750 Jahre Stadtrechte

Neues Grusel-Musical begeistert das Publikum in Zwingenberg

Die Jubiläumseigenproduktion des Theater Mobile „Spuk in der Obergasse“ nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise in die Geschichte der Stadt und in das Reich der Geister.

Von 
Thomas Tritsch
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„Spuk in der Obergasse“ bietet Geister der Vergangenheit, Gespenstergeschichten und menschliche Dramen. © Thomas Neu

Zwingenberg. Die Geister der Vergangenheit sind schwer loszuwerden: in einem alten Haus an der Zwingenberger Obergasse hat sich das verbitterte Personal aus sieben Jahrhunderten versammelt, um eine alte Rechnung zu begleichen. In den gespenstischen Wesen spiegelt sich das personifizierte Leid aus Jahrhunderten voller Krieg, Pest und Zerstörung. Immaterielle Zeugen einer Siedlungsbiografie, die viele grausame Kapitel umfasst. In der neuen Eigenproduktion des Theaters Mobile bilden sie die Brücke in die Historie der Stadt, die in diesem Jahr 750 Jahre Stadtrechte feiert.

Ausverkauftes Haus spendet langen Applaus

„Spuk in der Obergasse“ ist eine gelungene Collage aus klassischer Gespenstergeschichte, Musical und Historienstück. Geschrieben und inszeniert von Danilo Fioriti, der die aufwendige Produktion mit 27 Darstellern, eigens komponierten Songs und einer abgestimmten Choreographie aus gegebenem Anlass auf die Bühne des Kellertheaters gebracht hat. Nach über einem Jahr Vorbereitung und intensiven Proben erlebte das Premierenpublikum am Samstagabend eine komplexe Story mit großem Ensemble, die trotz einer anspruchsvollen Erzählweise und einer ästhetisch facettenreichen Montage nicht den Draht zum Publikum verliert und gute zwei Stunden für beste Unterhaltung sorgt. Die Zuschauer im ausverkauften Theater spendeten langen Applaus und haben sich von der kurzweiligen Inszenierung buchstäblich „be-Geistern“ lassen.

Für „Spuk in der Obergasse“ hat der Regisseur und Autor Episoden aus der (zumeist) faktischen Geschichte Zwingenbergs mit einer spannenden Familiengeschichte verwoben und so historische Tatsachen mit einem fiktiven Plot verbunden. Die Handlungsbögen sind auf geschickte Art und Weise miteinander verwoben und nehmen den Zuschauer mit auf eine fantastische Reise ins Reich der Geister, das parallel zur materiellen Welt eine Brücke zwischen Dies- und Jenseits bildet. Eine Zwischenwelt, die den meisten verborgen bleibt. Die kleine Anna kann mit dieser Sphäre kommunizieren. Auf diese Weise öffnet sich ihr die wechselvolle Geschichte eines alten Hauses, in das sie 1993 mit ihrer Familie einzieht – nicht ahnend, dass in den Stammbaum ihrer Sippe einst ein alter Fluch hinein gemeißelt wurde.

Ein mutiges Mädchen in einem unheimlichen Gebäude

Das mutige Mädchen, gespielt von Rebecca Schadewald, erkennt, dass das unheimliche Gebäude ihrer Tante ein Haus mit vielen Geheimnissen ist. Doch ihre Familie verweist die metaphysischen Sensoren der Kleinen ins Reich der Fantasie und Spinnerei. „Du bist ein Creep“, sagt ihre Schwester. Und für ihre Mutter sind Annas Begegnungen ein erneuter Fall für die Therapeutin des Mädchens. Die Erwachsenen sind viel zu sehr mit sich selbst und mit banalem Kistenschleppen beschäftigt. Nur der junge Onkel weiß, dass Annas vermeintliche Visionen ernst zu nehmen sind. Auch er hört Stimmen und ist betört von einer seltsamen weißen Frau, die ihn in seinen Bann zieht.

Die Mauern des Hauses erinnern sich noch daran, dass Zwingenberg einmal eine Stadt am Sumpf war, sagt ein Nachbar. „Ein altes Haus ist wie ein großes Rätsel, das man nicht so leicht entwirren kann“, so der ältere Herr, der tiefer in das Geschehen eingebunden ist als das Publikum zunächst vermuten würde. Wie genau sich die Geschichte am Ende auflöst, soll an dieser Stelle aber nicht verraten werden. Bis 20. Oktober wird es acht Aufführungen geben, in denen man dies hautnah miterleben kann.

Dramaturgisch geschickt integriert Danilo Fioriti, der selbst als Geist zu sehen ist, die Gespensterszenen in die irdische Handlung. Durch Licht, Kostüme und Make-up werden die ätherischen Wesen in das Bühnenbild eingebaut, das die untere Etage des Hauses zeigt. Für die Darsteller bedeutet das nicht nur bisweilen schnelle Szenenwechsel: da die meisten der Figuren im Laufe des Stücks sterben und selbst zu Geistern werden, ist hinter der Bühne eine flinke Hand gefragt, um bleiche Kosmetik und Kostümwechsel flott bewältigen zu können. Das Amateurensemble agiert hier äußerst souverän.

