Ausländerbeirat

Die Zeltstadt in Bensheim wird als "Pufferunterkunft" weiter benötigt

Die Unterbringung von Flüchtlingen im Kreis Bergstraße ist ein komplexes Thema. Wie komplex, das erfuhren die Mitglieder des Ausländerbeirates Bensheim in der jüngsten Zusammenkunft im Sitzungssaal des Rathauses.

Von 
Jeanette Spielmann
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Die Zeltstadt auf dem Bensheimer Festplatz wird als „Pufferunterkunft“ für die Unterbringung von Geflüchteten weiterhin benötigt. Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf skizzierte im Ausländerbeirat die aktuelle Situation. © Thomas Neu

Bensheim. Die Unterbringung von Flüchtlingen im Kreis Bergstraße ist ein komplexes Thema. Wie komplex, das erfuhren die Mitglieder des Ausländerbeirates Bensheim in der jüngsten Zusammenkunft im Sitzungssaal des Rathauses. 90 Minuten lang führte der zuständige Kreisbeigeordnete und frühere hauptamtliche Bensheimer Stadtrat an alter Wirkungsstätte aus, warum die Thematik nicht so einfach ist. „Man muss auch den zweiten Satz hören, denn mit einem Satz ist es nicht erklärt“, so Schimpf.

Dafür zeigte sich das Gremium unter dem Vorsitz von Yvonne Dankwerth am Ende auch dankbar, denn in dieser verständlichen Ausführung sei ihnen die Thematik noch nicht erläutert worden.

Schimpf nahm diese Gelegenheit gerne wahr, denn auch er wird immer wieder mit Falschinformationen und unbegründeten Ängsten konfrontiert. So beispielsweise in einer kleineren Kommune, in der es im Rahmen einer Bürgerinformationsveranstaltung um etwa 30 aufzunehmende Personen ging. Die Reaktionen aus der Bevölkerung waren die üblichen Befürchtungen, die sich dann aber nach der Frage, wann die Flüchtlinge denn ankommen, in Luft auflöste. Sie waren schon seit sechs Wochen da.

Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 war auch im Kreis Bergstraße das Flüchtlingsaufkommen, das sich nach dem Höhepunkt 2015 inzwischen deutlich reduziert hatte, wieder stark angestiegen. Mitte des vergangenen Jahres wurde der Zustrom aus der Ukraine zwar weniger, aber es kamen auch wieder deutlich mehr Geflüchtete aus Drittstaaten.

Neuer Zustrom aus Drittstaaten

Als positiv erwies sich dabei, dass von den rund 2700 aus der Ukraine geflüchteten Menschen etwa die Hälfte dank der großen Unterstützung aus der Bevölkerung inzwischen in privaten Unterkünften untergekommen war. Dennoch sah sich der Kreis genötigt, bei zu erwartenden Zuweisungen von über 100 Personen pro Woche nach weiteren Immobilien oder Flächen zu suchen, was sich als ziemlich aussichtslos erwies.

Denn eventuell leer stehende Gebäude müssen mit hohem finanziellen Aufwand für die Aufnahme von vielen Menschen vorbereitet werden und frei Flächen müssen die erforderliche Infrastruktur mit Ver- und Entsorgungsleitungen aufweisen. Auch Turnhallen, wie beispielsweise die Werner-von-Siemens-Halle, die im Februar 2022 relativ schnell für die ukrainischen Flüchtlinge hergerichtet wurde, mussten erst mit den erforderlichen sanitären und räumlichen Einrichtungen sowie dem benötigten Personal für die Verköstigung, Security und Leitung ausgestattet werden. Auch die Möglichkeit, Wäsche zu waschen und zu trocknen musste in Containern im Außenbereich geschaffen werden.

Durch den neuen Zustrom aus den Drittstaaten musste die Zeltstadt in Bensheim, an deren Abbau schon gedacht worden war, nicht nur weiterhin als sogenannte „Pufferunterkunft“ dienen, ihre „Bewohner“ wurden auch nicht weniger, da ihre Verlegung in andere Unterkünfte nicht mehr funktionierte. Auch das sinnvolle Trennen von Gruppen mit unterschiedlichem Status (Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz und Leistungen nach SGB II/Bürgergeld wie für die ukrainischen Flüchtlinge) gelang nicht mehr.

