Bergstraße. Diesmal hieß es im Rex einmal nicht „Smoke on the Water“, sondern Rauch durch flüssigen Stickstoff. Es war ein Bühnennebel der ganz anderen Art, der am Dienstagabend durch das Musiktheater gewabert ist. Statt Rock und Blues stand eine Musik-Physik-Show auf dem Programm, die von klanglichen Häppchen und Live-Experimenten geprägt war.
„Xplosions“ titelte diese interdisziplinäre Fusion, die zwei Stunden lang für Spannung und Begeisterung gesorgt hat. Das Rezept: Wissenschaft und Unterhaltung als klangvoll-reaktionsgeladene Collage mit vier Meistern ihres Fachs. Eine interaktive Show, die der Rotary Club Bensheim-Südliche Bergstraße als Benefizveranstaltung organisiert hatte.
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Der Erlös der Veranstaltung kommt Kindern im Frauenhaus Bergstraße mit Sitz in Bensheim zugute, so der aktuelle Präsident Daniel von Hauff vor rund 200 Zuschauern. Damit konnte der Service-Club hoch zufrieden sein, zumal der Kartenvorverkauf zunächst eher schleppend verlaufen war.
Einer der Protagonisten war der Rotary-Altpräsident des Jahres 2016/2017: Christian Enss ist Physikprofessor an der Universität Heidelberg, der gemeinsam mit der Physikerin und Lehrerin Angela Halfar das Duo Stella & Nova bildet. Zusammen präsentieren sie physikalische Phänomene auf offener Bühne, was immer wieder für Knalleffekte und Aha-Erlebnisse sorgt. Physik zum Anfassen und mitmachen sozusagen. Ein Konzept, was nicht nur in Schulen gut ankommt, wie der Rotary-Club bereits auch im Kreis Bergstraße mehrfach bewiesen hat. Etwa 2017 in der Geschwister-Scholl-Schule und zwei Jahre später auch im AKG. Beide Schulen stehen noch, und auch das Rex hat die teils auch stofflich zündenden Experimente heil überstanden. Wenngleich eine Feuersäule und eine Wolkenexplosion die Sicherheitssysteme des Hauses durchaus herausgefordert haben.
Das Publikum erlebte einen kurzweiligen Frontalunterricht mit musikalischen Einlagen, für den die Chansonnière Meta Hüper mit ihrem Pianisten Jens Schlichting zuständig waren. Die Berlinerin singt und spielt unter anderem Geige, Melodika und singende Säge. In Bensheim präsentierten sie unter anderem Broadway-Songs wie „All That Jazz“ aus dem Musical „Chicago“ und eine flirrend sinnliche Version von Astor Piazzollas „Libertango“. Mit ihrem sehnsüchtigen „Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin“, bekannt durch Marlene Dietrich, hatte die Vollblutkünstlerin ein weiteres viel beklatschtes Solo auf die Bühne gezaubert. Einen Kurzauftritt hatte in Bensheim auch die Musikerin Mara Kochendörfer aus Wiesbaden, die sich unters Publikum gemischt hatte und als vermeintlicher Zufallsgast das Cello „gerockt“ hat.
Jens Schlichting war am Dienstag nicht nur ein kongenialer Partner an den Tasten, sondern auch ein klangvoller wissenschaftlicher Hiwi am Rubensschen Flammenrohr (nach Heinrich Rubens), ein Instrument zur Sichtbarmachung stehender Schallwellen. Darin befindet sich brennbares Gas und eine Membran, die durch Schallwellen in Schwingung gebracht wird. Die Form der stehenden Schallwelle korrespondiert mit der Höhe der Gasflämmchen. Bei Cis-Dur besonders gut zu erleben, wie Schlichting herausgefunden hat.
Wolke steigt bis unters Dach
Doch es gab noch viele weitere Versuche bei dieser interessanten Science-Show. Aus vier ausgewachsenen Herren wurde eine stabile, selbsttragende Konstruktion, die wie eine gefaltete Pappschachtel funktioniert. Und mit etwas heißem Wasser auf minus 200 Grad kaltem, flüssigem Stickstoff türmte sich massiver weißer Nebel aus kondensiertem Wasser bis unters Dach. Eine Wolke, die im Rex sogar teilweise sogar abregnete, während am Boden des Behälters Eis zurückblieb.
„Alle Aggregatszustände auf einmal“, so Christian Enss alias Nova. Das Publikum erlebte große Blechtonnen, die durch ein inneres Vakuum und den äußeren Luftdruck im Raum wie Papierbehälter zusammengedrückt wurden, schwebende Supraleiter und schrumpfende Luftballons, die durch den Stickstoff wie Rosinen aussehen, bevor sie sich in der normalen Raumluft bald wieder erholen. Eine Show der Naturgesetze, die auch mal negative Energie verströmen darf: Doch Physik ist, wenn ein Experiment auch mal nicht funktioniert. Weil auf jedem Quadratzentimeter etwa ein Kilogramm Luftdruck drückt, lassen sich gefüllte Gläser normalerweise mühelos umdrehen. Doch Enss saß unter einem Regenschirm und blieb trotz des eher unerwarteten Gusses trocken.
Ein Höhepunkt in der zweiten Hälfte war der topologische Defekt: Phänomene, die mit der spontanen Brechung einer bestimmten Symmetrie zusammenhängen. „Das sind Störungen im Raum“, erklärte der Professor. Mit einem umgebauten Papierkorb mit Loch und Membran schoss er Kerzen aus und Pappbecher von den Köpfen der Zuschauer. In der größeren Variante reichten die erzeugten Luftimpulse bis weit in den Zuschauerraum hinein, sichtbar gemacht durch flüssigen Stickstoff. Rotarische Ringe in Eigenbau, wie man hätte vermuten können. Zum Finale wuchs in einem Zylinder eine drei Meter hohe Feuersäule auf einem sich drehenden Untersatz.
Das Ziel des Wissenschafts-Duos: Physik soll Spaß machen. Mit Witz, Kreativität und teils spektakulären Vorführungen war ihnen das im Rex auf jeden Fall gelungen. Und auch das Experiment des Rotary-Clubs, Musik und Physik in einer Show zusammenzubringen, muss man als geglückt bilanzieren. Daniel von Hauff dankte allen Beteiligten, die an diesem Abend auf eine Gage verzichtet haben. Und auch das Musiktheater nahm keine Miete.
Der Rotary-Präsident verwies auf rund 150 000 Menschen, die jedes Jahr Opfer von häuslicher Gewalt werden, darunter vor allem Frauen und Mädchen. Das Frauenhaus Bergstraße samt der angeschlossenen Beratungs- und Interventionsstelle bietet ihnen und ihren Kindern Schutz und Hilfe an.
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