Musik von Radiohead und Nirwana

Ästhetisch orientiert sich die Produktion an den Gruselkomödien der 90er Jahre. Die Zeit wird auch von der Musik aufgenommen: die Songs von Radiohead, Nirwana, Alice Cooper und Nick Cave and the Bad Seeds passen auch inhaltlich sehr schön in die Handlung. Der Song „I Put a Spell on You“ stammt zwar aus den 50er Jahren, wurde in den 90ern aber mehrfach gecovert. Im weiteren Verlauf wird das Stück immer häufiger von Musical-Elementen dominiert. Die Musicaldarstellerin und Schauspielerin Lena Seidl – selbst als gespenstische Protagonistin zu sehen – hat mit den Akteuren rund ein Jahr lang an Aussprache und Gesang gefeilt und eine Choreographie beigesteuert, die der Inszenierung viel Schwung und auch ein wenig Glamour schenkt.

Hinter jeder Tür verbirgt sich eine neue Überraschung. © Thomas Neu

Und das braucht es auch, um die historischen Parts abzufedern und dem Stück eine Balance zu geben. Die biografischen Momente Zwingenbergs werden in narrativen Szenen eingeblendet, in denen verschiedene Figuren über bestimmte Ereignisse berichten: die Verwüstungen während des Dreißigjährigen Krieges und die darauffolgende Pestwelle, die im Ort wütete und die Menschen dahingerafft hatte. Die älteste Stadt an der Bergstraße war von 1635 bis 1637 menschenleer. Und immer wieder das Jahr 1693, als die Siedlung von französischen Truppen im Pfälzischen Erbfolgekrieg bis auf die Stadtmauern niedergebrannt wurde. Ob es damals einen Verräter gab? Das Theaterstück nimmt auch diese Frage auf.

Mord aus Liebe, Wahnsinn oder Eifersucht

Ausgarniert wird das durch Bezüge zu lokalen Sagen und Mythen, darunter menschliche Dramen und Morde aus Liebe, Wahnsinn oder Eifersucht. Die „weiße Frau“ ist ein Gespenst, das seit dem 15. Jahrhundert europaweit in Erscheinung trat und daher auch in Zwingenberg gut ins gespenstische Ensemble passt. Auch das katastrophale Unwetter vom April 1928 spielt eine wichtige Rolle. Damals bot Zwingenberg ein Bild der Verwüstung. Gewittersturm und Hagel machten die Stadt unpassierbar, der Marktplatz und der Bereich beim Amtsgericht lagen voller Schlamm und Trümmer, Weinkeller standen unter Wasser. Auf dem Friedhof waren Gräber aufgedeckt, viele Gebeine wurden aufgespült.

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„Wenn man den Schlamm nicht entfernt hat, wurde er hart wie Stein“, erinnert sich der Nachbar. Ob das Unwetter im Zusammenhang mit einem dämonischen Ritual steht, durch das die Eigentümerin des Hauses, Annas Großmutter, den Fluch der Geister heraufbeschworen hat? In der theatralischen Gegenwart engagiert die Familie, der es in der Bude zunehmend unheimlich wird, ein Paar, das die dunkle Präsenz austreiben soll. Begleitet wird die Story von einem Streit der beiden Töchter über das Erbe der Mutter (Gabrielle Poitevin), die Anna ins Reich der Lebenden retten und so die Ziele der weißen Frau durchkreuzen will.

Monumentale Geisterfahrt durch eine Familiengeschichte

Den Rahmen für die Bühnenhandlung bildet ein Interview mit der erwachsenen Anna, die sich an die Zeit damals erinnert und am Ende an den Ort ihrer Kindheit zurückkehrt, um dem Spuk ein Ende zu machen. Dazwischen erlebt das Publikum eine gespenstische Familiengeschichte, die zunächst etwas braucht, um an Fahrt aufzunehmen – sich aber dann zu einer monumentalen Geisterbahnfahrt mit fein gezeichneten Figuren und überraschenden Wendungen entwickelt. Das Ensemble spielt bereits bei der Premiere durchweg leidenschaftlich, textsicher und präzise getaktet.

Der Schlussapplaus am Samstag galt außerdem Martin Ackermann, Rolf Cassells, Carolin Banasek-Richter, Laura Freudenberg, Gerry Fuchs, Luise Clever, Debora Clever, David Naegele, David Falk, Johanna Barth, Leo Ohrem, Monika Hartz, Hendrick Seidl, Jürgen Koralewski, Carin Kratz, Astrid Lichti, Talia Matt, Andrea Gewald, Michaela Schweitzer, Annika Sohnrey, Dieter Wagner und Dunja Fioriti.

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