landrat Christian Engelhardt funktioniere das bislang recht gut. „Wir arbeiten Hand in Hand mit den Kommunen.“

„Ein Gebot der Solidarität“

Die Bergsträßer SPD sieht das anders. Im Kreistag kritisierte die Fraktion am Montag, dass sich der Landkreis bei der Zuweisung nicht konsequent an der Einwohnerzahl der Kommunen orientiere und es zudem an der nötigen Transparenz hapere. Vor allem dürfe es bei der Verteilung der Menschen keine Rolle spielen, ob diese in Privatwohnungen, kommunalen Liegenschaften oder in vom Landkreis angemieteten Räumen unterkommen.

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Der sogenannte „Königsteiner Schlüssel“, der sich an Steueraufkommen und Bevölkerungszahl orientiert, sei konsequent anzuwenden - und die Großunterkünfte in Bensheim, Heppenheim, Lindenfels und Groß-Rohrheim müssten bei der Höhe der Zuweisung berücksichtigt werden, sagte Michael Helbig. Es sei ein Gebot der Solidarität, dass alle Kommunen gleich behandelt werden, so der Lindenfelser Bürgermeister.

Der für die Asyl- und Flüchtlingspolitik zuständige Dezernent Matthias Schimpf (Grüne) betonte, dass der Kreis anstrebe, vornehmlich solche Flüchtlinge an die Gemeinden zu vermitteln, die bereits einige Zeit in Deutschland lebten und daher auch über Sprachkenntnisse, Bleiberecht und Arbeitserlaubnis verfügten, um den Gemeinden auf diese Weise die Integrationsarbeit zu erleichtern.

Eine Ausnahme vom Quotenmodell

Dies sei Aufgabe in den Kommunen und könne vom Kreis nicht geleistet werden. Diese Menschen seien bei der Verteilerquote der Direktzuweisung vollständig zu berücksichtigen. Das forderten CDU und Grüne auch in einem gemeinsamen Antrag, der bei der Sitzung im Bürstädter Bürgerhaus ebenfalls diskutiert wurde. Ausgenommen vom Quotenmodell seien aber jene Menschen, die in den vom Kreis betriebenen Großunterkünften zur Erstunterbringung und späteren Verteilung leben, begründete Torsten Volkert (CDU).

Von großer Dynamik geprägt

Dies sei auch sinnvoll, so Schimpf, da an diesen Standorten - sogenannte „Puffer-Unterkünfte“ - eine große Dynamik zu verzeichnen sei. Die Belegungszahlen verändern sich ständig. „Man müsste die Quote wöchentlich neu berechnen“, so der Dezernent. Zudem wären im Falle einer Einbeziehung (Anrechnung) der Großunterkünfte, der Logik folgend, alle anderen Kommunen pro Quartal verpflichtet, mehr Menschen aufnehmen. Dies würden besonders Lampertheim, Viernheim und Heppenheim zu spüren bekommen.

Die Forderung der SPD, diese Notunterkünfte zu berücksichtigen, verändere in den meisten Kommunen zudem rein faktisch wenig bis gar nichts, so Schimpf weiter. Die Zahlen beispielsweise in Lindenfels (ehemaliges Luisenkrankenhaus) und in der Bensheimer „Zeltstadt“ blieben nahezu gleich.

Derzeit leben in Lindenfels 316 Menschen aus der Ukraine, die Bensheimer Großunterkunft ist aktuell mit 429 Personen belegt. In der ehemaligen „Känguruinsel“ in Groß-Rohrheim (ein ehemaliger Indoor-Spielplatz) sind es momentan 162. Demnächst sollen 70 Personen - Herkunft Ukraine - aus Groß-Rohrheim ins ehemalige Bruchsee-Hotel nach Heppenheim umziehen, das nach langer Hängepartie seit Freitag als weitere Unterkunft zur Verfügung steht. Bis Mitte August werden laut Schimpf weitere 70 folgen.

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Noch im Juli sollen 70 Ukrainer von der Zeltstadt nach Groß-Rohrheim verlegt werden, Anfang August will man den Umzug von rund 80 Syrern von Bensheim zum Container-Standort nach Bürstadt organisieren. Bis Mai konnten zusätzlich 66 Personen mit einem Bleiberecht in den Kommunen untergebracht werden, die zuvor in einer der Großunterkünfte gelebt hatten. Die weiteren Planungen hängen laut Kreisbeigeordnetem auch davon ab, wie sich die Lage hinsichtlich Migration und Zuweisung in den kommenden Wochen entwickeln wird. Man wolle „mit kühlem Kopf und warmem Herzen“ die Situation befriedigend lösen und Menschen in ihrer schwierigen Situation unterstützen, so Schimpf in Bürstadt.

Die FDP zieht ihren Antrag zurück

Im ersten Quartal dieses Jahres wurden dem Kreis Bergstraße 61 Personen pro Woche zugewiesen, insgesamt waren es 768 Menschen. Über 500 stammen aus der Ukraine. Derzeit rangiere die wöchentliche Quote wischen 35 bis 45 Personen, so Matthias Schimpf. Seit Anfang Mai wurden insgesamt 318 Menschen auf die Kommunen verteilt, davon 186 Personen mit einem Bleiberecht, die zuvor in Unterkünften des Kreises gewohnt hatten. 132 wurden direkt von der Erstaufnahmeeinrichtung an die Städte und Gemeinden verwiesen. Die zweitgrößte Gruppe nach der Ukraine stammt aus der Türkei, mit deutlichem Abstand gefolgt von Menschen aus Drittstaaten wie Syrien, dem Iran und aus Somalia.

Von 2469 Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leben (Stand: 23. Mai) mehr als 2036 in Gemeinschafts- oder Notunterkünften.

Dem Antrag von CDU und Grünen wurde mehrheitlich zugestimmt. Die FDP hatte ihren Dringlichkeitsantrag vom März dieses Jahres am Montag zurückgezogen, da er seine Wirkung erfüllt habe, so der Fraktionsvorsitzende Christopher Hörst (Heppenheim). Darin appellierten die Liberalen an den Kreisausschuss, den Landrat und den zuständigen Dezernenten, den Kreistag regelmäßig über die Flüchtlingssituation zu informieren - und zwar vor der medialen Öffentlichkeit. Letzteres schade der Transparenz und der Kommunikation zwischen Verwaltung und Gremium.

Laut Hörst habe sich in den letzten 15 Wochen aber sehr viel zum Positiven verändert: Der Informationsfluss Richtung Kreisgremien und Fraktionsvorsitzenden sei spürbar besser und häufiger geworden. „Genau das war unser Ziel“, so Hörst, der in diesem Kontext erneut eine kürzere Taktung des Kreistags anregte, um drängende Themen zeitnah diskutieren zu können. (tr)

Freier Autor

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