Ehrenamtliche Flüchtlingshilfe an der Bergstraße

Jeden Tag kommen im Kreis Bergstraße neue Geflüchtete an. Im Gespräch mit der BA-Redaktion erklären ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, mit welchen Problemen sie konfrontiert werden und was sie motiviert.

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Hinter jedem dieser Gesichter stehen viele weitere Ehrenamtliche, die sich in der Flüchtlingshilfe im gesamten Kreisgebiet engagieren. Unser Bild zeigt von links: Marieta Hiller (Helferkreis Lautertal), Deniz Inal (Migrationsdienst Bergstraße), Jeanette Baumung (katholische Gemeindereferentin), Vladimir Buyev (Integrationslotse Stadt Bensheim), Harry Hegenbarth (Welcome to Bensheim), Peter Hetzler (Babbeltreff), Kristina Imhof-Schoenherr (Welcome to Bensheim) und Burghard Klatt (Flüchtlingshilfe Heppenheim). © Thomas Zelinger

Bergstraße. Manchmal, da verzweifeln selbst Menschen, die flüssig deutsch sprechen, am hiesigen Antragswesen. Viele Geflüchtete kommen dann erst recht nicht weiter. Behördengänge, Telefonate oder die Beschaffung von Dokumenten werden schnell zum Problem – und auch im Alltag finden sich Geflüchtete ohne Hilfe nicht immer zurecht. Im ganzen Kreisgebiet setzen sich ehrenamtliche Helferinnen und Helfer für diese Menschen und deren Integration ein. Die Konzepte sind vielfältig – genauso wie die Personen, die sich in der Region ein neues Leben aufbauen möchten.

Einige dieser Akteure kamen vor Kurzem auf Einladung der BA-Redaktion und Deniz Inal, Asyl- und Ehrenamtskoordinatorin beim Migrationsdienst Bergstraße, zusammen, um ihre Arbeit vorzustellen und über Herausforderungen und Positives zu sprechen. Passenderweise an einem Donnerstagmittag und im Franziskusheim der Caritas. Jede Woche findet in der Klostergasse 5 nämlich das Begegnungscafé statt. Geflüchtete aus vielen unterschiedlichen Ländern kommen dort zusammen, um gemeinsam deutsch zu lernen, sich auf Prüfungen vorzubereiten und sich auszutauschen.

Geflüchtete im Kreis Bergstraße

Aktuell verzeichnet der Kreis Bergstraße rund 2550 Geflüchtete laut Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) (Stand 6. November). Hier sind die Geflüchteten aus der Ukraine nicht inkludiert. Zum Vergleich: Zum Stichtag 31. Dezember 2015 befanden sich 3047 Personen im Rechtskreis des AsylbLG.

Für 2022 ist insgesamt ein Zuzug von etwa 4000 Menschen (aus der Ukraine und Drittstaaten) in den Kreis Bergstraße zu verzeichnen.

Seit 1. Januar 2023 hat der Kreis rund 1650 Menschen aus der Ukraine sowie aus den Drittstaaten aufgenommen. Bis Ende des Jahres werden etwa 1000 weitere Geflüchtete erwartet – nach aktuellen Prognosen, so der Hauptamtliche Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf.

Zum 6. November wurden über die Ausländerbehörde des Kreises insgesamt 4671 Geflüchtete aus der Ukraine registriert (seit Kriegsbeginn). Bei den Meldebehörden sind davon rund 3070 ukrainische Geflüchtete als aktive Fälle gemeldet.

Hintergrund: Ukrainische Staatsbürger und Personen mit einem von der Ukraine ausgestellten Flüchtlingsstatus und deren Angehörige erhalten in Deutschland vorübergehenden Schutz, ohne, dass sie ein Asylantragsverfahren durchlaufen. Dieser Status berechtigt sie unter anderem, einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachzugehen beziehungsweise Arbeitslosengeld II zu erhalten.

Dem Kreis Bergstraße werden wöchentlich Geflüchtete vom Land Hessen zugewiesen. Aktuell sind dies wöchentlich circa 86 Personen. Sie werden seit Mai 2023 nach einem festen Schlüssel auf die 22 Kreis-Kommunen zur Unterbringung verteilt.

Dabei werden – um die Integration zu fördern – nach Möglichkeit nur geflüchtete Personen, die eine gute Bleibeperspektive haben, in den Kommunen untergebracht. Geflüchtete, deren Bleibeperspektive gering ist, werden eher zentral (in kreiseigenen Unterkünften) untergebracht, erklärt Schimpf.

Von den Menschen, die aus der Ukraine in den Kreis Bergstraße kamen, wurden rund 1800 vom Kreis Bergstraße (Amt für Soziales) in Gemeinschaftsunterkünften und Privatwohnungen untergebracht.

Im Luisenkrankenhaus in Lindenfels sind rund 270 Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht, 110 Personen sind es im Bruchseehotel Heppenheim. In der Zeltstadt Bensheim sind rund 250 Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern untergebracht, etwa 100 sind es in Containern in Bürstadt.