Direktzuweisung unumgänglich

Im Gespräch mit den Kommunen machte der Kreisbeigeordnete im vergangenen November deutlich, dass er bis maximal Ende 2022 die Unterbringung der ankommenden Geflüchteten noch sicherstellen könne und danach auf die Möglichkeit der Direktzuweisung an die Kommunen zurückgreifen müsse. Denn inzwischen seien auch noch Menschen, die bereits 2015 angekommen seien und auch schon Bleiberecht hätten, immer noch in der Erstaufnahmeunterkunft, was eigentlich nicht sein sollte.

Hätte man schon früher von der Möglichkeit der Direktzuweisung Gebrauch gemacht, was aufgrund einer Vereinbarung mit den Kommunen durchaus möglich gewesen wäre, wäre die Situation deutlich entspannter, machte Schimpf eine einfache Rechnung auf: Bei einer Zuweisung von zwei Personen pro Kommune und Quartal wären das acht Personen pro Jahr und Kommune. Bei 22 Kommunen hätten die Erstaufnahmestätten im Kreis jährlich um 176 Personen entlastet werden können. Aber nichts sei geschehen.

Seit Mai dieses Jahres wendet Schimpf nun die Direktzuweisung auf der Basis eines entsprechenden Zuteilungsschlüssels an und der Annahme von 60 Personen, die dem Kreis pro Woche zugewiesen werden. Für Bensheim ergebe sich daraus eine Direktzuweisung von 117 Personen pro Quartal.

Insgesamt seien seit Mai auf diesem Weg 318 Personen im Kreisgebiet zugewiesen worden, davon 186 Menschen mit Bleiberecht. Hier äußerte er sich insbesondere kleineren Kommunen gegenüber sehr dankbar, die dem Kreis sehr entgegengekommen seien und ihr Soll sogar übererfüllt haben.

Bensheim als größte Stadt des Kreises habe aktuell noch ein Aufnahmesoll, aber man sei in guten Gesprächen. Auch unterstütze der Kreis die Kommunen bei der Nutzung von möglichen Unterkünften, wies der Kreisbeigeordnete zum Beispiel auf Immobilien in Gewerbegebieten hin, die genutzt werden könnten, da Unterkünfte nicht als Wohnung gelten würden.

Insgesamt sei es aber einfacher, Unterkünfte in kleinen Einheiten zu schaffen, machte Schimpf eine weitere Rechnung auf. Würde man den im vergangenen Jahr im Kreisgebiet aufgenommenen mehr als 4000 Geflüchteten nur zehn Quadratmeter an privat nutzbarer Fläche zuordnen, wäre dafür eine Unterkunftsfläche von 40.000 Quadratmetern nötig. Das entspricht etwa sechs Fußballfeldern.

Aktuell seien in der Bensheimer Zeltstadt 429 Personen untergebracht, was deutlich weniger sei, als noch vor sechs Wochen. Neben der Zeltstadt in Bensheim steht dem Kreis noch das Luisenkrankenhaus in Lindenfels für bis zu 350 Personen und seit Anfang des Jahres die „Känguruinsel“ in Groß-Rohrheim für bis zu 300 Personen zur Verfügung.

Ab kommender Woche werde das vom Kreis angekaufte und entsprechen umgebaut Bruchsee-Hotel in Heppenheim mit etwa 70 Personen belegt. Hier wurden kleinere Kücheneinheiten eingerichtet, damit sich die Bewohner selbst versorgen können. In Bürstadt im Gewerbegebiet Lächner werde aktuell ein Containerdorf für maximal 240 Personen aufgebaut, das vermutlich ab August belegt werden kann.

Aufgeräumt wurde vom Kreisbeigeordneten auch mit der Mär, Asylbewerber hätten freien Eintritt ins Schwimmbad und ähnliches mehr. Asylbewerber erhalten eine monatliche Leistung von etwa 410 Euro, dürfen nicht arbeiten, müssen das in der Unterkunft angebotene Essen bezahlen und dürfen sich nur im Kreisgebiet aufhalten (Residenzpflicht).

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