Bergstraße. Durch den Anschlag mit drei Toten in Solingen ist in Deutschland die Debatte um Geflüchtete erneut entbrannt. Neben der Erweiterung der Grenzkontrollen, wird immer wieder die Frage gestellt, ob Deutschland Menschen, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, konsequent und schnell genug abschiebt.
Auf Anfrage der Redaktion teilt der Kreis Bergstraße mit, dass im vergangenen Jahr 24 Menschen abgeschoben wurden, von Januar bis August dieses Jahres waren es elf Personen. Nach Angaben des Regierungspräsidiums Darmstadt sind im laufenden Jahr acht Personen in den zuständigen Dublin-Staat überstellt worden. 29 sogenannte Dublin-Überstellung aus dem Zuständigkeitsbereich des Landkreises Bergstraße sind allerdings gescheitert.
Die Dublin-Regularien seien, wie der Kreis in diesem Zusammenhang mitteilt, aus verschiedenen Gründen äußerst komplex und nur schwer umzusetzen – auch in Hinblick auf die Anzahl der Beteiligten und der Fristvorgaben. Hier bestehe, wie der zuständige hauptamtliche Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf mitteilt, auf Bundes- und EU-Ebene dringend Handlungsbedarf.
Weiterhin gelten nach Angaben des Regierungspräsidiums Darmstadt derzeit rund 200 Personen im Zuständigkeitsbereich des Landkreises als „untergetaucht“.
Im vergangenen Jahr sind 49 Geflüchtete, die im Kreis Bergstraße registriert waren, freiwillig ausgereist. Von Januar bis August dieses Jahres waren es 40 Personen. Die finanzielle und sonstige Unterstützung bei freiwilliger Ausreise erfolgt über die Rückkehrprogramme der International Organisation for Migration (IOM). Beim Regierungspräsidium Darmstadt bekommen Rückkehrer eine Beratung, bei der sie über ihre Möglichkeiten aufgeklärt werden. Sie erhalten beispielsweise Unterstützung bei der Beschaffung von Passersatzpapieren, die Flugreise ist kostenlos und es gibt auch finanzielle Hilfen.
Duldung hat oft ihren Ursprung in der langen Verfahrensdauer
2576 Personen im Kreis beziehen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Darunter sind auch Menschen mit sogenanntem Duldungsstatus. Das bedeutet, dass das Asylgesuch zwar abgelehnt wurde, sie aber dennoch nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können. Aktuell haben 427 Personen im Kreis diesen Status – davon sind 87 Menschen türkische Staatsangehörige, 47 afghanische und 45 irakische. Insgesamt sind 40 verschiedene Nationalitäten vertreten.
Dazu ergänzt der zuständige hauptamtliche Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf: „Die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass die Gründe dafür, dass eine ausreisepflichtige Person in Deutschland bleibt sehr vielfältig sein können, aber ihren Ursprung sehr häufig auch in der langen Verfahrensdauer haben, daher müssen die Verfahren zügig abgeschlossen werden. Weiterhin sind die Gründe für einen subsidiären Schutz regelmäßig zu evaluieren.“
Konkret waren die häufigsten Gründe, warum ein Duldungsstatus erteilt wurde langfristige Vollzugshindernisse, ungeklärte Identität und das Fehlen von Pass- und oder Passersatzpapieren.
Landrat Christian Engelhardt: „So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen“
Landrat Christian Engelhardt betont aber, wie komplex das Thema Duldung sei. Es handle sich entweder um Personen, bei denen das Asylgesuch abgelehnt wurde – womit die Aufenthaltsgestattung erlischt. Aber es seien auch Menschen darunter, die zum Beispiel kein Visum und keine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland hätten und daher illegal hier seien, hier leben, die aber nie einen Asylantrag gestellt hätten und auch keinen stellen werden.
Bei beiden Gruppen heiße Duldung: Die Abschiebung wurde vorübergehend ausgesetzt. Das könne sehr unterschiedliche Gründe haben, zum Beispiel die Sicherheitslage im Herkunftsland, das Gewähren der Duldung aufgrund eines anstehenden Abschlusses einer Berufsausbildung bis hin zur schweren Erkrankung der Person. Der Landrat stellt klar, dass eine Duldung jedoch kein Aufenthaltstitel sei und biete auch keine langfristige Sicherheit. Bei einer Duldung entfalle lediglich die Strafbarkeit des illegalen Aufenthalts in Deutschland. Und: Mit einer Duldung können bestimmte Auflagen (wie Residenzpflicht) und Nebenbestimmungen verbunden sein.
„Es ist schwer, mit den gleichen Regeln so unterschiedlichen Situationen gerecht zu werden. Hier muss sich etwas ändern. Wir müssen uns meiner Meinung nach vielmehr zunächst fragen, warum kommt ein Mensch nach Deutschland? Will er oder sie hier primär arbeiten? Oder will er dagegen Asyl beantragen und braucht Schutz? Wichtig ist, dass wir in Deutschland bei der Migration ganz konsequent zwischen Arbeitsmigration und Asyl unterschieden. Denn beides funktioniert nach ganz unterschiedlichen Regeln und auch mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen, die wir an die jeweils zuwandernden Menschen stellen können,“ so Engelhardt. Man müsse auf dieser Grundlage beginnen, die Migration konsequent zu steuern und auch die illegalen Einreisen deutlich reduzieren: „Denn klar ist auch: So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Das überfordert die Kommunen und die Gesellschaft.“
Die Bezahlkarte liegt wegen eines Rechtsstreits weiterhin auf Eis
Die Einführung der bundesweiten Bezahlkarte für Geflüchtete verzögert sich aktuell übrigens weiterhin. Das europaweite Verfahren kann vorerst nicht abgeschlossen werden, da einer der unterlegenen Bieter vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe Beschwerde eingelegt.
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