Das Wichtigste in Kürze
* Friedrich Merz will bis Ostern eine Regierung bilden. * Der Politikwissenschaftler Marc Debus sieht Hindernisse bei der Koalitionsbildung. * SPD und CDU haben unterschiedliche Ansichten in der Wirtschafts- und Steuerpolitik.
Mannheim. Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) will schnell eine neue Regierung bilden. Doch so einfach geht das nicht, weiß der Mannheimer Politikwissenschaftler Marc Debus, der sich schwerpunktmäßig mit Koalitionen beschäftigt.
Herr Debus, Friedrich Merz drückt aufs Gaspedal. Er will bis Ostern eine Regierung bilden. Ist das realistisch?
Marc Debus: Das ist in der Tat sehr ehrgeizig. Wir wissen aus der Forschung, dass mit einem anwachsenden Anteil von Parteien am linken und rechten Rand es länger dauert, bis eine Regierung gebildet und ein Regierungschef gewählt werden kann.
Aber?
Debus: Gleichzeitig stehen die Parteien natürlich unter einem großen außenpolitischen Druck in diesen schwierigen Zeiten, und müssen deshalb schnell zu Potte kommen. Allerdings dürfte es der CDU und der CSU nicht leicht fallen, mit der SPD Kompromisse auf den verschiedenen Politikfeldern wie der Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik zu finden. Da gibt es ja große Unterschiede zwischen einer wirtschaftsliberaler gewordenen Union unter Friedrich Merz und der SPD, die sich nach ihrer Wahlschlappe auch Gedanken machen muss.
Welche denn?
Debus: Naja, das Wahlergebnis zeigt ja auch mit Blick auf den großen Stimmenzuwachs der Linken, dass es einen hohen Anteil von Menschen in Deutschland gibt, die sich einen stärkeren Sozialstaat wünschen. Die SPD wird also in den Koalitionsverhandlungen nicht alles abnicken oder sich gar erpressen lassen können. Sie hat so ihre Erfahrungen aus früheren großen Koalitionen gemacht und wird sich nicht so leicht über den Tisch ziehen lassen können.
Das heißt, die SPD könnte durchaus für die Union unbequem werden?
Debus: Ja, die Sozialdemokraten müssen ja ihr Profil irgendwie aufrechterhalten und nach außen zeigen. Es gibt außerdem einen starken linken Flügel innerhalb der SPD, der darauf achten wird, dass man nicht allzu kompromissbereit gerade in diesen steuerpolitischen Fragen ist.
Klingt schwierig.
Debus: Die SPD hat ja andererseits im Wahlkampf signalisiert, dass man zum Beispiel beim Bürgergeld oder in der Migrationspolitik durchaus reformbereit ist. Unabhängig davon muss die SPD auch schon künftige Wahlen im Blick haben.
1998 hat sie unter Gerhard Schröder mehr als 40 Prozent geholt, jetzt nur noch 16,4.
Debus: Eben, die SPD hat in den vergangenen Jahrzehnten massive Verluste erlitten. Sie muss schon mit Blick auf künftigen Wahlen als Juniorpartner versuchen, sich in der nächsten Regierung zu profilieren.
Das ist keine leichte Aufgabe.
Debus: Ja, wir wissen aus Studien, dass es die kleineren Partner in einer Bundesregierung immer schwerer haben, ihr Profil zu zeigen und dafür Anerkennung zu bekommen, gerade wenn es in einer Koalition gut läuft. Denn in einer Regierung wird das in aller Regel dann dem Kanzler oder der Kanzlerin zugeordnet.
Klar ist aber, dass Schwarz-Rot gegenwärtig alternativlos ist, dieses Bündnis dürfte aber nicht nur der SPD Probleme bereiten, denn in dieser lagerübergreifenden Koalition werden beide Partner versuchen müssen, ihr jeweils linkes beziehungsweise auch rechtes Profil zu schärfen, weil ja die AfD und die Linke bei der Bundestagswahl stark zugewonnen haben. Das wird die Aufgabe nicht einfacher machen.
Wie sehen Sie da die Rolle von Friedrich Merz, der ja noch nie ein Regierungsamt ausgeübt und auch keine Erfahrung bei Koalitionsverhandlungen hat?