Die meisten Geflüchteten aus Drittstaaten stammen aus der Türkei, Syrien, Afghanistan, dem Irak und dem Iran.

Eine ältere Dame, die regelmäßig im Café ist, erzählt freudestrahlend: „Ich habe ein junges Mädchen betreut, als sie 2015 mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland kam. Sie hat dieses Jahr ihr Abitur gemacht.“ Während die Erwachsenen an den Tischen zusammensitzen, gibt es in den Nebenräumen eine Kinder- und Hausaufgabenbetreuung. Ihre kleine Pause vom Alltag nehmen die Menschen gerne an.

Wenn Geflüchtete eine Möglichkeit erhalten, sich auch in ihrer neuen Heimat entfalten zu können, dann kann die ganze Gesellschaft davon profitieren: „Integration findet nicht in der Theorie statt – die Modelle müssen mit Leben gefüllt werden“, erklärt Kristina Imhof-Schoenherr, die Vorsitzende von „Welcome to Bensheim“. Für längere Zeit haben die Vereinsaktivitäten geruht, doch mit der wachsenden Zahl an schutzsuchenden Menschen erstarkte auch wieder die Motivation, aktiv zu sein.

Gemütlicher Austausch und gemeinsames Lernen für Geflüchtete im Begegnungscafé im Franziskushaus. © Thomas Zelinger

Mit an Bord ist auch der Bensheimer Agenturchef und Eventveranstalter Harry Hegenbarth als zweiter Vorsitzender. Er war 2015 Gründungsmitglied. Schon damals war der Verein vorwiegend an der Zeltunterkunft am Festplatz aktiv. Dort organisieren die Mitglieder auch jetzt wieder verschiedene Arbeitskreise für Kinder und Erwachsene, etwa Sprachkurse. „Wir brauchen dringend weitere Deutschlehrer. Das haben uns die Menschen in der Zeltstadt zurückgemeldet.“

Denn ein wichtiger Schlüssel für die Integration ist die Sprache. Das weiß auch Peter Hetzler vom „Babbeltreff“, den es seit rund fünf Jahren in Bensheim gibt. Das Integrationsprojekt bietet explizit keinen Deutschunterricht, keine Grammatik und keine schriftlichen Elemente an. Das Credo lautet: Lieber falsch sprechen als gar nicht zu kommunizieren. „Viel wichtiger ist für die Teilnehmer die Möglichkeit, das Erlernte anzuwenden, zu üben und Kontakte zu knüpfen.“

Jede Woche treffen sich Geflüchtete unter anderem aus der Ukraine, Syrien oder Eritrea in mittlerweile neun Gruppen, um über Alltagsthemen und Zeitungsartikel zu sprechen oder gemeinsam fit im Umgang mit Medien zu werden. Dazu kommen regelmäßige Ausflüge, etwa ins Technikmuseum Speyer oder jüngst nach Baden-Baden. Ein eingetragener Verein ist der Babbeltreff nicht – „zu viel Bürokratie“. Viele der Angebote zahlen die Ehrenamtlichen aus eigener Tasche – ab und an gibt es auch Zuwendungen vom Kreis Bergstraße oder dem Land Hessen.

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So geht es vielen Helferkreisen, ergänzt Deniz Inal. „Sie sind häufig bei Förderprogrammen außen vor. Aber auch für Vereine ist es bei all den Nachweis- und Dokumentationspflichten nicht einfach, Unterstützung zu erhalten, die über Mitgliedsbeiträge und Spenden hinausgeht. Das kann manchmal wirklich ermüdend sein.“ Dazu kommen dann noch die Anliegen der Geflüchteten, in die sich die Helfer erst einmal einarbeiten müssen.

Vom Kampf gegen bürokratische Windmühlen kann Burghard Klatt aus erster Hand berichten. Er ist der Vorsitzende der Flüchtlingshilfe Heppenheim. Mit manchen Ämtern gebe es ein langes Hin und Her – was im Härtefall sogar auf Klagen hinauslaufen kann. Im Großen und Ganzen ist Klatt aber zufrieden mit der Zusammenarbeit mit der Kreisverwaltung. Die Hilfe aus der Bevölkerung könne die staatlichen und kommunalen Aufgaben zwar nicht ersetzen – aber unterstützen, ergänzen und stellenweise entlasten. „Denn natürlich passieren Menschen, die nicht mit dem System vertraut sind, Fehler, die Prozesse verlangsamen.“ Nur ein umfassendes und von vielen Säulen der Gesellschaft getragenes Engagement könne es Zufluchtsuchenden ermöglichen, sich gut in der Region einzuleben und ein Teil unserer Gemeinschaft zu werden.