Debus: Ich sehe das nicht so pessimistisch. Er hat in seiner Karriere schon gelernt, wie man Kompromisse im parlamentarisch-legislativen Prozess schließen kann. Dennoch wird es natürlich spannend sein, weil Merz natürlich gerade bei den ökonomischen Fragen und der Migrationspolitik auf die SPD zugehen muss, damit er diese Koalition zustande bringen kann. Das sind aber gerade die Themen, bei denen er im Wahlkampf seiner Anhängerschaft versprochen hat, dass er da liefern wird. Dies könnte eine gewisse Enttäuschung auslösen. Bei der SPD muss man aber auch berücksichtigen, dass es zu einer Abstimmung ihrer Mitglieder über einen Koalitionsvertrag kommen dürfte. Die Union muss der SPD also schon etwas anbieten, wenn sie keine böse Überraschung erleben will.
Gemeinsame Schnittmengen gibt es aber schon?
Debus: Ja, vor allem in der Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik, da sind die Unterschiede nicht besonders groß. Aber eines sollte man auch nicht vergessen: Zwar werden die Grünen für die Koalitionsbildung nicht mehr gebraucht, aber völlig machtlos werden sie im Polit-Betrieb auch nicht sein.
Warum?
Debus: Die Grünen sind an vielen Landesregierungen beteiligt und können deshalb im Bundesrat zustimmungspflichtige Gesetze blockieren. Ohne den Austausch mit ihnen werden Union und SPD nicht viel in der Länderkammer durchbekommen. Dies wird es der CDU/CSU noch mal schwerer machen, ihre Positionen durchzusetzen.
Weil es die FDP und das BSW nicht in den Bundestag geschafft haben, reicht es diesmal für eine Große Koalition. Sind Dreier-Bündnisse gerade nach dem Chaos der Ampel jetzt vom Tisch?
Debus: Überhaupt nicht. Gerade beim BSW war es ja ganz knapp, und auch für die FDP kann es in vier Jahren wieder ein Comeback geben. Die Zunahme der Parteienzersplitterung wird sich fortsetzen. Die zwei Parteien haben ja nur wegen der Fünf-Prozent-Hürde den Einzug ins Parlament verpasst. Immerhin haben BSW, FDP und die anderen kleinen Parteien fast 14 Prozent der Zweitstimmen für sich verbuchen können, auch wenn sie dafür keine Mandate bekommen haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach den kommenden Landtagswahlen sechs oder sieben Parteien in den Parlamenten vertreten sein werden, ist ja durchaus hoch.
Marc Debus
Marc Debus wurde 1978 in Biedenkopf (Hessen) geboren.
Er studierte an den Universitäten in Marburg und Mannheim Politik- wissenschaft und Soziologie .
Debus ist Professor für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Mannheim . Sein Spezialgebiete sind Koalitionstheorien, politische Parteien, Parteienwettbewerb, politische Institutionen, Gesetzgebung sowie die Wahl- und Demokratieforschung.was
Das BSW und die Linke haben es bei der Bundestagswahl auch in manchen westdeutschen Bundesländern über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Und schauen wir mal, was nächsten Sonntag passiert, da haben wir ja in Hamburg die Bürgerschaftswahl. Da sieht es zwar für Rot-Grün gut aus, aber auch dort erwarte ich, dass wir wieder eine größere Zersplitterung der Fraktionen erleben werden.
Die FDP ist zum zweiten Mal innerhalb von rund zwei Jahrzehnten gescheitert. Brauchen wir überhaupt noch eine liberale Partei in Deutschland?
Debus: Liberale Parteien haben generell immer den Charme, dass sie versuchen, wirtschaftsliberale Positionen zu verknüpfen mit gesellschaftspolitisch progressiven, reformorientierten Positionen. Das hat jetzt in der Ampel nicht funktioniert. Aber je nach Großwetterlage kann die FDP durchaus ein attraktiver Koalitionspartner für die Christdemokraten, die SPD oder die Grünen sein.
Es gibt also durchaus noch einen Raum für liberale Parteien?
Debus: In Österreich spielen sie jetzt wieder eine prominentere Rolle und werden wahrscheinlich an der Koalition mit SPÖ und ÖVP beteiligt. Insofern gehe ich davon aus, dass es auch in Deutschland eine Zukunft für die FDP geben wird, vor allem wenn sie sich jetzt wieder als Kontrast zu einer schwarz-roten Koalition präsentieren kann.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/politik_artikel,-politik-politikwissenschaftler-marc-debus-im-interview-hindernisse-bei-der-regierungsbildung-_arid,2287627.html