Neue Gesichter sind bei der Flüchtlingshilfe immer gerne gesehen. Der Verein hat mehr als 230 Mitglieder (davon etwa 30 Aktive) und kooperiert unter anderem mit dem Deutschen Roten Kreuz oder der Verbraucherschutzzentrale. „Leider kommt es immer wieder vor, dass Geflüchtete in Deutschland ausgenutzt oder betrogen werden, weil sie ihre Rechte nicht kennen und dazu noch eine sprachliche Barriere besteht“, erklärt Klatt.

Engagement im Kreis Bergstraße

Aktuell sind rund 1500 Personen, die sich im Kreisgebiet auf 18 Helferkreise in den Städten und Gemeinden aufteilen, in der Bergsträßer Flüchtlingshilfe engagiert. Dazu gibt es noch viele Menschen, die nicht in einen Helferkreis eingebunden sind, sondern privat Patenschaften für Familien und Einzelpersonen übernehmen.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind laut Deniz Inal noch rund 200 Ehrenamtliche dazugestoßen.

Die Flüchtlingshilfe versucht, Integration in vielfältiger Weise umzusetzen. Dazu gehören Alphabetisierungs- und Grundsprachkurse, eine Hausaufgabenbetreuung und eine wöchentliche Sprechstunde im Bruchseehotel. Zudem werden generell Dolmetscher für Gespräche bei Problemen und Fragen in Schulen oder bei Besuchen beim Arzt vermittelt. Auch die Vermittlung von privaten Unterkünften ist eine wichtige Aufgabe, in enger Zusammenarbeit mit Stadt und Kreis. Und es sind noch viele mehr.

Seitens der deutschen Bevölkerung sei es wichtig, Integration zuzulassen. „Alle Menschen sind verschieden, ihre Vorstellungen zu verstehen kann vielen Missverständnissen vorbeugen“, ist Klatt überzeugt. Eine Brücke dabei bilden auch die Integrationslotsen. Einer von ihnen ist Vladimir Buyev. In Bensheim ist er Ansprechpartner für zahlreiche ukrainische Geflüchtete. Täglich hat der Ukrainer, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt, mit Menschen in schwierigen Lebenslagen zu tun. Was er ermöglichen kann, setzt er in Bewegung: Er begleitet Familien zum Arzt oder übersetzt Dokumente. Was enorm bei der Integration Geflüchteter helfen würde, ist nicht nur seiner Meinung nach die Vereinfachung von Anträgen. „Wären sie in leichter Sprache formuliert, gebe es vielleicht weniger Unklarheiten und das System wäre nicht so überlastet.“

Die Helferkreise freuen sich immer über weitere Unterstützung – zeichnet sich doch noch keine Trendwende bei den Geflüchtetenzahlen ab. „Durch die Direktzuweisungen der Personen an die Städte und Gemeinden können sich Bürgerinnen und Bürger unmittelbar vor Ort einbringen. Je mehr es sind, umso breiter kann auch das Angebot werden“, betont Deniz Inal. Vor Ort aktiv ist auch Marieta Hiller aus dem Helferkreis in Lautertal. „Ich könnte über die Flüchtlingsarbeit ganze Bücher schreiben“, sagt sie.

Gerade in Zeiten, in denen die AfD Rekordwerte bei den Landtagswahlen erzielen konnte, sei es umso wichtiger, Geflüchteten aktiv bei der Integration zu helfen. Die Lage sei nun eine andere als 2015. Damals kamen rund 80 Personen in der Gemeinde an, meist lebten sie in Sammelunterkünften. Mittlerweile seien die Menschen in eigenen Wohnungen in der Gemeinde verteilt. „Das macht es ihnen einfacher, sich zu integrieren.“ Im Gespräch wird immer wieder anhand einzelner Anekdoten deutlich, wie viel die Arbeit mit den Flüchtlingen den Ehrenamtlichen gibt: „Ich habe bei der diesjährigen Landtagswahl einen ,meiner’ Flüchtlinge von 2016 im Wahllokal getroffen. Er durfte das erste Mal seine Stimme als deutscher Staatsbürger abgeben und erzählte mir von seiner Ausbildung, die er aktuell macht“, berichtet Hiller stolz.

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Ganz zentral für eine erfolgeiche Integration ist, dass die Menschen ihre Selbstwirksamkeit nicht aufgeben“, gibt Kristina Imhof-Schoenherr zu bedenken. Etwa im Gesundheitssektor, in dem die Vorsitzende von „Welcome to Bensheim“ tätig ist, fehlen schon jetzt viele Fachkräfte, die in weit entfernten Ländern, Indien etwa, abgeworben werden. „Gleichzeitig sitzen hier viele Menschen aus Drittstaaten, die die Qualifikationen haben oder erlernen möchten, die arbeiten wollen – es aber nicht dürfen.“

„Wir müssen es den Geflüchteten ermöglichen, dass sie ihr Potenzial ausschöpfen können. Viele wollen sich integrieren – dann sollten ihre Bemühungen nicht an unseren Strukturen scheitern“, fügt Harry Hegenbarth an.

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